Zahlen und zahlen lassen
Von Rudi Bartlitz
Das Milliardengeschäft mit der Fußball-EM in Deutschland – und seine Kehrseiten.
Ein Jubelfest erster Klasse soll sie werden, mindestens. Eines, das sich ins kollektive Fußballgedächtnis der Nation einbrennen soll. Mit der in dieser Woche beginnenden Europameisterschaft – immerhin Deutschlands größtes Sportereignis seit fast zwei Jahrzehnten – verbinden sich hierzulande jede Menge Hoffnungen. Sportliche wie ökonomische. Aber während die Erfolgsaussichten des schwarz-rot-goldenen Teams, trotz ansteigender Formkurve, noch in einem undurchsichtigen Nebel gehüllt sind, herrscht an der anderen Front bereits wesentlich mehr klare Sicht. Ja, ein großer Gewinner des Milliardengeschäfts steht fest, bevor der erste Ball überhaupt gespielt wird. Keine Überraschung, es ist die UEFA selbst, der europäische Verband, der Veranstalter des Spektakels.
Während dieser Tage vielerorts da-rüber spekuliert wird, ob sich erneut ein „Sommermärchen“ einstellt – anknüpfend an die WM 2006, als diese Republik kaum wiederzuerkennen war und sich von ihrer angenehmsten Seite zeigte –, sind beim UEFA-Kassenwart die Euro-Zeichen in den Augen unübersehbar. Die Einnahmen des Verbandes werden in einem Budgetbericht mit mehr als 2,4 Milliarden Euro angegeben. Der Gewinn wird mit 1,7 Milliarden Euro beziffert. „Das wäre“, merkt das Magazin „Spiegel“ an, „ein beeindruckender EM-Rekord“. Selbst wenn der Verband beteuert, ein Teil der Gelder fließe an die einzelnen europäischen Mitgliedsländer zurück.
Diese hohen Renditen erklären sich freilich nur demjenigen, der weiß, dass auf der anderen Seite jemand stehen muss, der die hohen Kosten eines derart Mega-Events trägt. Und das ist, da beißt die Maus keinen Faden ab, der deutsche Staat. Oder noch weiter heruntergebrochen: der Steuerzahler. Auf rund 400 Millionen Euro belaufen sich Medienberichten zufolge allein die Kosten für organisatorische Maßnahmen (Um-bau der Stadien, Fanfeste, Werbung u. ä.) zusammen. Hinzu kommt der gesamte Bereich der Sicherheit. Genaue Zahlen werden da nicht genannt. Sie dürften nach „Spiegel“-Recherchen aber bei mindestens 150 Millionen Euro liegen. Alles nach dem altbekannten Motto: Die UEFA kassiert die Einnahmen, auf den Kosten bleibt der Ausrichter weitgehend sitzen. Deutschland, so merkte die „Frankfurter Allgemeine am Sonntag“ nüchtern an, werde von der EM „finanziell kaum profitieren“.
Aber das ist längst nicht alles. Es gehört zu den Instrumenten der UEFA-Unterhändler, dass sie Bewerberkandidaten mit Garantier-Erklärungen konfrontieren, die letztlich darauf hinauslaufen, dass der Verband im Ausrichterland kaum Steuern zahlt. Der „große Bruder“ IOC lässt grüßen. Er agiert nach ähnlichem Muster. Bei Sportwettbewerben in Deutschland bewegt sich der normale Abgabensatz um 15 Prozent. Bei 1,7 Milliarden Gewinn beträgt das Steuergeschenk also rund 250 Millionen Euro. Nach Ansicht des führenden deutschen Sportphilosophen Prof. Gunter Gebauer nutzt die UEFA ihre Marktmacht „sehr brutal aus“. Entweder man „erfüllt die Kriterien, und dann kriegt man die Europameisterschaft. Oder sie werden nicht erfüllt, dann kriegt man die Europameisterschaft nicht. Das ist eigentlich eine Form von milder Erpressung.“
Und was ist nun für die Konjunktur zu erwarten? Die angeblich durch ein Ereignis wie die EM richtig befeuert wird. Das Institut der deutschen Wirtschaft verweist auf Daten für das „Sommermärchen“-Jahr 2006.
Sportliche Großereignisse seien demnach „kein Konjunkturfeuerwerk“. Aber positive „psychologische Effekte“ für den Standort, wie sie 2006 brachte, seien nicht zu unterschätzen. Ähnlich sieht es Prof. Oliver Holtemüller, der an Uni Halle Volkswirtschaft lehrt. Eine gelungene EM könne Deutschland im Ausland einen Imagegewinn bescheren, sagt er. Aber ein Konjunktur-Booster sei sie eben nicht. Fest steht: Den von Robert Habeck an anderer Stelle eingeforderten Standortpatriotismus lässt sich das Land einiges kosten.
Das gilt ebenso für die sogenannten „Host-Cities“, also jene zehn Städte, in denen Spiele stattfinden. Sie haben allerlei Anforderungen zu erfüllen – für die Organisation der offiziellen Fan-feste mit Public Viewing oder auch Anpassungen in den Stadien. Im Gegensatz zu manch anderem Turnier sind dieses Mal keine Neubauten nötig, teils aber Modernisierungen und temporäre Umbauten – nicht zuletzt, um ausschließlich Turnier-Sponsoren in den Stadien zu zeigen. Es ist nämlich nach dem UEFA-Geschäftsmodell verboten, dass in den Stadien und bei den Fan-Festen Sponsoren auftreten, die nicht mit dem Verband liiert sind. Außerdem müssen die Städte dafür sorgen, dass politisch oder religiös motivierte Demonstrationen unterbunden werden.
Wie es im Umgang mit internationalen Fußballverbänden so zugeht, redete sich kurz vor der EM Kult-Musiker Herbert Grönemeyer von der Seele. Im Interview mit dem Magazin „11 Freunde“ sprach er über seinen WM-Song für 2006 („Zeit, dass sich was dreht“) und gewährt dabei Einblicke in die Zusammenarbeit mit dem Weltverband FIFA. „Ich bekomme immer noch Geld von der FIFA für den Auftritt bei der Eröffnungsfeier. Bis heute! Es sind fast 45.000 Euro, die sie meinen Musikern und mir schulden“, kritisiert der 68-Jährige den Ausrichter der Weltmeisterschaft. In seinen Augen, so „Herby“, sei die FIFA ein „Gangsterverein“.
KOMPAKT
Für Siege in der Gruppenphase schüttet die UEFA Preisgeld aus. 331 Millionen Euro verteilt die Organisation insgesamt – dieselbe Summe wie bei der vorherigen Europameisterschaft. Für einen Durchmarsch mit sieben Erfolgen flössen dem Gewinner-Verband insgesamt 28,25 Millionen Euro zu. Sollte das DFB-Team am 14. Juli in Berlin den Titel holen, erhalten auch die Spieler eine Prämie. 400.000 Euro bekäme jeder – wie schon für den WM-Titel in Katar im Winter 2022 vereinbart worden war. Bei einem früheren Ausscheiden fällt die Prämie logischerweise geringer aus. So brächte ein Aus im Halbfinale den Spielern jeweils 150.000 Euro ein, das Erreichen des Viertelfinales 100.000 und der Gruppensieg 50.000 Euro. Nach dem Scheitern in der Gruppenphase musste der DFB nach der WM letztlich gar keine Prämie an die Spieler auszahlen, nahm aber eben auch selbst weniger ein.
Nr. 257 vom 11. Juni 2024, Seite 28
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