Standpunkt Breiter Weg:
Es ist Krieg! Wir haben Urlaub!
Die USA wollen 2026 Langstreckenraketen und Marschflugkörper in Deutschland stationieren. Damit soll Russland abgeschreckt werden. Es handele sich dabei um sogenannte konventionelle Waffen und keine Atomraketen. Die gibt es an US-Army-Standorten ohnehin. Das Wettrüsten, wie es im Kalten Krieg zwischen Ost und West betrieben wurde, ist zurück. Die deutsche Regierung begrüßt den „Abschreckungs“-Aspekt, allen voran die Grüne Außenministerin Annalena Baerbock.
1980 wurden die Grünen gegründet, und ihr Fundament war beispielsweise eine Folge der Aufrüstung und des NATO-Doppelbeschlusses von 1979, in dessen Folge US-Atomwaffen in Europa als Antwort auf die Stationierung russischer SS-20 Mittelstreckenraketen aufgestellt wurden. Die dadurch entstandene Friedensbewegung veranstaltete die bis dahin größten Massendemonstrationen in verschiedenen Staaten. Es gab es die Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten 1981 (10. Oktober; 350.000 Teilnehmer), in Amsterdam (21. November 1981; 400.000), die Friedensdemonstration in Bonn 1982 (10. Juni; 500.000), die No Nukes Rally in New York City (12. Juni 1982; 1 Million), die Aktionstage im „Heißen Herbst“ 1983 (22. Oktober: bundesweit 1,3 Millionen; 29. Oktober: Den Haag 550.000; Lissabon 200.000; Kopenhagen 100.000; Wien 70.000; weitere Städte 100.000). Welche Reaktionen gibt es in Deutschland heute? Urlaubszeit.
Übrigens war Helmut Schmidt 1958 als SPD-Wehrexperte noch gegen eine atomare Aufrüstung in Europa eingetreten. Als Bundeskanzler hatte er seine Meinung geändert. Offenbar ist das die Logik von Regierungspolitik, wie es heute auch die Grünen gleichtun.
Landauf, landab vernimmt man das virtuelle Wettern unter Deutschen gegen „Kriegstreiberei“. Aber was, außer Buchstaben-Bits und -Bytes und Stromverbrauch wird da erzeugt? Protest, der sich heute auf Social-Media-Kanälen entlädt, ist Ausdruck moderner Bequemlichkeit. Ich bin dagegen, habe aber keine Lust oder Zeit, meine Meinung auf die Straße zu tragen – so muss man es doch verstehen. Wir haben Ferien und Urlaubszeit! Freizeit ist ein Sanktuarium. Ein Eintreten für Frieden und Abrüstung stört die Kreise des deutschen Freizeit- und Vergnügungsvolkes.
Es existiert schon lange der Protest gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Sein Argument baut auf den Aspekt von Kriegsverlängerung und Inkaufnahme Tausender weiterer Tote, Leid und Zerstörung. In der Ukraine sterben Menschen während hierzulande Spaßvideos und Fußball-Ergebnisse diskutiert werden. Der Inhalt des Schreckens ist von lustigen Clips nur ein Wisch über den Bildschirm entfernt. Es ist so leicht, der Wirklichkeit zu entfliehen. Und die Erfahrungen von Kriegsgenerationen liegen still gebettet auf Friedhöfen.
Oft hört man den Vorwurf: Habt Ihr aus der Geschichte nichts gelernt! Es zeigt sich offenbar, dass historische Lehren im Alltagstreiben ertrinken. Es muss sich also niemand wundern, wenn oben entschieden wird, was gut fürs Volk ist. Aktuell ist das Aufrüstung und Militarisierung. Und die bunte, vielfältige, friedliche Republik, die wir allerorten herausposaunen, lässt sich die potenziellen Waffen eines eigenen Untergangs im Taumel ihrer Unterhaltungssucht unterjubeln.
Thomas Wischnewski
Nr. 260 vom 23. Juli 2024, Seite 2
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