Es zündet nicht
Von Rudi Bartlitz
In der Finalrunde der Handball-Champions-League konnte der SC Magdeburg seinen Titel nicht verteidigen. Dafür gibt es Gründe.
„Major Tom“ – in den Tagen vor Beginn der Fußball-EM der wohl populärste Sport-Song hierzulande – saß auch bei den SCM-Handballern mit in den Startlöchern. „Völlig losgelöst“ sollte das Magdeburger Raumschiff am Wochenende in Köln beim Finalturnier der Champions League abheben. Hin zu fernen Galaxien, zu Triumphen, an denen sich selbst die meisten Spitzenteams aus der internationalen Welt der Ballwerfer bisher vergebens versuchten. Die Mission der „Galaktischen“ von der Elbe war klar umschrieben: nach Vereins-Weltmeisterschaft (Super Globe), DHB-Pokal und deutscher Meisterschaft binnen einer Saison auch den vierten und zugleich wertvollsten Titel einzufahren, eben den der Champions League. Das zuletzt vielgerühmte Quadruple zu schaffen. Sich unsterblich zu machen.
Allein, es zündete nicht so recht. Im Halbfinale gegen den dänischen Meister Aalborg HB kam bei 26:28 für den als Titelverteidiger ins Rennen gegangenen und von vielen Experten als Favorit angesehenen SC Magdeburg überraschend das Aus. Der erwartete Schub blieb aus. Obwohl eigentlich alles startklar erschien, das Raumschiff SCM aus Sicht der eigenen Fans mit einer Explosion der Begeisterung nur noch nach oben katapultiert zu werden brauchte. Aber es war schon im Laufe der 60 Minuten zu beobachten, dass sich die Wiegert-Schützlinge diesmal schwerer taten als in den zurückliegenden Wochen und Monaten. Selbst wenn in einer ausgeglichenen Partie die Entscheidung erst in den letzten neunzig Sekunden zu Gunsten der Dänen fiel. Zwei Tore in 43 Sekunden wären nötig gewesen, um sich in die Verlängerung zu retten. Genau in dieser Schlussphase war es Weltklasse-Mann Niklas Landin, der zuvor die meiste Zeit nach glücklosen Aktionen auf der Bank saß, mit zwei entscheidenden Paraden die Ostdeutschen schier verzweifeln ließ.
Schon beim 18:18 (43.) hatte es zuvor Aufregung und den Videobeweis gegeben: Christian O`Sullivan hatte im Zweikampf mit Thomas Arnoldsen den Youngster mit einer Hand am Trikot gezogen und mit der anderen in den Wurfarm gegriffen. Die französischen Schiedsrichterinnen entschieden sich nach Ansicht der Bilder für die Rote Karte. Eine Zäsur. Wiegerts Resümee fiel so aus: „Es war ein harter Fight, ein enger Kampf über 60 Minuten und Kleinigkeiten haben am Ende entschieden. Wir haben zu wenige Lösungen gegen ihre offensive Deckung gefunden. Wir hatten aber auch insgesamt zu wenige Paraden im Vergleich zu Aalborg. Wir haben nicht geschafft, unseren besten Handball zu spielen. Die 28 Gegentore sind in Ordnung, aber wann haben wir das letzte Mal keine 30 Tore geworfen?“ Schock und Enttäuschung saßen selbst am Folgetag noch so tief, dass im Spiel um Platz drei gegen den THW Kiel (28:32) eine für SCM-Verhältnisse unakzeptable erste Halbzeit mit einem Neun-Tore-Rückstand folgte. Selten verschwanden die ungeliebten Plaketten für Rang vier so schnell in den Taschen der Spieler wie dieses Mal in Köln.
Legt man einen kritischen Maßstab ans Schlüsselspiel, das Halbfinale eben, an, überwiegt der Eindruck eines rätselhaften Auftritts der Grün-Roten. Drei Momente stechen dabei heraus. Erstens: Im Angriff entwickelten sie nicht das gewohnte höllische Tempo, mit dem sie im Laufe der Saison nahezu alle Kontrahenten regelrecht an die Wand gespielt hatten. Sie spielten, analysiert die dänische Handball-Legende Hans Lindberg bei Dyn, „wie mit angezogener Handbremse“. Noch entscheidender dürfte allerdings ein zweiter Grund gewesen sein. Aalborg stellte eine Abwehr hin, an der sich der SCM letztlich die Zähne ausbiss. Trainer Stefan Madsen: „Wir wussten, dass wir etwas Außerordentliches leisten müssen, um gegen Magdeburg zu gewinnen. Wir haben etwas völlig anderes als sonst probiert – und es hat funktioniert.“ Außen Sebastian Barthold: „Wir waren in der 5:1-Abwehr aggressiver als sonst.“ Ex-SCM-Legende Stefan Kretzschmar war des Lobes voll für die Dänen: „Ihre Kreativität in der Abwehr hat den SCM vor große Herausforderungen gestellt.“ Wetten, dass künftig auch andere Gegner versuchen werden, die Aalborg-Strategie zu kopieren?
Und ein Drittes kommt hinzu. Keine Mannschaft – so die bisherige Erkenntnis dieser Saison – verfügt über mehr Zuversicht und Vertrauen, enge Partien zu drehen als der SCM. Darauf konnten fast Wetten abgeschlossen werden. Genau an dieser Eigenschaft, dem unerschütterlichen Selbstvertrauen, in den letzten Minuten alles noch herumreißen zu können, fehlte es ausgerechnet im Halbfinale. Als es in der sogenannten Crunchtime galt, versagten die Nerven – von denen man geglaubt hatte, sie seien bei den Magdeburgern aus dem sprichwörtlichen Stahl. Jeder versuchte es vorn auf eigene Faust. Ungewohnt dabei, dass die Dänen die wuseligen Angreifer teilweise schon bei neun Metern annahmen. Und die wiederum wussten dagegen immer weniger Lösungen.
Selbst wenn die Enttäuschung freilich erst einmal tief sitzt, es war eine herausragende Saison, die die Mannschaft absolviert hat. Drei Titel stehen auf der Habenseite, darunter das deutsche Double aus Meisterschaft und Pokal. Ein Team, das sich in den vergangenen drei Jahren vom Herausforderer zur großen Nummer im deutschen Handball gemausert hat. Matthias Musche stolz: „Es war die beste Saison des SCM aller Zeiten. ” Der geniale Schweizer Ex-Spielmacher Andy Schmid brachte es auf den Punkt: „Perfektion im Handball gibt es nicht. Aber der SCM war ganz nah dran.“
Und Wiegert sollte am Ende recht behalten mit seiner These: Bei einem Finalturnier, wo es auf ein oder zwei Begegnungen ankommt, in denen man alles gewinnen (oder eben verlieren) kann, verfügt am Ende jede der vier Vertretungen über genügend Klasse, um mit einer oder zwei überragenden Vorstellungen zu obsiegen. Die deutsche Meisterschaft ist für den Coach deshalb der ehrlichste aller Titel, weil er abbildet, wer über eine ganze Spielzeit der Beste war; und das in der stärksten Liga der Welt. Obwohl: Diesmal hätte Wiegert sicher gern einmal darauf verzichtet, sich bestätigt zu sehen.
Nr. 257 vom 11. Juni 2024, Seite 29
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Und dann geschah das, wie er einmal in einem Interview erzählt hat: „Ich hatte einem Stoffhund ein Loch in den Hintern gebohrt und ihm das Neue Deutschland in den Hintern geschoben und wieder herausgezogen. Bei der Vorstellung habe ich dann ins Publikum gesagt: ‚Sehnse, nicht mal der Pfeffi kann das verdauen‘.“ Das bedeutete 10 Jahre Knast, von denen er „nur“ neun Monate absitzen musste. Es blieben vier Jahre zur Bewährung. Und auch das nahm er der DDR nicht krumm. Er erklärte sich nicht zum Widerstandskämpfer, er steckte das weg, weil es dazu gehörte. Und als er wieder draußen war, machte er weiter, erst als Dreher und ab ‘63 auch wieder mit der Schauspielausbildung.
1964 holte ihn Helene Weigel an das Berliner Ensemble und nach ein paar Stationen in Erfurt und Karl-Marx-Stadt, wo er auch als Regisseur arbeitete, landete er 1975 als Schauspieldirektor in Magdeburg. 1980 schließlich fand er den Weg nach Halle zum Landestheater dort und ein Jahr später zum „neuen theater“. Und dort begann er die Kulturinsel aufzubauen. Das konnte nur einer wie er schaffen, einer, der ein Nein nicht akzeptierte, der notfalls selber Hand mit anlegte, der sich mit allen überwarf, die diesen Weg nicht bedingungslos mitgehen wollten. Heute nennt man das toxisch und vielleicht ist es das auch, aber ohne ihn hätte es keine Kulturinsel gegeben. Wenn man heute dort hingeht, dann, jedenfalls geht es mir so, staune ich über das, was entstanden ist. Mitten in der Stadt, nicht weit vom Marktplatz, ist ein Traumort für Theaterfreunde entstanden. Gerne trinke ich im Theatercafé einen Kaffee oder esse etwas, denn es ist dem Publikum, den Menschen zugewandt. Kein Tempel für die Kunst, sondern eine Möglichkeit für alle. Preise hat Sodann dafür bekommen und die Ehrenbürgerschaft der Stadt, aber die Stadtoberen haben ihm nicht den Wunsch erfüllt, dort nach 25 Jahren mit siebzig Jahren auszuscheiden. Sie schickten ihn schon vorher in die Wüste. Jedenfalls empfand er es so, als er 2005 schon gehen musste, ein Jahr vor der Zeit, und formulierte es auch laut und enttäuscht. Aber da war ja noch der Kommissar Ehrlicher, den er zwischen 1992 und 2007 gespielt hatte und der ihm so viel Ruhm beschert hatte, dass er auch über Halle und die DDR hinaus eine Berühmtheit geworden war.
Die Linke machte ihn 2009 zum Bundespräsidentenkandidaten und er holte immerhin zwei Stimmen mehr als sie Delegierte hatten. Ein kleiner Triumph, aber auch da war er wieder zu laut gewesen. Eine echte Demokratie sei dieses Deutschland nicht, hatte er gesagt. Und dann mit Norbert Blüm Kabarett gespielt. Er konnte sich immer noch und immer wieder aufregen, aber er setzte sich auch ein. Und er spielte in Filmen und im Fernsehen immer wieder große und kleine Rollen. Und dann sammelte er eben auch Bücher, die zwischen 1945 und 1989 in der DDR gedruckt worden waren. Drei bis vier Millionen waren es zuletzt. Davon eine Million in Staucha, wo er lebte. Zuletzt lebte er wieder in seinem Halle, mit dem er sich überworfen und wieder versöhnt hatte. Ein großer, kleiner, lauter Mann, der stets bestreitbar blieb und viel erreicht hat. Er wird fehlen.