Ich spreche Deutsch: Modewörter
Als kleine Steppkes waren wir immer Zuschauer, wenn die Fußballmannschaft unseres Dorfes gegen die eines anderen Dorfes spielte. Und wir wussten auch, wie der Spielstand war. „eins zu eins“ oder „zwei zu drei“, das war uns geläufig. Bei „zwei zu zwei“, also „unentschieden“, hörten wir manchmal von größeren und älteren Zuschauern auf die Frage „Wie steht’s?“ die Antwort „Zwei beide“. Das klang in unseren Ohren schon ziemlich hoch und gebildet, so weit waren wir Kleinen nicht mit unserem Geist.
So etwas, wie eben geschildert, fällt mir ein, wenn ich heute das Zählen der Punkte bei Volleyball-Spielen beobachte. Wenn Gleichstand ist, sagen wir mal „siebzehn zu siebzehn“, dann hört man nur noch „siebzehn Stand“. Es wirkt hierbei auch eine gewisse Sprachökonomie, also die Einsparung, nämlich dass die Zahl der Punkte für beide Mannschaften nur einmal genannt wird. Diese Ausdrucksweise ist jetzt üblich: „fünf Stand“ heißt eben, dass beide Mannschaften in diesem Augenblick fünf Punkte haben. Zu sagen „fünf beide“ oder „siebzehn zu siebzehn“, das ist dabei nicht üblich. Seit zwei, drei Jahren, so fällt mir auf, scheint sich eine neue Weise des Punktezählens durchzusehen, immer natürlich bezogen auf den gleichen Stand von Punkten: „siebzehn alle“, „fünf alle“. Es sind nach wie vor nur zwei Mannschaften auf dem Spielfeld, und auch die Zahl der Spieler hat sich nicht verändert: beim sogenannten Beach-Volleyball zwei Spieler auf jeder Seite des Netzes, beim Hallensport sechs Spieler. Es lässt sich nicht nachvollziehen, warum es zu dieser Änderung in der Sprechweise kommt. Vielleicht der Umstand, dass natürlich alle Spieler, und das bedeutet jeder Spieler, im Guten wie im Schlechten zu dem genannten Ergebnis beigetragen haben.
Vielleicht ist es auch nur eine Mode, in einer solchen Weise bei diesem Sport zu zählen. Es gibt eben Mode nicht nur in der Welt der Kleider, sondern auch in der Sprache. Da gibt es Wörter, Ausdrücke oder Wendungen, die vor einigen Jahren noch gar nicht existierten oder bereits existierten, aber wenig und kaum gebraucht wurden. Und dann, manchmal wie über Nacht, sind sie viel und häufig im Gebrauch. Irgendjemand hat sie, vielleicht sogar ohne große Absichten, also ganz unbewusst, benutzt, anderen gefielen sie, und sie haben diese Wörter aufgegriffen. Und in der Zukunft werden diese wahrscheinlich nicht ganz verschwinden, aber doch wohl weniger im Gebrauch sein werden. Wir wollen uns hier einige Wörter, Ausdrücke oder Wendungen ansehen, dabei aber nicht solche, die in einer übergroßen Zahl aus dem englischen Sprachraum zu uns gekommen sind. Wir beschränken uns auf solche, die tatsächlich unserer deutschen Sprache zuzurechnen sind, und auf solche, die zum Teil zwar aus fremden Sprachen ins Deutsche gelangt sind, die wir aber nicht mehr als Fremdwörter empfinden.
Kennzeichnend für solche Modewörter ist, dass sie gegenwärtig sehr häufig gebraucht werden, eben ‚in Mode‘, ‚modern‘ sind. Nehmen wir zu Beginn ‚es macht Sinn‘. Die Bedeutung dieser Wendung ist uns klar; modern ist hier die Verbindung ‚Sinn + machen‘. Gleichbedeutend sind ‚sinnvoll sein‘, ‚zweckmäßig sein‘, ‚es empfiehlt sich‘, ‚es wäre angebracht‘ und ähnliches. Vor 40 Jahren, da können wir überzeugt sein, würde diese Wendung ‚es macht Sinn‘ in einem Schüleraufsatz von der Lehrerin rot unterstrichen werden. Nicht auszuschließen ist, dass das englische ‚to make sense‘ als Vorbild für ‚es macht Sinn‘ genommen wurde.
Das Geschirrspülen gehörte, jedenfalls als es noch keine diesbezüglichen Maschinen gab, nicht unbedingt zu den angenehmen Aufgaben im Haushalt. Aber jetzt gibt es immer den großen Wunsch, dass viel gespült wird. Zum Beispiel bei den Kommunen. Sie wünschen sich, dass durch irgendwelche Reformen oder Maßnahmen ‚viel Geld in die Kassen gespült wird‘. In den Nachrichten des MDR-Hörfunks ist diese Wendung vom ‚Geld in die Kassen spülen‘ gang und gäbe.
Neulich berichtete ein junges Paar, wie sie sich einen Kleiderschrank gekauft und im Schlafzimmer aufgestellt haben. Abgesehen von den kleinen Schwierigkeiten, wie sie sich beim Zusammenbauen von Möbeln ergeben, ist das eine banale Sache. Aber Politiker und auch Unternehmenschefs, manchmal selbst die Polizei, behaupten, dass ihre Mannschaften ‚gut aufgestellt‘ sind. Damit wollen sie angeben, dass sie gut für die Zukunft gerüstet sind und eventuelle Schwierigkeiten überwinden können. ‚gut aufgestellt‘ – ein Modewort in einem solchen Kontext, natürlich nicht beim Aufbauen eines Schrankes. ‚schlecht aufgestellt‘ würde natürlich das Gegenteil bedeuten, eben ‚unfähig‘, ‚nicht in der Lage sein‘.
‚stemmen‘. ‚In unseren Plattenbauten war es nicht möglich, ein Loch in die Wand zu stemmen.‘ Ja, so sah die Bedeutung dieses Wortes bis 1990 aus, jedenfalls in der ehemaligen DDR. Und dann kamen die Westdeutschen und mit ihnen die neue Bedeutung dieses Wortes: ‚etwas bewältigen‘, ‚etwas schultern‘, ‚etwas meistern‘. ‚Nur die Starken konnten die Herausforderungen der neuen Marktwirtschaft stemmen.‘ ‚Ein Familienvater mit Frau und zwei Kindern kann solche Energiekosten nicht mehr stemmen.‘
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie häufig jetzt das Wort ‚final‘ gebraucht wird? Ich meine hier nicht das Finale eines Fußballspiels oder von anderen sportlichen Ereignissen. Nein, ‚final‘ dient zum Ersatz von ‚endgültig‘, ‚letztlich‘, ‚am Schluss‘, ‚abschließend‘. ‚Der Bau der großen Elbbrücke geht in seine finale Phase.‘ ‚Es musste abgewartet werden, bis die Medikamente die finalen Tests durchlaufen hatten.‘ ‚Die finale Entscheidung über die Waffenlieferungen behält sich der Bundeskanzler vor.‘ ‚Glasfaserkabel bieten die gegenwärtig höchste Geschwindigkeit in der Übermittlung von Daten. Das Beste ist dann, wenn der finale Anschluss FTTH (Fiber to the Home) realisiert wird.‘ (Werbung der Telekom für den Anschluss an Glasfaserkabel) ‚Am Mittwochabend wird Judith Rakers ein finales Mal durch die „Tagesschau“ führen.‘
„Ihr wart doch gestern auf der Party von Peter?“ – „Genau!“. ‚genau‘ ersetzt ‚ja‘, jedenfalls in dieser Situation. ‚genau‘ ist manchmal aber auch ein Füllwort. Wenn ich im Moment überlege oder nicht weiß, wie ich in meinem Redefluss einen Gedanken weiter von mir geben soll, dann kommt eventuell ‚genau‘ zum Einsatz. In einem solchen Fall hat es überhaupt gar keine inhaltliche Bedeutung, es soll lediglich dazu dienen, eine kleine Sprech- oder Denkpause zu überbrücken. Hier ist es ähnlich dem ‚halt‘, das insbesondere bei jungen Menschen in jedem gesprochenen Satz sogar mehrmals vorkommen kann und eindeutig als Füllwort zu bezeichnen ist. Auch ‚sozusagen‘ soll häufig eine solche Funktion erfüllen und hat dabei in der Kommunikation keinen Wert, außer wenn es wirklich mit der Bedeutung ‚um etwas so zu sagen‘ gebraucht wird, womit ein Vorgang, ein Objekt oder ähnliches bildlich anschaulicher, im Vergleich zu etwas anderem, gemacht werden soll.
Wenn Sie auch öfter Talkshows im Fernsehen sehen, dann könnte Ihnen auch ein Satz wie der folgende aufgefallen sein: „Ich bin bezüglich der Waffenlieferungen bei Ihnen.“ Es geht uns hier nicht um die Waffenlieferungen, sondern um das ‚bei Ihnen sein‘. Nicht, dass die Person, die sich so äußert, neben dem Vorredner sitzt oder zu ihm hingeht, nein, diese Person ist ganz einfach mit dem Vorredner in der genannten Sache der gleichen Meinung. Das wird eben nicht mit ‚Ich bin auch dieser Meinung‘ geäußert, sondern mit ‚Ich bin bei Ihnen‘. Ein Modewort, oder, hier mehr zutreffend, eine Modewendung. Und Modewörter und Modewendungen können auch schnell wieder verschwinden. Neulich hörte ich da auch: „Ich bin mit Ihnen d’accord.“ Also eine Anleihe aus der französischen Sprache: accord = Zustimmung, Einverständnis; d’accord = einverstanden, der gleichen Meinung.
Die Damen unter unseren Lesern wollen wir nicht verletzen. Aber ich erinnere mich aus weit zurückliegender Vergangenheit, dass unter Männern über manche weibliche Wesen gesagt wurde: „Na, die ist ja geil.“ Damit war gemeint, dass es da schnell weiter ging als nur ums Händchenhalten. Vielleicht haben auch Frauen unter sich so geäußert: „Dieser geile Bock wollte mich doch angrapschen.“ Die Richtung, liebe Leserinnen und Leser, ist klar. Aber eine solche Bedeutung von ‚geil‘ scheint der Vergangenheit anzugehören. Von Kindern, Jugendlichen und ab und zu auch von Erwachsenen können Sie ‚geil‘ als Ausruf der Verzückung, des Beifalls, der Anerkennung hören. In einer Zeitungsannonce suchte ein Unternehmen Arbeitskräfte und bot darin ‚geile Arbeitszeiten‘ an.
Zum Schluss bringen wir aus dem Sybilles Modelexikon „ABC der Mode“, herausgegeben vom Verlag für die Frau, Leipzig 1968, einen Auszug aus dem Stichwort ‚Mode‘: „Mode ist als Begriff eine wörtliche Übernahme aus dem Französischen (la mode) und bedeutet das dem wechselnden Zeitgeschmack Gemäße, besonders in Bezug auf die Kleidung; aber auch Schriftsteller, Künstler, Gesellschaftsspiele, Begrüßungsformen können in Mode sein…“ Wir können hinzufügen, dass es Mode auch in der Sprache gibt!
Dieter Mengwasser
Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer
Buch-Tipp: Die Beiträge von Dieter Mengwasser sind als Buch unter dem Titel „Ich spreche Deutsch! – Sprachbetrachtungen eines Sprachkundigen“ erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder im Online-Shop bestellt werden.
Nr. 259 vom 10. Juli 2024, Seite 26
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