Bin ich meine Dinge?
Der Mensch ist maßlos. Über die gesamte Lebenszeit hinweg sammelt sich ein unüberschaubarer Berg an Dingen an. Die Kritik an der modernen Konsumgesellschaft ist bereits jahrzehntealt. Dennoch wachsen die privaten Ausgaben weiter. Im Jahr 1991 betrugen sie in Deutschland insgesamt 867 Milliarden Euro. Bis 2023 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt, auf inzwischen 2,03 Billionen Euro. Nur in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 gab es eine kleine Delle beim Wachstum. Die Gesamtausgaben beinhalten ebenfalls die Kosten fürs Wohnen und den Energieverbrauch. 36 Prozent gibt ein deutscher Haushalt für die Wohnung und die benötigte Energie aus. Trotz aller Beteuerungen, dass wir nachhaltiger, energieeffizienter und ökologischer lebten, ist kein Rückgang bei den Konsumausgaben in Sicht. Natürlich speist sich das Wachstum ebenfalls aus der ständig steigenden Teuerungsrate. Mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine kletterte die Inflation zeitweise auf über 10 Prozent.
Doch es gibt andere Wachstumstreiber außer höhere Einkommen, steigende Preise, permanent neue Waren oder Modeberge im privaten Kleiderschrank. Pro Kopf verfügen wir Deutschen heute über 49 Quadratmeter (qm) Wohnfläche. Im Jahr der Deutschen Einheit waren es im Schnitt noch 39 qm. Ein wachsender Anteil an Singlehaushalten trägt zur Expansion der Wohnfläche bei. Allein in Sachsen-Anhalt liegt ihr Anteil mit fast 45 Prozent über dem Bundesdurchschnitt (43,4 %). In allen Bereichen expandiert der Mensch innerhalb der Industriegesellschaft im Platzanspruch und Warenverbrauch. Dass ein Mensch im Mittelalter gerade einmal 500 Dinge durch sein gesamtes Leben getragen haben soll, ist für uns heute unvorstellbar. Das Bundesamt für Statistik hat ermittelt, das heute jeder Mensch in Europa über 10.000 Dinge besitzt. In den USA soll es sogar bis zu dreimal so viel Krimskram sein.
Was machen die vielen Dinge aus uns? Sie kosten nicht nur Geld, verbrauchen – mindestens zur Herstellung – Energie, beanspruchen Platz und sind Zeitfresser. Gern zeigen wir mit dem Finger auf den bösen Kapitalismus, der uns mit einer Schwemme an Waren manipulieren würde, immer mehr haben zu wollen. Die Kritik ist allerdings eine enorm vereinfachte und das Wort Kapitalismus eine Floskel ohne konkrete Argumente. Dass sich die Wirtschaft entfalten kann, hat nicht nur mit ihr selbst zu tun, sondern eben mit den Ansprüchen, die Menschen an ihr Leben stellen.
Das ständige Wachstum drückt sich nämlich eindrucksvoll im privaten Bereich aus. Manchen reicht der Wohnraum nicht. Freizeitdomizile, Gärten, Wohnmobile, Boote oder ein ganzer Fahrzeugpark beanspruchen Platz. Worauf wir jedoch selten in dieser Entwicklung blicken, ist der Faktor Zeit. Ohne die Möglichkeit neben einem guten Einkommen, Dinge anzuschaffen, zu nutzen, zu pflegen, zu reparieren, sie von einem zum anderen Ort zu bewegen, benötigt man vor allem Zeit.
Die Jahresarbeitszeit sinkt weiter. Zuletzt wurde sie unter den Erwerbstätigen mit 1.343 Jahresarbeitsstunden angegeben. Teilzeit hat Hochkonjunktur. Freizeit ist das Maß der Dinge. Aber genau dieses Potenzial an Zeit ist Motor für das Ausweiten unserer privaten Einflusssphäre bzw. das Anschaffen von zahlreichen privaten Dingen, von denen wir meinten, dass sie die Freizeit nützlich ausfüllen würden. Ein großer Konsummotor ist offenbar die Illusion, dass wir in Sachen unsere Vorstellungen projizieren, sie würden für Momente etwas verbessern, bereichern oder nützen. Wir simulieren den Wert in die Dinge. Könnten wir rational auf solche Sachen schauen, würde uns sicher vielfach bewusst, dass sie reiner Zeitvertreib sind. Unter dem Strich verschenken wir also enorm viel Zeit, um diesen ganzen Dingeberg auszusuchen, zu erwerben, zu nutzen, zu pflegen oder um sie letztlich wieder zu entsorgen.
Warum Menschen sich häufig gestresst und angespannt fühlen, liegt auch daran, wie viele Dinge sie in ihr Leben integrieren. Jedes noch so kleine Stück hat Lebenszeit beansprucht. Diese Zeit steht dann oft nicht für gegenseitige Aufmerksamkeit, gemeinsame Entdeckungen oder für das eigentlich sozial und emotional wichtige Umfeld zur Verfügung. Der Trend zu einer weiteren Versingelung der Gesellschaft oder das Gefühl für einen zunehmenden Egoismus kann daher rühren, dass wir uns mit vermeintlich wichtigen angeschafften Dingen beschäftigen müssten. Deren Bedeutung und Existenz wir aus unserer Vorstellungswelt erzeugten.
Thomas Wischnewski
Nr. 259 vom 10. Juli 2024, Seite 13
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