Elektrisierende Gedanken

Unsere Autoindustrie steckt tief in der … nun ja, Rezession. Alle reiben sich die Augen und suchen nach Ursachen und Schuldigen. „Es fehlt an Ladesäulen“, tönt die Autoindustrie. Es fehlt die Kaufprämie, sagt die CDU, die der Ampel eins auswischen will. „Der Strom ist zu teuer und das Benzin zu billig“, sagen die Ökonomen.


Was ist denn nun wirklich passiert? Da gab es politische Wunschvorstellungen. Die Politik sah eine Möglichkeit, Mobilität zu erhalten, aber die Umwelt zu schonen. Hört sich doch gut an?! Der freie Bürger mobilitiert weiter und die Umweltschützer bekommen ein Trostpflaster.


Die Autoindustrie sah neue Profitchancen. Denn Elektroautos lassen sich in der Massenfertigung billiger produzieren und teurer verkaufen. Der Staat subventioniert den Kaufpreis und baut die Infrastruktur.


Für den Zwangsabsatz der neuen Autos sorgt er mit Umweltgesetzen. Doch da gab es auch noch den, der das Auto kaufen sollte. Natürlich gab es einige, die förmlich elektrisiert vom Technikhype waren. Aber spätestens im nächsten Winter, wenn Elektromotor und Elektroheizung die Reichweite zusammenschrumpfen ließen, legte sich die Begeisterung. Viele Dienstreisen sollen wortwörtlich in unterkühlter Atmosphäre stattgefunden haben.


Selbst als City-Zweitauto für die Ehefrau war das Elektromobil ein Problem. Denn wenn die nicht so technikaffine Ehefrau den Ladestecker nicht richtig verlinkte, war es zappenduster beim Wochenendeinkauf. Und welcher gestresste Manager-Ehemann ist schon wild darauf, seiner Ehefrau (oder Geliebten) ständig die neue Technik zu erklären? Da reicht schon das Handy, dessen Bedienung zu mancher Ehekrise geführt hat.


Tja, so ist das, wenn man dem Bürger vorschreiben will, was er zu kaufen und wie er zu leben hat. Das hat schon die SED mit der Planwirtschaft und dem Wohnungsbauprogramm mit den schmucken Plattenbauten versucht. Verdammt und zugenäht, der Funke springt nicht über und der Bürger nicht ins Elektroauto.


Vielmehr springt er vor Entsetzen in die Luft, wenn er ein gebrauchtes Elektroauto verkaufen will. Denn bei der Ungewissheit über den Batteriezustand, der ein wesentlicher Kostenfaktor ist, muss man schon mal Abschläge machen. Oder beim Gang in die Werkstatt. Auch bei der Autoversicherung ist der kleine Stromer ein großer Vielfraß. Es war halt schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben …


Nun ist ja der Elektroantrieb physikalisch erst mal eine ganz einfache und prima Sache. Keiner wird sich heute eine Werkzeugmaschine mit Verbrennungsmotor oder Küchengeräte mit Transmissionsriemen vorstellen können. Abgesehen von den Vorteilen, die Elektromotoren bei der Steuerungstechnik haben und die Voraussetzung zum autonomen und intelligenten Fahren sind.


Aber halt, intelligentes Fahren, das ist doch ein schönes Stichwort. Hätte man nicht vorher etwas nachdenken können, bevor man so einfach schöne teure Autos baut?


Was wäre denn, wenn man die Batterie des Elektroautos in Servicestationen so schnell wechseln lassen könnte wie bei einer Handbohrmaschine? Ran zur Tankstelle, über ein Unterflurband, leerer Akku raus, neuer rein und weiter geht es.
Fantastische Idee? Geht nicht? Doch, die Chinesen machen es schon. Der Autohersteller NIO nennt es battery swapping. Aber, warum macht es denn keiner bei uns?


Sinn macht es nur, wenn es standardisierte Batterietypen z. B. 3 Leistungstypen für alle Fabrikate gäbe und ein Wechsel unter 3 Minuten realisierbar ist. Da die Wechselbatterie älter sein kann, wird der Wertverlust oder Wertgewinn elektronisch erfasst und verrechnet. Die Batterie wird schonend geladen, durchgecheckt und gewartet. So würde Elektromobilität funktionieren.


Aufwachen! Die Realität in unserem Europa sieht anders aus. Schon bei Elektrowerkzeugen gibt es keine standardisierten Akkus und Ladegeräte. Und nach zehn Jahren hat man sich endlich mal auf einheitliche Ladekabel für Handys geeinigt! Sind wir nicht toll?


Ohne sinnvolle Standardisierung kein technischer Fortschritt. Aber dazu brauchte man vielleicht ein paar Leute in Regierungsverantwortung, die die MINT-Fächer nicht schon vor dem Abitur abgewählt haben.


Dr. Holger Neumann

Nr. 263 vom 10. September 2024, Seite 9

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