Stadtmensch: Bestraft
Lars Johansen
Mir ist es ein wenig unangenehm, wieder einmal mit ihm zu beginnen, aber nun ist es ja geschehen, eine Geschworenenjury vor einem New Yorker Gericht hat ihn in allen Punkten der Anklage für schuldig erklärt. Ohne zu lange zu überlegen und wie vorgeschrieben auch einstimmig fiel das Votum aus. Die Rede ist von Donald Trump, der somit zum ersten Ex-Präsidenten der Vereinigten Staaten wird, der rechtskräftig verurteilt worden ist und damit als vorbestraft zu gelten hat. Dabei ging es nicht mal um eine der großen Anklagen, die vor anderen Gerichten noch verhandelt werden müssen, sondern um die vergleichsweise kleine Petitesse, Schweigegeld für eine Prostituierte über umgewidmete Wahlkampfmittel beglichen zu haben. Dagegen sind die übrigen anhängigen Anklagen zwar sehr viel bedeutender, aber eben auch unverhandelt.
Eine rechtskräftige Verurteilung hat nicht einmal der wirklich zwielichtige Richard „Tricky Dick“ Nixon geschafft. Doch der beendete wenigstens seine Präsidentschaft durch einen Rücktritt. Trump dagegen besitzt, wenig überraschend, nicht den Anstand, von einer weiteren Präsidentschaftskandidatur zurückzutreten. Er hat immer noch die reelle Chance, diese Wahl zu gewinnen und Biden abzulösen. Es ist ohnehin ein Unding, dass zwei sehr alte Herren hier gegeneinander antreten. Eine zukunftsträchtige Lösung sieht anders aus. Viel erschreckender aber ist es für mich, dass die Geldspenden für Trump nach dem Urteil sogar noch anstiegen. Und es haben auch nur wenige Wähler davon Abstand genommen, ihn noch einmal zu wählen. Es scheint den Menschen egal zu sein, ob er erwiesenermaßen kriminell ist oder nicht. Und das zeigt auch, dass das Vertrauen in das Rechtssystem nicht besonders hoch zu sein scheint. Trumps Drohungen gegen Richter, Staatsanwaltschaft und Geschworene zeigen vor allem den komplett fehlenden Respekt vor diesen Institutionen. Vielleicht ist es das, was so vielen Amerikanern an ihm gefällt. Er greift Autoritäten an, stellt sie infrage und erschüttert sie. Dass es ihm dabei immer nur um seinen eigenen Vorteil geht, wird dabei scheinbar völlig ausgeblendet. Vielleicht ist es aber auch das, was Menschen beeindruckt: Dieser totale Egoismus, der ja mit seinem wirtschaftlichen Erfolg anscheinend belohnt wurde.
Mich erinnert er tatsächlich an eine Figur aus der römischen Geschichte, nämlich an Aulus Vitellius. Den muss man eigentlich nicht kennen, aber er ist mir irgendwie im Gedächtnis geblieben, als ich mich als Jugendlicher für die römischen Kaiser interessierte. Alle Bilder, die es von ihm gibt, zeigen eine aufgedunsene Figur. Es handelte sich bei ihm wohl um einen versoffenen und herrschsüchtigen Großtöner, der hinter allem Getöse nur ein Feigling, aber immerhin auch römischer Kaiser war. Nach dem Tod von Nero gab es ein Machtvakuum und so kam es im Jahre 69 nach Christus zum sogenannten Vierkaiserjahr. Galba, Otho und Vitellius folgten kurz hintereinander. Die Legionen mochten Vitellius wegen seiner robusten Sprache und so herrschte er von April bis Dezember. Aber dann kam Vespasian, besiegte seine Legionen und es heißt, dass Aulus Vitellius sich in einem Hundezwinger versteckt habe, um seinen Häschern zu entkommen. Doch er wurde entdeckt und zu Tode gefoltert.
Warum mich das an Trump erinnert? Weil auch er wie eine Übergangsfigur wirkt. Nach ihm muss jetzt etwas passieren, um die amerikanische Demokratie wieder in geregelte Bahnen zu führen. Biden ist keine wirklich gute Lösung, er ist ein viel zu alter Herr, der eine weitere Amtszeit vermutlich gar nicht bis zum Ende durchhalten kann. Dabei wäre ein starker Gegenpart zu Trump wichtig, denn das Misstrauen bei vielen Amerikanern sitzt tief. Das römische Reich schien 69 ebenfalls kurz vor dem Scheitern zu stehen, aber Vespasian vermochte, es zu konsolidieren. Nach ihm und seinen Söhnen sollte es mit den so genannten Adoptivkaisern noch einmal einen Höhepunkt erleben, bevor es dann allmählich begann, unterzugehen. Ich weiß, das ist lange her und vielleicht entzieht es sich auch einem solchen Vergleich. Aber es gibt eben auch unübersehbare Parallelen. Aulus Vitellius wurde von seiner ersten Ehefrau verlassen. Zur Strafe ließ er ihren zweiten Ehemann töten, denn er war kleinlich und rachsüchtig, eine unangenehme Person. Damit ihn die Menschen liebten, ehrte er sogar Nero und ließ dessen Theaterstücke wieder aufführen. Er wollte sich damit in eine Linie mit dem furchtbaren Tyrannen stellen.
Immer, wenn Trump mit spitzem Mündchen seine Verdächtigungen äußert und sein „Make America Great Again“ herauswürgt, muss ich daran denken. Er wäre so gerne einer der großen ehemaligen Präsidenten, Washington oder Lincoln, aber selbst Nixon war ein besserer Präsident als er. Und habe ich eigentlich schon einmal George W. Bush in diesem Zusammenhang erwähnt? Im Vergleich zu Trump erscheint er wie ein anständiger und zurechnungsfähiger Mensch. Warum ich all das aufzähle? Weil ich wirklich erschüttert bin, dass er immer noch so viele Anhänger hat. Und alle Erklärungen, die ich mir zusammenklaube, enden immer damit, dass ich die kollektive Intelligenz des Wahlvolks infrage stelle. Was mir nicht zusteht und wo ich mich vermutlich irre. Denn es ist arrogant, das zu denken. Und doch bin ich mindestens sehr verunsichert. Vielleicht geht mit seiner durchaus erwartbaren zweiten Präsidentschaft dann einher, dass liebgewordene Gewohn- und Sicherheiten zu Ende gehen. Und vielleicht ist das ja auch ganz gut. Vielleicht! Andererseits: Nach Aulus Vitellius ging es definitiv erst einmal aufwärts mit Rom.
Nr. 257 vom 11. Juni 2024, Seite 7
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