Gedanken- & Spaziergänge im Park: Unartige Kinder und Parolen
Von Paul F. Gaudi

Im Stil einer alten und strengen Kindergartentante von anno dunnemals hat Frau von der Leyen ihren braven Kindern, den Kommissaren der EU, untersagt, mit dem bösen ungarischen Jungen Viktor Orbán zusammen zu spielen, weil der ohne Erlaubnis von Tante von der Leyen mit den Schmuddelkindern Putin, Xi Ping und Trump kurz zusammengesessen und mit ihnen gesprochen hatte. Und sogar darüber, ob es nicht vielleicht besser wäre, sich wieder zu vertragen! Es ist nicht zu fassen. Statt froh darüber zu sein, dass wenigstens der Versuch zur Schaffung eines Gesprächskanals gemacht wurde, bei dem sowieso keinerlei Beschlüsse gefasst werden können, ordnet von der Leyen eine Art Boykott von Ungarns Ratspräsidentschaft an, indem sie ankündigte, dass an künftigen informellen Ministertreffen unter der Leitung Orbáns keine Kommissare, sondern nur ranghohe Beamte teilnehmen sollen. Zudem verzichtet die EU-Kommission gemäß Weisung ihrer Chefin erstmalig (!) auf den traditionellen Antrittsbesuch bei der ungarischen Präsidentschaft. Das ist eine Brüskierung Ungarns und seines Präsidenten sondergleichen! Ungarn wird fast wie ein Feindesland behandelt. Für wen hält sich von der Leyen eigentlich? Sie ist doch nur eine für fünf Jahre widergewählte Präsidentin der EU, eines Staatenbundes, und nicht die Kaiserin eines Bundesstaates Europa! Ist das noch die fast absolutistische und „alternativlose“ Merkel’sche Schule, wie sie z. B. nach der Ministerpräsidentenwahl 2020 in Thüringen sichtbar wurde, die sie geprägt hat? Man kann nur hoffen, dass die neugewählten Europaabgeordneten ihr zeigen werden, dass auch ihre Macht begrenzt ist.
Der links-kritische Franzose
Gerd ist recht froh, dass die Fußballeuropameisterschaft ein Ende hat und Deutschland im Viertelfinale ausgeschieden ist. „So blieben wir doch von einer nationalistischen und völkischen Schwarz-Rot-Gold-Welle verschont, die die Bundeszentrale für politische Bildung in einem inzwischen zurückgezogenen Video fast befürchtete.“ Aber auch als Gastland gab es für Deutschland nicht nur Gutes zu hören. Die Deutschen selbst und ihr Bier kamen sehr gut weg, aber Ausländer, die ihr Deutschlandbild mit Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit verknüpft hatten, wurden bitter enttäuscht. „Gelsenkirchen ist ein Drecksloch“, schrieb ein Engländer und über die Bahn war von den Gästen kaum etwas Gutes zu lesen, worin wir mit ihnen durchaus einer Meinung sind. Auch der Flughafen unserer Hauptstadt war zum Endspiel total überfordert. Manche Maschinen mussten längere Zeit kreisen, ehe sie die Landeerlaubnis bekamen, und ein paar Flüge wurden sogar nach Leipzig umgeleitet, von wo die Fans dann mit der Bahn nach Berlin reisen mussten.
Anfänglich schien nach der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich bei uns große Befriedigung darüber zu herrschen, dass der Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen nur die drittstärkste Kraft wurde und das links-grüne Bündnis NFP (Neue Volksfront) noch vor dem konservativen-bürgerlichen Bündnis (Ensemble) Macrons Wahlsieger wurde. Dieser „Wahlsieg“ über Le Pen gelang nur durch einen Trick und wird den beiden beteiligten Bündnissen noch übel aufstoßen. Die beiden Blöcke hatten nämlich vor dem zweiten Durchgang abgesprochen, jeweils nur den Kandidaten aufzustellen und zu wählen, der von beiden die größeren Chancen hätte. Die Folge ist, dass Frankreich derzeit vermutlich kaum regierbar sein wird, da keine der drei Blöcke über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt und die beiden Blöcke, die die Wahlabsprache trafen, eigentlich nicht das Geringste miteinander gemein haben, außer den Wunsch Rassemblement National und Marine Le Pen nicht an die Macht kommen zu lassen.
Diese eine Gemeinsamkeit wird nicht ausreichen, da sie ansonsten einander eher spinnefeind sind. So kam z. B. in Avignon der von der Polizei als gewalttätig eingestufte Antifa-Führer Raphaël Arnault zu einem Sitz in der Pariser Nationalversammlung, was die konservative Gruppe kaum freuen wird. Der starke Mann des links-grünen Bündnisses ist Jean-Luc Mélenchon. Der Linksaußenpolitiker ist bekannt für seine ablehnende und zum Teil auch feindliche Haltung gegenüber Deutschland. Die Wiedervereinigung bezeichnete er einmal als „illegale Annexion“ der DDR. Er ist palästinenserfreundlich und ausgesprochen kritisch gegenüber Israel, um es milde auszudrücken. Die NATO lehnt er ab und äußerte sich stets russlandfreundlich und gegen die Ukraine. Auch der EU gegenüber ist Mélenchon sehr kritisch und lehnt den Brüsseler Zentralismus ab.
„Schwer einzusehen, warum unsere Regierungsparteien sich über diesen Sieg in Frankreich so freuen. Denn wenn man von den sozialen Phantastereien Mélenchons, die 32-Stundenwoche und sechs Wochen Urlaub im Jahr, einmal absieht, dann ähneln doch viele seiner Standpunkte sehr den Auffassungen, die ständig der AfD vorgeworfen werden“, sagte ich. „Naja, wenn es von links kommt, ist es eben immer gut. Für manche ist es offenbar wichtiger, aus welcher Richtung etwas kommt, als was es beinhaltet“, meinte Gerd dazu. Wie dem auch sei, die Regierungsbildung in Frankreich dürfte spannend werden, da beide Gruppen sich in fast jedem Bereich krass unterscheiden. Kompromisse dürften nur von kurzer Dauer sein und womöglich gibt bald wieder Neuwahlen.
Zwischen Recht und Moral
Frau Faeser hat wieder einmal kräftig antifaschistisch zugeschlagen und die Firma, die das politische Monatsmagazin „Compact“ herausgibt, samt ihren Produkten verboten. Man fragt sich, ob wieder einmal öffentlichkeitswirksam mit Kanonen auf Spatzen geschossen wurde. Compact hat gerade mal eine Auflage von ca. 40.000 Exemplaren im Monat. „Die Zahl bedeutet aber nicht, dass alle verkauft würden“, warf Gerd ein. „In meinem Zeitungsladen blieb sie immer liegen und ich kenne niemanden, der diese Zeitschrift überhaupt kennt.“ Ob das eine kluge Maßnahme war, wird sich erst zeigen. CDU-Funktionäre klatschen zwar Beifall, aber der Journalist Deniz Yüzel, der eher links steht, kritisiert diese Maßnahme deutlich und meint, dass hier nicht zwischen Recht und Moral unterschieden würde. Er schrieb wörtlich in der „Welt“: „Mit moralischem Rigorismus und hemdsärmeliger Auslegung von Grundrechten kann man Twitterdebatten führen, aber kein Ministerium. Wer dies versucht, schadet der Demokratie mehr als es das Compact-Magazin … könnte.“
„Aber es war doch eine Maßnahme gegen Hass und Hetze!“ „Da du das gerade sagst,“ unterbrach Gerd mich, „Maß und Mitte, Hass und Hetze sind Stabreime. Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun tuem. Diesen Satz aus dem Anfang des Hildebrandsliedes, den uns mein Deutschlehrer als Beispiel des Stabreimes zitierte, werde ich nie vergessen. Die gesamte altgermanische Versdichtung verwendete den Stabreim, bis er durch den Endreim abgelöst wurde. Unsere Politiker verwenden diese urgermanische Wortkombination doch häufig im Kampf gegen rechts. Ist das nicht etwa völkisch, habe ich mich da gefragt. Oder gar Nazi-Vokabular? Ein Rechtsanwalt aus Berlin, Herr Neuhof, fragte sich das auch und wurde fündig: Am 28. Dezember 1939 titelte die Zeitung „Der Gemeinnützige“: „Deutscher Geist gegen Haß und Hetze“. Eine Nazi-Zeitung am 3. November 1935: „Da, wo die Grenzen von Herkommen, Stand, Beruf zur großen Gemeinschaft zusammengeschlossen sind, haben Haß und Hetze zu schweigen.“ Und das Rheinische Volksblatt schrieb am 29. Oktober 1937 über Goebbels: „Im Jahre 1925 übernimmt er zugleich die Geschäftsstelle der Partei. Täglich und stündlich kämpft er für seine Weltanschauung, gegen Haß und Hetze…“ Du siehst also, die Nazis gebrauchten eben diesen Stabreim sehr gern.
„Alles für Christus!“
Dieser findige Rechtsanwalt fand aber in den Archiven noch etwas ganz anderes. Du weißt doch, weshalb Björn Höcke kürzlich verurteilt wurde? Nun, Herr Neuhof fand, dass früher auch Politiker anderer Richtungen diesen verfemten Satz schrieben: Der Iserlohner Kreisanzeiger titelte am 22. Juni 1923 auf Seite 1: „Alles für Deutschland! Eine Erklärung der christlichen Gewerkschaften“. In den sozialdemokratischen Zeitungen „Volkswacht“ und „Reichsbanner“ ist im Dezember 1931 ein Brief des Reichsbannergründers Otto Hörsing (SPD) abgedruckt, der den Satz enthält: „Es bleibt bei unserer alten Parole: Nichts für uns – alles für Deutschland!“ Auch die Zeitung „Volkswille“ (Organ der SPD) schrieb am 4. Februar 1932: „Hinein ins Kampfjahr 1932 mit der Parole der Eisernen Front. Nichts für uns, alles für Deutschland.“ Das Niederrheinische Tageblatt zitierte am 4. März 1933 den Aufruf des Erzbischofs von Breslau im Hinblick auf die anstehenden Reichstags- und preußischen Provinziallandtagswahlen im März1933: „… Da-rum am kommenden Sonntag: Alles für Deutschland. Alles für Christus!“ „Man kann nur hoffen, dass die Archive weiter zugänglich bleiben“, sagte ich zum Abschied.
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter kompakt.media bestellt werden.
Nr. 260 vom 23. Juli 2024, Seite 8
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