Job-Wahl mit der rosaroten Brille

Was will ich werden? Welchen Ausbildungsweg einschlagen. Die Entscheidungen für die berufliche Zukunft werden von inneren und äußeren Argumenten beeinflusst, und das in einer sich dynamisch verändernden Welt. Sind wir mit einem eingeschlagenen Weg für das Morgen gerüstet?

 

Der Versuch einer Analyse


Von Thomas Wischnewski

Endlich raus aus der Schule. Junge Menschen wollen in die berufliche Zukunft aufbrechen und sind froh, wenn sie nach zehn oder zwölf Jahren die Schulbank hinter sich lassen können. Aber welchen Weg in eine berufliche Zukunft soll eingeschlagen werden? Und welche Jobs versprechen Entwicklungsmöglichkeiten bzw. eine langfristige existenzielle Perspektive?


Rund 2,9 Millionen junge Menschen sind aktuell an den deutschen Hochschulen und Universitäten eingeschrieben. Etwa 1,2 Millionen befinden sich aktuell in einer Ausbildung. Die Zahlen zeigen, dass der akademische Weg eine größere Anziehungskraft zu haben scheint. Politische und mediale Botschaften vermitteln, dass studieren wichtig ist, dass die Berufswelt von morgen, mehr Ingenieure, Computer- und Software-Experten und insbesondere KI-Entwickler braucht. Das mag so sein. Nur werden deshalb Berufe, für die eine solide Berufsausbildung gebraucht wird, nicht unwichtiger. Ohne ausreichend Handwerker würde manche Lebenssäule einstürzen.

 

KI und Berufswege

 

Junge Leute, die auf ihr Morgen blicken, sind oft verunsichert, in welche Richtung sie sich weiterbilden sollten. Weil sich die Welt und damit auch die beruflichen Erfordernisse dynamisch verändern, ist es schwer, sichere Berufsperspektiven zu vermitteln. Selbst Eltern, Lehrer oder Berufsberater können keine sichere Prognose abgeben. Das ist tatsächlich ein wesentlicher Unterschied gegenüber Vorstellungen im vergangenen Jahrtausend. Wer in den 1970er Jahren sein Arbeitsleben begonnen hatte, war noch von anderen Bedingungen geleitet. Ein Berufsweg erschien als lebenslang kalkulierbare Sache. Eine geringere Mobilität und weniger Internationalität eröffneten Perspektiven, die häufiger in bisherigen Lebensräumen des Aufwachsens blieben.


Die Ausbreitung des Internets hat nicht nur den Alltag verändert, sondern vor allem komplett neue Berufsfelder eröffnet. Doch so dynamisch wie die Netzwelt ist, so kurzlebig können deshalb Tätigkeitsfelder sein. Mit Ausbreitung von KI-Technologie werden noch einmal Beschäftigungen ausgehebelt, für die bis dato Menschen gebraucht wurden. Den klassischen Nachrichten-Journalisten, der üblicherweise das aktuelle Geschehen überwachte und wichtige Ereignisse in kurze Nachrichten verwandelte, braucht es heute theoretisch nicht mehr. Maximal zur Kontrolle vor der Veröffentlichung wären noch Köpfe gefragt. Aber die KI hätte niemals eine Dampfmaschine erfinden können, und völlig neue Ideen wird die KI auch künftig nicht erzeugen.


Was die Aussagesicherheit für die Zukunft ebenfalls einschränkt, sind die nicht vorhersagbaren Regulierungen, die da einst von Parlamenten auf Bundes- oder Europaebene beschlossen werden würden. Gerade stellte das Hamburger Start-up Oxolo vorläufig seinen Betrieb ein und muss sich neu aufstellen. Das Start-up ermöglicht die Produktion von KI-generierten Marketingvideos. Kleine Onlinehändler nutzten die Technik, um sich teure echte Werbevideos zu sparen. Manche Personalabteilungen nutzten die Anwendung, um Willkommens-Videos oder Trainingsvideos zu erstellen. Das Unternehmen sieht sich aktuell durch KI-Verordnung (AI Act) der Europäischen Union mit seinem Produkt in Gefahr. Weil das Gesetz für Transparenz und Sicherheit sorgen soll, könnten die mit KI erstellten Avatare in den Werbevideos von Oxolo realen Personen sehr ähnlichsehen können. Deshalb falle das Produkt von Oxolo dem AI Act wahrscheinlich in den Bereich „Deepfake“.


Menschen, die sich gern vor einer Kamera produzieren und als sogenannte Influencer Erfolg haben wollen, erscheinen heute zwar vielen als vielversprechender Beruf. Aber auch dieses Geschäftsmodell ist immer von anderen abhängig. Niemand weiß, welche Steuerungen die Plattformbetreiber vornehmen, wen sie befördern oder behindern oder welche Botschaften möglicherweise beschränkt werden. Ebenso kann es sein, dass die Ausbreitung von Betrug, Diffamierung bzw. die Verbreitung falscher Tatsachen dazu führt, dass seitens der Politik Einschränkungen angestrebt werden. In größeren gesellschaftlichen Konfliktfällen muss man gar damit rechnen, dass Internetzugänge regional und zeitlich abgeschaltet werden. Zwischen manchen Staaten und der westlichen Welt läuft längst ein Cyberkrieg mit ungewissem Ausgang. In diesem Sinne darf man die Sorge von Jugendlichen und deren Eltern bei der Planung einer beruflichen Zukunft verstehen. Allerdings erscheint es häufig so, dass solche Gefahren gern ausgeblendet werden.

 

Schein und Sein

 

Die eigenen Lebensentwürfe sind ein weiterer Aspekt, der für Job-Entscheidungen wichtig ist. Da steht oft an erster Stelle, dass man möglichst wenig arbeiten und viele Entfaltungsmöglichkeiten in der Freizeit haben möchte. In einer von Internet-Technologie getriebenen Welt steht man jedoch mit allen darin tätigen Akteuren in Konkurrenz. Und in anderen Regionen der Erde wie in vielen Teilen Asiens wird oft anders und vor allem länger gearbeitet. Ob deutsche oder europäische Lebensvorstellungen damit Schritt halten können, steht bestenfalls in den Sternen.


So wie sich das Einkaufsverhalten in die Onlinewelt verlagert, werden auch bisherige Berufsbilder z. B. im Einzelhandel weniger attraktiv. Alle Prozesse, die immer wiederkehrende Tätigkeiten erfordern, werden schon lange durch moderne Roboter und automatische Anlagen erledigt.


Obwohl die Mehrheit der jungen Leute in Deutschland studiert, heißt das noch lange nicht, dass diese „theoretischen“ Arbeitsleistungen auch alle gebraucht würden. Die hiesige Universität bietet beispielsweise einen Bachelor-Studiengang mit dem Titel „Philosophie-Neurowissenschaften-Kognition“. Der Name klingt spannend. „Absolventinnen und Absolventen sind für einen direkten Berufseinstieg in alle gängigen geisteswissenschaftlichen Berufsfelder wie das Medien- und Verlagswesen, das Kultur- und Wissenschaftsmanagement, den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, die Erwachsenenbildung, das Personalwesen oder die Arbeit in Verbänden, Parteien und Kommissionen qualifiziert.“ So beschreibt die Uni die berufliche Zukunft für ihre Studenten. Allerdings wissen die Absolventen so gut wie nichts über neurobiologische Hirnprozesse. Dazu werden ein paar Vorlesungen gehalten. Und philosophisches Denken bei der langen Menschheitsgeschichte kann man ebenfalls nicht in drei Jahren Studium ausreichend entwickeln. Manche Absolventen wissen am Ende nichts mit ihrem Bachelor anzufangen und ebenso viele Unternehmen nicht. Ein Erwerbsleben wird heute vor allem durch äußere Bedingungen zur Veränderung gezwungen. Die Job-Entscheidung heute wird noch viele nach sich ziehen.

Nr. 262 vom 20. August 2024, Seite 50

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