Ein Gespür für Beuys
Die WOBAU Galerie öffnet am 15. Oktober ihre Pforten und widmet die erste Ausstellung Joseph Beuys – einem bedeutenden und kontroversen Künstler, der unter anderem für seine „Aktionen“, Installationen und Zeichnungen bekannt ist. Nele Wahner-Willems, Beuys-Schülerin, erinnert sich an ihre Zeit an der Kunstakademie Düsseldorf zurück.
Von Tina Beddies-Heinz
Unaufgeregt wirkt Nele Wahner-Willems, wenn sie von ihrer Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf berichtet. Als sei es alltäglich, dass der Mentor ein – schon damals – bedeutender Aktionskünstler, Bildhauer, Zeichner und Kunsttheoretiker war. In Solingen geboren, in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen, studierte sie von 1971 bis 1976 Bildende Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf. „Düsseldorf war schon immer eine Kunstakademie, die aus der Reihe tanzte – es gab viele Kontroversen“, sagt Nele Wahner-Willems und ergänzt: „Damals knisterte es überall, das waren andere Zeiten.“
Ihr Mentor vertrat beispielsweise die Ansicht, dass alle, die Kunst studieren möchten, nicht durch gewisse Zulassungsverfahren daran gehindert werden sollten. In einer Konferenz war Anfang 1972 die Klassengröße auf 30 Studenten begrenzt worden – im Sommer erhielten knapp 230 Bewerber eine Zu-, 125 eine Absage. Mit den abgewiesenen Studenten besetzte Joseph Beuys das Sekretariat der Akademie, woraufhin ihn der damalige Wissenschaftsminister Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau, fristlos entließ. Hungerstreiks, Vorlesungsboykotts und Protestaktionen waren die Reaktionen seitens der Studenten, bekannte Persönlichkeiten wie Heinrich Böll, Peter Handke und Gerhard Richter forderten in einem offenen Brief seine Rückkehr an die Akademie – das Medienecho war groß.
„Ich war Teil der letzten Klasse, die Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf hatte“, erzählt Nele Wahner-Willems. Und ihren ersten Tag werde sie nie vergessen. „Weil ich wusste, dass es voll werden würde, bin ich sehr früh hingegangen und fand leere Räume vor. Es gab einige wenige Tische und Hocker – sonst nichts.“ Nach 10 Uhr sei es schließlich voll geworden, der Professor habe die Räumlichkeiten durchschritten und sich von den neuen Studenten Arbeitsproben zeigen lassen. „Es gab keine ausführlichen Gespräche, keine Worte der Zustimmung. Man brauchte ein Gespür für ihn, musste ihn beobachten, ihn lesen lernen, um von ihm zu lernen. Wie lange er sich etwas ansah, war Rückmeldung genug. “
Klassischer Unterricht habe bei Joseph Beuys nicht stattgefunden. Technik wurde ebenso wenig vermittelt wie Aspekte der Kunstgeschichte. Die Studenten mussten sich die Grundlagen selbst erarbeiten, experimentieren, ausprobieren, eigene Ideen verwirklichen. „Wir mussten wissen, was wir wollen. Beuys vertrat die Meinung: ‚Wem nichts auf der Seele brennt, braucht auch nichts zu machen‘.“ Während Nele Wahner-Willems sich mit den Methoden ihres Mentors anfreunden und ihren Nutzen daraus ziehen konnte, taten andere sich schwer. „Wir waren mit uns selbst konfrontiert. Kein anderer kann einem eine essenzielle Aufgabe geben. Das war ein harter Weg und viele sind daran gescheitert.“ Zwei Handvoll Studenten seien schließlich übriggeblieben. „Wir haben alles untereinander organisiert, uns beispielsweise mit dem Portraitzeichnen beschäftigt. Die einzige Anmerkung, die von Beuys kam, war der Hinweis, dass man beim sitzenden Menschen auf die Achse und die Beziehung der Körperteile zueinander achten müsse, gespickt mit einem Goethe-Zitat.“
Überhaupt griff Joseph Beuys nie ein, vielmehr zog er Vergleiche, gab Hinweise. Die konnte man annehmen – oder auch nicht. „Einmal habe ich mich einer Plastik gewidmet – ein Mensch, kam jedoch mit dem Körper nicht klar. Das Einzige, was er zu mir sagte: ‚Ein Brustkorb ist wie ein Bienenkorb‘. Und das reichte mir, das half mir schon weiter“, schildert Nele Wahner-Willems, die auch heute noch künstlerisch tätig ist, „wenn es mich überkommt. Wenn ich das Gefühl habe, ich müsse mich mit mir selbst, mit der Welt und dem Geschehen auseinandersetzen.“
Dass ein Mensch wie Joseph Beuys, der 1986 starb, heute fehlt, steht außer Frage. „Der Mensch ist bequem, der Mensch ist ein Herdentier – das hat er versucht zu durchbrechen. Seine Denkweise fehlt gerade in der heutigen Zeit. Seine künstlerische Arbeit war immer mit der Reflexion verbunden, was bin ich als Mensch? Was ist meine Aufgabe? Und wie möchte ich in die Gesellschaft hineinwirken? All das hat er uns auf seine Weise vermittelt“, erzählt Nele Wahner-Willems und fügt an, dass die Kunst heute oft zu wenig Kanten aufweise.
Gern hätte die Beuys-Schülerin, die auch eine umfangreiche Musikausbildung genossen hat, in Kunstgeschichte promoviert. „Aber Geld zu verdienen, stand damals im Vordergrund.“ Nach dem Studium der Bildenden Kunst in Düsseldorf, studierte sie ab 1976 in Bonn Germanistik auf Lehramt, Kunstgeschichte und auch Niederländisch sowie Komparatistik. Ein zweijähriges Referendariat folgte, und schließlich wurde sie als Deutschlehrerin ans Mädchengymnasium in Kleve, wo Joseph Beuys aufgewachsen war, berufen. Aufgrund fehlenden Personals im Kunstbereich hatte sie die Möglichkeit, ihren beruflichen Schwerpunkt zu verlagern. „Wir haben viele Projekte initiiert, mit Musikern zusammengearbeitet, Theaterstücke auf die Beine gestellt und die Kulissen dafür gemalt.“
Anfang der 1990er Jahre zog Nele Wahner-Willems mit der ganzen Familie nach Magdeburg, weil ihr Mann Winfried Willems – Staatssekretär a. D. – beim Aufbau des Ökumenischen Domgymnasiums involviert und später dessen Oberstudiendirektor war. Die ehemalige Beuys-Schülerin war auch selbst als Schulleiterin des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Weferlingen tätig. „Meinen Schülern habe ich stets versucht, die Werte und den Blick auf das eigene Sein, die Gesellschaft und die Welt zu vermitteln, die mir während des Kunststudiums mit auf den Weg gegeben wurden.“ Die großen Freiräume, die es an der Akademie gab, können im schulischen Bereich natürlich nicht umgesetzt werden. „Ich habe es als sinnvoll empfunden, den Schülern eine Aufgabe zu stellen, die viele Lösungen ermöglichte. Dadurch entstanden ebenfalls gewisse Freiräume.“
Inzwischen den Ruhestand fernab großer Städte genießend, nimmt sich Nele Wahner-Willems neben ihrer Kunst auch Zeit für die Musik. Mit ihrem Mann engagiert sie sich beispielsweise für Konzertreihe „Orgelpunkt“ im Magdeburger Dom. Dass sich die städtische Wohnungsbaugesellschaft in ihrer Eröffnungsausstellung der Wobau Galerie vom 15. Oktober 2024 bis 28. Februar 2025 Joseph Beuys widmen will, hält sie für ein ehrgeiziges Projekt. „Beuys ist ein schwieriges Feld. Dass er nicht mehr unter uns weilt, macht es umso komplizierter. Man muss sich auf ihn einlassen und braucht auch Zugang zu den Materialien, mit denen er gearbeitet hat. Aber vermutlich sollte man es aus diesem Grund machen und die Herausforderung annehmen.“
Nr. 261 vom 6. August 2024, Seite IX
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