Pulverdampf weg – und nun?
Etwas läuft falsch im deutschen Hochleistungssport. Eine kleine Bestandsaufnahme nach den Sommerspielen in Paris.
Von Rudi Bartlitz
Nachdem sich der Pulverdampf über den Olympischen Sommerspielen 2024 einigermaßen verzogen hat und der sportliche Alltag allmählich wieder eingekehrt ist, werden nun erste Bilanzen gezogen. Kein Zweifel, Paris war ein Highlight in der über 120-jährigen Geschichte der Ringe-Spiele. Da besteht nahezu überall Einmütigkeit. Etwas diffiziler sieht es freilich schon aus, wird das ganze Spektakel durch die schwarz-rot-goldene Brille gesehen. Deutschland hat Olympia mit der schlechtesten Medaillenausbeute (33) seit der Wiedervereinigung abgeschlossen. Daran beißt die Maus keinen Faden ab. Also lautet eine der meistgestellten Fragen bei Experten wie Laien: Was läuft da falsch im deutschen Spitzensport?
Die Enttäuschung ist in vielen Sparten groß, die Debatte über Mängel im System nimmt Fahrt auf. Vor allem mit dem Hintergrund einer möglichen deutschen Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2040 fragen sich viele: Kann der Negativtrend gestoppt werden – und wenn ja, bitte wie?
Einen ersten Hinweis auf einen nicht unwichtigen Grund, warum hierzulande der Gold-, Silber- und Bronzesprudel immer weiter versiegt, könnte eine kleine Meldung liefern, die im täglichen Nachrichtengewitter fast unterging. Sie besagt, dass die Drogeriemarkt-Kette Rossmann deutsche Medaillengewinner bei Olympia 2028 in Los Angeles zusätzlich finanziell fördern will. Angelehnt an die derzeitige Prämienhöhe der Deutschen Sporthilfe sollen demnach Medaillengewinner weitere 20.000 Euro für Gold, 15.000 Euro für Silber und 10.000 Euro für Bronze erhalten. Wer zwei Medaillen gewinne, bekomme auch zwei Mal die Prämie. Mannschaften würden pro Plakette pauschal 100.000 Euro erhalten. Raoul Rossmann, Sohn von Unternehmensgründer Dirk Rossmann und Sprecher der Geschäftsführung: „Spitzensport muss sich lohnen, und da ist nicht nur die Bundesregierung, da sind auch wir als Gesellschaft gefragt!“
Warum zitieren wir Rossmann? Weil er auf eine gravierende Schwachstelle aufmerksam macht. Es geht gar nicht einmal so sehr um lockende Zielprämien für einzelne Sportler (so anreizend und lohnend sie auch sein mögen), sondern Rossmann spricht etwas anderes an: Die mangelnde Unterstützung der deutschen Wirtschaft für den Sport, im konkreten Fall für den Hochleistungssektor. Gewiss, viele Unternehmen werden jetzt die schwierigen augenblicklichen Bedingungen ins Feld führen. Krise, wohin man blickt. Aber wir haben es mit einem Tatbestand zu tun, den – nehmen wir Fußball einmal aus – der olympische Sport seit Jahrzehnten beklagt. Passiert ist wenig, selbst als die Geldquellen bei den Big Playern der größten europäischen Volkswirtschaft nur so emporschossen. Die Ergebnisse bekommen wir jetzt serviert.
Die Resultate von Paris seien „natürlich erbärmlich für ein Land wie Deutschland“, sagt beispielsweise Handball-Manager Bob Hanning im Gespräch mit dem Portal „Sport1“. Er fordert ein anderes Selbstverständnis: „Wir müssen anfangen, uns nicht kleiner zu machen, als wir sind, und mal 70 Medaillen anpeilen.“ Was dafür getan werden müsse? Es hänge nicht an den Athletinnen und Athleten, die der als streitbar bekannte 56-Jährige in Schutz nimmt. Vielmehr gebe es massive Probleme in den Strukturen der deutschen Sportförderung. „Die Italiener bekommen 180.000 Euro für eine Goldmedaille. Der deutsche Kanute bekommt 20.000 Euro und muss seine Reisen zu den Wettkämpfen teilweise auch noch selbst bezahlen.“
In dieselbe Kerbe schlägt Schwimm-Weltmeisterin Angelina Köhler: „Ich finde, es kann nicht sein, dass Leute beim ‚Sommerhaus der Stars‘ 50.000 Euro gewinnen und Athleten, die eine Goldmedaille bei Olympischen Spielen gewinnen, nur 20.000 Euro“, sagte die 23-Jährige der dpa. Noch einmal Hanning: „Es geht primär gar nicht um Wertschätzung in Form von Geld, sondern um die Entwicklung der Sportler.“ Sie fordert deshalb ein komplettes Umdenken: „Jeder angestellte Banker verdient mehr als der Trainer, der uns zum Olympiasieg führen soll.“
Mittlerweile ruft der deutsche Sport sogar Humoristen und Satiriker auf den Plan. Wenn man die Paris-Ergebnisse genau analysiere, schrieb etwa „Welt“-Spaßmacher Hans Zippert, „fällt auf, dass die meisten Medaillen zu Pferde oder mit dem Boot gewonnen wurden. Die Deutschen sind anscheinend ein maritimes Reitervolk oder ein Volk von reitenden Matrosen. Die Verantwortlichen sollten ihre Schlüsse daraus ziehen. Wir müssen darauf drängen, dass endlich Sportarten olympisch werden, die unsere beiden sportlichen Kernkompetenzen miteinander verbinden. Beispielsweise Pferde-Speedtransport im Achter oder im Vierer ohne Steuermann.“
Jux beiseite. Die andere, und im deutschen Fall freilich noch wichtigere finanzielle Frage ist die Förderung aus Bundesmitteln. Auf rund 350 Millionen Euro pro Jahr beläuft sie sich derzeit. Massive Ausschläge nach oben sind angesichts der derzeitigen Wirtschaftslage kaum zu erhoffen. Interessant dabei: Allein die US-Universität Stanford investierte schon vor drei Jahren umgerechnet etwa 167 Millionen Euro in seine Sport-Förderung. Wäre die Uni im Norden Kaliforniens ein eigenes Land, läge sie im Medaillenspiegel von Paris auf Rang 13 und damit nur drei Plätze hinter Deutschland. Stanford-Athleten gewannen in Paris acht Gold-, zehn Silber- und neun Bronzemedaillen. Im Kern der Sport-Förderung dort stehen nicht etwa American Football oder Baseball, sondern Schwimmen und Leichtathletik.
Stichwort Schwimmen. Als ein Modell, wie es mit möglichen Veränderungen in den Strukturen des deutschen Sports weitergehen könnte, lieferte in Paris die Magdeburger Gruppe von Trainer Bernd Berkhahn. Stichwort: Konzentration der Ressourcen. Im Medaillenspiegel der Schwimmwettbewerbe – Becken und Freiwasser addiert – befindet sich Deutschland auf Platz zehn mit je einmal Gold, Silber und Bronze. Die Magdeburger allein kämen sogar auf einen bemerkenswerten Platz sieben, denn zu den drei deutschen Plaketten durch Lukas Märtens, Oliver Klemet und Isabel Gose kämen Freiwasser-Gold und -Silber durch Sharon van Rouwendaal (Niederlande) und Moesha Johnson (Australien). Gerade die Erfolge der beiden Letzteren, so der Eindruck, gingen in der öffentlichen Wahrnehmung in der Landeshauptstadt doch etwas unter; was bei Schwimmern an sich recht fatal ist. Dennoch: Diese Magdeburger Bilanz unterstützt den Satz von Olaf Tabor, Vorstand Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), zu internationalen Trainingsgruppen: „Diese Art von länderübergreifender Zusammenarbeit scheint sich als ein Erfolgsmodell herauszukristallisieren.“
Nr. 263 vom 10. September 2024, Seite 40
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