Bitter-süß, aber verdaulich

Ines Lacroix steuert mit den Programmen im Theater an der Angel wider den Trübsinn der Zeit. Im Interview mit der KOMPAKT ZEITUNG bekennt sie, wie sich Bedingungen für die freie Kulturszene verändern und mit welchen Laborversuchen die Angler dagegen steuern.

Ines Lacroix im Hof der Zuckschwerdtschen Villa
Foto: Peter Gercke

Kompakt: Frau Lacroix, ganze drei Jahre lang lagen über dem Land Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie. Viele Menschen in vielen Bereichen durchlebten eine schwierige Zeit. Auch die Kulturschaffenden waren davon betroffen. Hat sich das Leben nach über einem Jahr für Sie normalisiert?
Ines Lacroix: Seit Corona gibt es keine Normalität mehr. Was auch immer darunter verstanden werden soll. Die Phase hat Menschen enorm verändert. Jugendliche, die in diesem Alter Spaß, Unterhaltung, Kunst und Kultur entdecken, wurden in Virtualität gezwungen. Da wurde viel zu wenig Interesse am richtigen Leben geweckt, z. B. wie beim Ringelnatz als „Schönes Scheitern“.

 

Holen junge Menschen solche Entdeckungen nicht nach?
Ich sehe das nicht in ausreichendem Maße. Junge Generationen taumeln durch den Nebel der Online-Welten. Das ist jedoch nicht der einzige Aspekt, von dem auch die freie Kulturszene betroffen ist.

 

Welche sehen Sie außerdem?
Die liegen doch auf der Hand: Da sind die allgemeinen Preissteigerungen, höhere Energiekosten, mehr Menschen haben weniger in der Tasche und so weiter. Wir werden von multikomplexen Krisen durchgeschüttelt. Da ist für jeden etwas dabei, eben auch für unser kleines Theater.

 

Ihre Aufführungen sind nicht ausgelastet?
Unsere Vorstellungen sind sehr gut ausgelastet. Aber so schnell wie sich Einkaufspreise, Personalaufwendungen, Lizenzkosten et cetera ändern, können wir gar nicht die Preise anpassen. Unser Vorverkauf läuft oft über Monate. Wollen Sie als Theaterbesucher am Eingang mit einer Nachzahlung empfangen werden? Ein gekauftes Ticket ist ein Vertrag. Den kann ich nicht einfach unterlaufen, ohne verklagt zu werden (darauf würde ich gern verzichten). Und das wären schon wieder zusätzliche Kosten. Ich glaube, über solche Dinge macht man sich in der Politik keine Gedanken. Jedenfalls höre, lese und sehe ich das nicht.

 

Während der Corona-Maßnahmen wurde von allen Seiten beteuert, dass der Kulturbereich lebenswichtig für die Gesellschaft sei.
Sicher. Das galt für viele Bereiche. Sehen Sie heute noch Menschen, die dem Pflegepersonal in Krankenhäusern Beifall spenden?

 

Wohl kaum.
So ist der Zustand für die Kultur auch. In der Corona-Phase gab es finanzielle Unterstützungen. Aber die bekamen berechtigterweise viele Branchen. Das war gut so. Mit allen Folgeproblemen steht man allein da. Heute kommen mir die einstigen Beteuerungen über die Lebenswichtigkeit von Kultur und Kunst eher wie eine politische Phrasendrescherei vor. Die Solidaritätsbekundungen mit dem Spruch „Ohne Kunst und Kultur wird’s still“, die unzählige Menschen in ihren Profilen auf Social-Media-Kanälen gezeigt haben, diese Menschen sollten sich fragen, wo sie heute sind und welche Prioritäten sie setzen? Keinem Menschen ist geholfen, weil millionenfach Unterstützungslosungen veröffentlicht werden.

 

Das Theater an der Angel ist doch schon lange eine kulturelle Institution in der Landeshauptstadt. Seit 2001 ist die Zuckschwerdtsche Villa Spielstätte und erfreut sich einer Besucherschar, die teils von weither anreist, um die Aufführungen zu sehen. Das ist eine Erfolgsgeschichte, das sind Bretter, die die Welt bedeuten.
Natürlich. Darauf blicken wir, Matthias Engel, Axel Rüther und ich mit gewissem Stolz. Und wir wollen uns weiter mühen, unserem Publikum etwas Außergewöhnliches zu bieten. Das ist unsere Passion. Aber die Rahmenbedingungen, unter denen man ein freies Theater betreiben kann, sind enorm schwierig geworden, sind an Dramatik, selbst mit dem besten Skript, nicht mehr zu überbieten. Viele Menschen spüren doch, dass die existenziellen Grundlagen instabiler werden. Es rührt sich nur kaum etwas bzw. es gibt manches Schulterzucken. Darin zeigt sich eine gewisse Ohnmacht.

 

Und wie steuert Ihr gegen den Trübsinn?
Wir antworten wie immer auf Fragen an das Leben mit guter Unterhaltung. Dazu gehört zum Beispiel das jetzt startende Programm „Das alte Lied der Liebe – Von Kopf bis Fuß …“ als eine musische Betrachtung der pornografischen Stummfilmzeit. Hier kommen wir in einer heißen Sommernacht den Musen in Wort, Bild und Ton mit Anstand unanständig nahe. Im September rücken wir anlässlich seines 300. Geburtstages den berühmten Odendichter Friedrich Gottlieb Klopstock in den Mittelpunkt. „Klopstock trifft auf der glücklichen Insel die Karschin“ – über ihn und seinen Aufenthalt auf dem Magdeburger Werder, den er liebevoll seine glückliche Insel nannte, wird an diesem Spätsommernachmittag berichtet. Wir haben angefangen, unser Haus als Location für private Feste zu „verkaufen“. Anfragen erwünscht!

 

Ist Euch Theaterarbeit eine Therapie gegen die Schwermut der Wirklichkeit?
Theater ist immer für alle – Macher und Besucher – eine Therapie. Wir setzen in unserer Arbeit nicht auf eine pädagogische Moralbühne. Wir versuchen stets nur einen Spiegel aufzubauen, in dem sich jene sehen, die das auch wollen. Das ist ja gerade der therapeutische Ansatz. Man muss den Figuren schon mit Selbstreflexion begegnen können.

 

Also liegt eigentlich noch genug Arbeit vor Euch. Die gesellschaftlichen Misslichkeiten wachsen doch stets auf denselben Fundamenten.
Da könnte ich mit dem ollen Goethe antworten: Es irrt der Mensch solang er strebt. Wer schon weiß, wie alles wird, kann doch die Hände in den Schoß legen. Mir missfallen die modernen Prediger, die den Ausgang der Welt schon berechnet haben und anderen die Entdeckungen mit sich und anderen vordenken wollen.

 

Das Theater an der Angel bleibt also ein Labor des Lebens, in dem Elixiere angerührt werden, deren Wirkung erst noch erprobt werden muss?
Das Wort Labor gefällt mir ganz gut, wobei wir hier eher als Alchimisten, denn als Wissenschaftler auftreten. Heute wird oft der Eindruck vermittelt, als sei der Mensch auserzählt. Wir wissen oft gar nicht, wo wir mit der Erzählung anfangen sollen. Dennoch: Die Sicherheiten, in der freien Szene eh ein ambivalenter Begriff, die sich uns einst boten, haben sich verflüchtigt. Es ist ein bisschen wie Trampolinspringen. Rauf und runter, solange der Kreislauf mitmacht auch eine schöne Beschäftigung. Deshalb spielen wir stets im Spannungsraum zwischen Tragik und Komik. Dabei soll ein Theatererlebnis herauskommen, das wie das Leben bitter-süß schmeckt, aber immer gut verdaulich ist.

Fragen: Thomas Wischnewski

Nr. 260 vom 23. Juli 2024, Seite 11

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