Macht Ohnmacht Macht?

Mächte bestimmen unser Leben. Die Welt wird von der Macht des Geldes gesteuert. Aber reicht die Zuschreibung von Macht aus, um das eigentliche Geflecht an Zusammenhängen durchschauen zu können? Macht ist oft nur ein Ausdruck von Ohnmacht. Ein Beschreibungsversuch darüber, dass Macht ohne Ohnmacht nicht denkbar ist.

 

Von Thomas Wischnewski

Das Wort Macht ist oft in aller Munde. Sie wird bei politischen Entscheidungsträgern gesehen oder in wirtschaftlicher bzw. finanzieller Stärke. Es gibt aber auch die göttliche Macht, die des männlichen Geschlechtes gegenüber Frauen oder die zwischen Staaten. Häufig bleibt die Zuweisung von Macht einseitig. Und der Aspekt, dass eine Machtzuschreibung auch aus einer Ohnmacht heraus geschieht, wird oft vergessen. Laut Wikipedia bezeichnet „Macht die Fähigkeit einer Institution, Person oder Gruppe, auf das Denken und Verhalten einzelner Personen, sozialer Gruppen oder Bevölkerungsteile so einzuwirken, dass diese sich ihren Ansichten oder Wünschen unterordnen und entsprechend verhalten.“ Diese Definition ist deshalb einseitig, weil sie den Zusammenhang des Individuums und der Entstehung von Machtstrukturen nicht beschreibt.

 

Erzählungen durch Ohnmacht

 

Dem kulturhistorischen Aufkommen von göttlichen, also religiösen Vorstellungen liegt vor allem die Ohnmacht der Menschen zugrunde, alle Geschehnisse um sich herum nicht umfassend erklären zu können. Im Prinzip trifft das auch auf heutige Erscheinungen zu. Verschwörungstheorien, die Ohnmacht gegenüber einer globalisierten und vernetzten Menschheit finden ihren Kern in der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber einer nicht mehr fassbaren Interaktion aller. In der aktuellen Debatte über angemessene Maßnahmen zum Klimawandel zeigt sich die Ohnmacht deutlich. Viele meinten, sie wüssten, was zu tun sei, um dem Ausmaß menschlicher Zerstörungskraft begegnen zu können. Jedes Individuum verhält sich in seinen Entscheidungen eigentlich ausgesprochen rational. Wann, wie oder warum eine Kaufentscheidung gefällt wird, findet stets eine vernünftige Rechtfertigung. Allerdings entfaltet die Summe von millionen- oder gar milliardenfachen Entscheidungen weltweit die eigentliche destruktive Kraft. Aus der Ohnmacht gegenüber einer nicht steuerbaren Masse heraus, suchen deshalb manche aktivistische Lösungen und üben damit – wie beispielsweise Vertreter der sogenannten „Letzten Generation“ – dann Macht durch Aktionen aus.


Auch in der Kritik an vielen politischen Institutionen kann man die Ursache menschlicher Ohnmacht ausmachen. Die Entscheidungsprozesse im Europäischen Parlament bzw. die der Eurobürokratie ist derart undurchschaubar, dass einerseits Ablehnung und andererseits eine zunehmende Machtzuschreibung in Richtung Brüssel oder Straßburg erfolgt. Warum bekommen die gut 700 Parlamentarier im Bundestag oft keine auf der Hand liegenden Entscheidungen hin? Die differenzierten, Koalitionen geschuldeten Kompromisse lassen sich in der Öffentlichkeit schwer nachvollziehen. Erklärungen durch Politiker sind häufig abstrakt und oberflächlich. Was bei Bürgern ankommt, mündet dann in solche Aussagen wie: Die machen doch, was sie wollen. Hierin widerspiegelt sich die Ohnmacht. Es wäre oft besser, wenn Politiker ihre Ohnmacht gegenüber einer riesigen Ministerialbürokratie, gegenüber dem Korsett selbstgeschaffener Gesetze und Verordnungen oder anderen institutionalisierten Prozessen bekennen würden. Ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU äußerte in einer kleinen Runde: „Das Bundesinnenministerium hat rund 2.400 Mitarbeiter. Was glauben Sie, was man da als kleiner Abgeordneter ausrichten kann?“


Welchen Ausweg soll es aus der Entwicklung ohnmächtiger Erscheinungen geben? Die politische Steuerung in den Parlamenten findet kaum sichtbare Lösungen. Diese Lähmung ist eine der Ursachen für politische Gegenbewegung wie die AfD oder jüngst das Entstehen des Bündnisses Sarah Wagenknecht. Man müsse politische Formeln einfach anders formulieren, dann würde es schon besser werden. Darin steckt jedoch offenbar mehr Wunsch als Wirklichkeit. Je weiter und differenzierter die Menschheit den Blick nach außen richtet, umso kleiner und ohnmächtiger fühlt man sich zum Beispiel gegenüber dem nach wie vor unfassbaren Universum und dessen Entstehung. Im geozentrischen Weltbild stand die Erde und damit der Mensch im Mittelpunkt von allem. Der Mensch hat sich dahin gedichtet. Die astronomischen Erkenntnisse der Neuzeit haben das Selbstbild des Menschen nach und nach schrumpfen lassen. Und dieselbe Tendenz findet sich in allen Prozessen einer Ausweitung von Vernetzung, globaler Prozesse und politisch abstrakter Steuerung.
Oft wird auch einzelnen Personen eine Macht zugeschrieben, die sie gar nicht leisten können. Dem Milliardär Bill Gates mit seiner Stiftung wird eine Steuerungsmacht zugeschrieben, die ein einzelner gar nicht leisten kann. Noch hat jeder Mensch täglich nur 24 Stunden zur Verfügung, innerhalb dieser Frist man essen und schlafen oder private Verpflichtungen erledigen muss. Gates erscheint nur deshalb so groß, weil er mit Geldflüssen Apparate steuern kann. Aber da, wo viele andere beteiligt sind, lässt sich in der Regel gar nichts geheim halten. Das unterstellt jedoch manche Verschwörungserzählung.

 

Ebenso gilt das bei Staatslenkern. Ein Wladimir Putin kann nur deshalb als übermächtig erscheinen, weil unter seiner Präsidentschaft ein gewaltiger Apparat funktioniert. Der ist weder von ihm selbst zu überblicken noch im Einzelnen steuerbar. Dazu reicht seine Tageszeit gar nicht aus. Wegen dieser Größe der Apparate und deren undurchsichtigem Agieren wächst die Ohnmacht ihnen gegenüber und es erscheint, als würden sie immer machtvoller werden. Eine Gefahr besteht darin, wenn sich Ohnmachtsvorstellung weiter ausbreitet und in der eigentlichen „Machtebene“ keine Lösungen gefunden werden. Solchen Verkrustungsprozessen droht dann eventuell eine Entladung durch Gewalt in Form von Bürgerausschreitung oder gar revolutionären Bewegungen. 

 

Tipp zum Thema:


KOMPAKT SALON „Macht Ohnmacht Macht“
Es diskutieren Dr. Dieter Class (Neurochirurg am Universitätsklinikum, Daniela Hanke (Leiterin der Selbsthilfegruppe Nahtoderfahrungen), Thomas Wischnewski (Herausgeber KOMPAKT Zeitung), Eintritt kostenfrei
25. September 2024, 18:30 Uhr
KOMPAKT Medienzentrum
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Anmeldungen unter: event@kompakt.media oder telefonisch 0391/79294310

Nr. 262 vom 20. August 2024, Seite 4

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