Römers Reich: Schäfchen folgen Hirten

Kürzlich ging eine Bekannte mit ihrem Enkel auf einen Magdeburger Spielplatz. Vorausgeschickt sei, dass der Vierjährige ein gewitztes Bürschchen ist. Aber er trägt noch Windeln und schläft nachts zwischen den Eltern im Familienbett. Auf die Rutsche traute sich der Junge nicht. Die Oma sollte mitrutschen. Auch die zwei Opas und eine Mutti, die mit ihrem Nachwuchs auf dem Spielplatz weilten, kreisten stets um die Kleinen, hielten Händchen, halfen bei Erklimmen des Klettergerüstes und halfen dem Nachwuchs auf, wenn dieser mal mit den Knien im Sand steckte.


Auf dem Spielplatz waren noch eine Menge anderer Menschen. Solche, die offenbar einen Migrationshintergrund haben – also wahrscheinlich nicht hierzulande geboren wurden. Man hörte es an ihrer anderen Sprache. Übrigens saßen diese Muttis im Kreis, hatten ein Picknick ausgebreitet und waren allesamt miteinander im Gespräch. Ihre Kinder tollten derweil auf den Spielgeräten. Man könnte auch sagen, sie entdeckten die Welt des Spielplatzareals auf ihre Weise. Miteinander und selbstständig machten sie Erfahrungen mit den Gegenständen, die Möglichkeiten, sie unterschiedlich einzusetzen oder zu erobern. Und sie loteten die eigenen physischen Potenziale aus, erlebten Grenzen und hatten sichtlich viel Freude dabei.


Für meine Bekannte war das Auffälligste dabei, dass die Knirpse allesamt fast einen Kopf kleiner als die Kinder der deutschen Großeltern und Mütter waren.


Das erlebte Geschehen ist ein auffallend gutes Beispiel, mit welcher Verhinderungsfürsorge wir unseren Nachwuchs auf das Leben vorbereiten. Alle gesunden kleinen Menschen sind mit denselben körperlichen und geistigen Potenzialen und Talenten ausgestattet, natürlich innerhalb einer gewissen Bandbreite. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heißt es in einer alten Redewendung. Ergänzt werden muss der Satz um die Worte: aber muss aufgehoben werden. Damit ist nicht gemeint, dass man Kindern überall und ständig aufhelfen, im Sinne von Unterstützung geben, sollte, sondern vielmehr, dass man sie motiviert, Selbstentdeckungen zu machen.


Heute wird oft gefragt, warum die Generation Z so anders geraten sei als ihre Eltern und Großelterngenerationen. Im Vergleich zu Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen kann man es beobachten. So wie bei der Szenerie auf dem Spielplatz. Motorische Fähigkeiten zu trainieren und Grenzerfahrungen in der Umgebung zu machen, sind wichtige Selbsterfahrungen. Etwas Neues anzufangen, in ein unbekanntes Milieu vorzudringen bzw. aus Fehlern oder Misserfolgen zu lernen, sind Grundlagen für das Fortkommen im Leben. Nun, wir haben uns wohl mehr aufs Behüten und Beschützen eingeschworen und wundern uns dann über Defizite bei Heranwachsenden und glauben vielleicht noch, dass es später Schule und Therapieangebote noch richten würden. Ich sehe die Gefahr, dass mehr Schäfchen einem Hirten folgten, als ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen.

          
Axel Römer

Nr. 259 vom 10. Juli 2024, Seite 3

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