Die Tränen des Phil Wizard
Breakdance feiert bei den Sommerspielen in Paris seine olympische Premiere – um kurz darauf gleich wieder ausgeladen zu werden. Die gute Nachricht: Magdeburg ist im Herbst Gastgeber jener Weltmeisterschaft, einem Genre, das Sport, Tanz, Kunst und Lifestyle verbindet.
Von Rudi Bartlitz
Als die Nationalhymne erklang, da war es mit all der sonst zur Schau getragenen Coolness endgültig vorbei. Ein ganz besonderer Moment im Leben des Breaking-Dancers Philip Kim. Aus dem Kanadier mit dem Künstlernamen Phil Wizard, dem coolen B-Boy, einem der großen Tanzstars des Hip-Hops, war der Sportler Philip Kim geworden. Trotz des legeren weitgeschnittenen weißen Wettkampf-Anzugs und der roten Strickmütze. Philip Kim, der sich in Paris als erster Goldmedaillengewinner in die olympische Geschichte des Breakdance, das offiziell Breaking heißt, eintragen durfte. Einer, der die Hymne mitsang, dem die Tränen kamen. Ein lässiger Typ, der sonst mit „wahrer Vaterlandsliebe“, Fahnen und sportlichem Nationalstolz nicht viel am Hut hat. Den nun aber die Gefühle sichtlich überwältigten.
Etwas, was offenbar nur die Zauberkraft Olympias auszulösen vermag. Hinzu kam für die Breaker diese einmalige olympische Chance in Paris. Denn kaum in die Familie mit den fünf Ringen aufgenommen, wird man in vier Jahren in Los Angeles wieder hinausgeworfen – weil die US-Amerikaner, die das Breaking eigentlich erfunden haben, stattdessen lieber auf Cricket, Flag Football, Softball, Lacrosse und Squash setzen. Auf den Mainstream eben. Andererseits: Der Gewinn einer Medaille auf dem geschichtsträchtigen Place de la Concorde bekam so für die besten B-Girls und B-Boys einen noch größeren Stellenwert als ohnehin schon. Jeder wusste: Wer hier mit einer Medaille nach Hause geht, steht für alle Zeiten in den Geschichtsbüchern.
Schon seit längerem war versucht worden, Breaking als einen Teil des Hip-Hops – einer globalen, multinationalen Kultur aus Tanz, Musik, Mode, Graffitis – ins olympische Programm zu hieven. Eine Kultur, in der man keine Flaggen hisst, keine nationalen Ambitionen erfüllt. Und das seit rund 50 Jahren, seit schwarze und hispanische Jugendliche in der New Yorker Bronx den Hip-Hop und das Breaking erfunden haben.
Obwohl der olympische Abschied quasi schon mit Geisterhand auf dem Dancefloor geschrieben stand, die zwei Wettkampftage an der Seine boten Akrobatik, Tanz und Kreativität auf Top-Niveau. Selbst wenn viele Besucher und TV-Zuschauer Breaking zuvor noch nie gesehen hatten. Manche Feinheiten mögen so dem Publikum entgangen sein. Sport-Puristen bemängeln zudem, dass es kaum objektive (und für Laien schon gar nicht nachvollziehbare) Kriterien der Bewertung gibt. Aber die Show mit den halsbrecherischen Breaks hat niemanden kaltgelassen. Großer Sport, der die Schwerkraft für ein paar Stunden scheinbar ausknipste. Ohne festes Programm. „Ich gehe ohne Plan auf die Bühne und lasse mich leiten von der Musik“, sagte Olympiasieger Wizard. Hinzu kam etwas, wie der Reporter der „Frankfurter Allgemeinen“ anmerkte, „was man im Leistungssport in den Gesichtern so selten sieht: Spaß, Erfüllung, Vergnügen. Tatsächlich verliefen alle Battles der letzten acht in einer erstaunlich freundschaftlichen Atmosphäre.“
Doch wie es sich so fügt im Leben: Wo sich für die Breaker nach dem olympischen One-Hit-Wonder eine Tür schließt, geht anderswo überraschend eine neue auf. In Magdeburg nämlich. Denn keine drei Monate nach den Battles von Paris ruft Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt zur Weltmeisterschaft im Breaking. Bis zu 1.500 Tänzerinnen und Tänzer aus über 30 Nationen werden vom 4. bis 6. Oktober in den Messehallen erwartet; allein 600 fürs Breaking. Hinzu kommen Weltcups in den verschiedenen Altersklassen in den Sparten Hip-Hop, Inklusion und Popping. Die Stadt rechnet für die Events mit etwa 8.000 Gästen.
Allein dabei wollen es die WM-Veranstalter um Ex-Weltmeister Nils Klebe von den Da Rookies, die sieben Jahre an den Vorbereitungen für das Event gearbeitet haben, nicht belassen. Ein sogenanntes Urban Dance Festival soll dafür sorgen, dass an diesen drei Tagen möglichst die gesamte Stadt tanzt – wie grazil und in welcher Form auch immer. 50 Festival-Veranstaltungen soll es geben: Hip-Hop-Kultur, Graffiti-Aktionen, Konzerte, Street Art, DJ- und Rap-Workshops. Beats an allen Ecken.
Magdeburg, eine neue Heimstatt der Pop-Kultur etwa? Zugegeben, ein etwas verwegener Gedanke.
Nr. 262 vom 20. August 2024, Seite 62
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