Gedanken- & Spaziergänge im Park: Parteiendämmerung
In Potsdam regten sich unsere Denkmalstürmer wieder einmal auf. Seit Jahren laufen sie Sturm gegen den Wiederaufbau des Turmes der Gedächtniskirche, der nun unter Beisein des Bundespräsidenten eingeweiht wurde. Sie werfen dem armen Bauwerk vor, ein bedeutendes Symbol für die Machtergreifung Hitlers zu sein. Was war geschehen? 1933, zweihundert Jahre nach dem Bau der Kirche, reichte der greise Reichspräsident, der 86-jährige Generalfeldmarschall von Hindenburg, dem neuen Reichskanzler die Hand. Das allein reicht den Denkmalstürmern, um diese Kirche als ein Symbol der faschistischen Machtergreifung zu denunzieren. Unsere Tageszeitung fügte bei einem Bericht da-rüber einen Zwischentitel ein, der lautete: „Hindenburg hofiert Hitler“. Dieser Zwischentitel ist eine krasse Fehlinterpretation. Es ist bekannt, dass Hindenburg Hitler abfällig den „böhmischen Gefreiten“ nannte und starke persönliche und politische Abneigungen ihm gegenüber hegte. Mehrmals lehnte er ihn nach der Reichstagswahl1932 als Kanzler ab, doch die anderen Parteien konnten sich nicht auf eine Regierungsbildung einigen. So kam es dann zu der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Nach dem Reichstagsbrand (27. Februar 1933) erfolgte die erste Sitzung des neugewählten Reichstages am 21. März 1933 in der Garnisonskirche zu Potsdam, wo Hitler den Reichspräsidenten in den höchsten Tönen pries. Das berühmte Foto von damals zeigt deutlich, wer hier wen hofiert: Hitler macht bei dem Handschlag eine tiefe Verbeugung vor dem aufrechtstehenden Hindenburg, wie z. B. auch Robert Habeck im Februar 2022 einen Bückling vor dem Handelsminister des Emirates Katar machte, um für Erdöl und Erdgas als Ersatz für die wegen des Embargos gestoppten Lieferungen aus Russland zu bitten. Die Begegnung Hitlers mit Hindenburg ist das Einzige, was diesem im Krieg schwer beschädigten und 1968 von der DDR gesprengten Bauwerk in Bezug zum Faschismus vorgeworfen werden kann. Prompt wurde aber wenige Tage nach der Einweihung der Turm von kampfbereiten Hitlergegnern mit roter Farbe besprüht. Ob sie sich das vor 90 Jahren wohl auch getraut hätten?
Die Vergangenheit nicht im Blick
Gerd fragte sich, warum die heutigen Bilderstürmer ihre Abrisswut gegen den unvollständigen Wiederaufbau einer zerstörten Kirche richten und nicht z. B. gegen das frühere Reichsluftfahrtministerium? Dieser 1935 bis 1936 errichtete große Bau ist ein echter Nazibau und war der Dienstsitz Hermann Görings. Hier wurde der Aufbau der Luftwaffe und die Luftkriegsführung geplant, ohne die ein zweiter Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre und viele Städte nicht zerbombt worden wären. Zu dem Reichsluftfahrtministerium gehörte übrigens auch das Luftfahrtmedizinische Forschungsinstitut unter Leitung von Hubertus Strughold, das Unterkühlungs- und Unterdruckversuche an Häftlingen im KZ Dachau durchführte, teilweise mit tödlichem Ausgang. Aber dieses Gebäude mit unendlich viel größerer Nazivergangenheit als die altehrwürdige Garnisonskirche haben diese Kämpfer gegen die Vergangenheit nicht im Blick! Übrigens störte das auch spätere Regierungen nicht: In der DDR hieß der Bau „Haus der Ministerien“ und war der Sitz des Finanzministeriums und das ist es heute mit dem Namen „Detlev -Rohwedder-Haus“ auch wieder! „Übrigens“, beendete Gerd seinen Vortrag, „habe ich jetzt viele Fotos aus dem polnischen Teil Ostpreußens von einer Bekannten geschickt bekommen, die auf einer Fahrradtour dort ist. Was sie da aus den Zentren verschiedener Städte fotografierte, ist erstaunlich: Da ist kaum etwas von Kriegszerstörungen zu sehen, sondern die Zentren sind großteilig so historisch wiederhergestellt, wie sie vor dem Krieg aussahen. Und, ganz nebenbei, anscheinend auch nicht durch Sprayer beschmutzt.“
Der Niedergang der Linken
Ohne große Überraschung haben wir den unaufhaltsamen Niedergang der Linken zur Kenntnis genommen. Er kam nicht unerwartet. Akut wurde er anscheinend durch die Wahl von Janina Wissler zur Parteivorsitzenden. Frau Wissler war bis zu dieser Wahl auch Mitglied von zwei radikalen linken Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ihr zur Seite wurde die wesentlich moderatere Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen gewählt. Bei diesem ungleichen Paar schien die Atmosphäre nie so richtig gestimmt zu haben, denn ein gutes Jahr später trat die Thüringerin von ihrem Amt zurück. Sie gab keine Gründe dafür ein, was sehr nett und vermutlich der Parteidisziplin geschuldet war. Danach wurde als Co-Vorsitzender Martin Schirdewan gewählt, der sozusagen dem SED-Altadel entstammt und mit seinen Anschauungen wohl besser zu der Genossin Wissler passt. Also eine Lösung nach dem Rezept „immer mehr von demselben“, was bekanntlich zum Misserfolg führt. Sehr viele Genossen scheinen damit nicht einverstanden gewesen zu sein, denn letztlich führte das zur Spaltung und Gründung des BSW. Herrn Schirdewan muss das nicht beunruhigen, denn sein weiteres Auskommen ist als Europaabgeordneter gesichert. Gestandene Sympathieträger der Partei, wie Gysi oder Bartsch, scheinen auch kein großes Interesse zu haben, die festgefahrene Karre aus dem Dreck zu ziehen. Lediglich Thüringen scheint noch das „gallische Dorf“ der Linken zu sein. Man darf gespannt sein, wie lange noch.
Die Landtagswahlen dort und in Sachsen sind gelaufen und haben das erwartete Ergebnis gebracht mit schwierigen Problemen bei der Regierungsbildung. Sollte die Brandmauer auf Biegen und Brechen aufrechterhalten werden, so bleiben nur Koalitionen übrig, die den Keim des Scheiterns infolge ihrer inneren Differenzen schon in sich tragen. Es reicht nicht zum Regieren, wenn man nur darin übereinstimmt, wen man nicht will, aber ansonsten keine gemeinsamen Ziele hat. Das Einzige, was die Parteien verbindet, ist, dass die AfD nicht mitregieren soll, obwohl sie in Thüringen eindeutiger Sieger und in Sachsen Zweiter wurde und das mit einem Riesenabstand vor der SPD. Die CDU, die gleichfalls Gewinnerin der Wahl ist, wird sich gewaltig verbiegen müssen, um mit den Wahlverlierern Koalitionen hinzukriegen. Die naheliegendste Lösung wäre eine Koalition mit der AfD zu versuchen und diese so dem Praxistest zu unterziehen. Dann würde sich sehr schnell herausstellen, ob die AfD auch praktische Politik machen kann oder ob sie wirklich so unfähig ist, wie sie von den anderen dargestellt wird. Österreich, die Schweiz und Skandinavische Länder haben das gemacht und sind nicht im Faschismus geendet! Teilweise wurden die rechten Partner „entzaubert“, denn es ist bekanntlich einfacher, aus der Opposition heraus alle möglichen Forderungen zu stellen, die, wenn man selbst regiert, in der Praxis dann nicht oder nur sehr eingeschränkt verwirklicht werden können. Die FDP ging völlig baden und ist in beiden Landesparlamenten nicht mehr vertreten. Das ist die Folge ihres Wirkens in der Ampel-Koalition, die viele ihrer Wähler abtrünnig werden ließ. Sie ist nicht mehr die attraktive bürgerliche Partei, die sie zur Zeit Genschers einmal war. In Thüringen kam noch hinzu, dass die FDP-Führung ihrem eigenen, 2020 demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich in den Rücken fiel, als er auf Order von Frau Merkel zurücktreten musste. Um noch zu retten, was zu retten ist, bildete sich jetzt in der FDP eine Initiative namens „Weckruf“, die Lindner vor die Wahl stellt, entweder die Ampel zu verlassen oder zurückzutreten. So ernst war es wohl noch nie.
Schwierige Regierungsbildung
Die olympischen Spiele in Paris sind vorbei, die Paralympics ebenfalls und nun kommt für die französische Regierung der durch die Spiele verdrängte politische Alltag wieder, mit den Schwierigkeiten einer Regierungsbildung, die der Problematik von Sachsen und Thüringen recht ähnlich ist. Man darf gespannt sein, wie die Franzosen aus diesem Dilemma herausfinden. Gerd bewegten noch die beiden umstrittenen Frauenboxerinnen. Er findet, dass das Problem nicht gelöst wurde. Der Boxverband verwies auf Untersuchungen, nach denen beide genetisch als männlich einzustufen wären und deshalb nicht bei den Frauen teilnehmen durften. Das IOC setzte sich darüber hinweg, anscheinend ohne weitere Untersuchungen vorzulegen und verwies darauf, dass es den Boxverband nicht anerkenne. Das mag vielleicht berechtigte Gründe haben – ist aber kein Argument in diesem Streitfall. Statt die Biologie sprechen zu lassen, kam es zu sachfremden Streitereien über Genderprobleme und Diskriminierungen. Gerd hat eine Idee: In fast allen Sportarten gibt es getrennte Wettbewerbe für Frauen und Männer. „Ist das nicht altmodisch?“, meint er. „Laut unserem Personenstandsgesetz kann man auch „divers“ statt männlich oder weiblich eintragen lassen. Warum also nicht auch eine dritte Gruppe „Diverse“ zu den beiden bestehenden im Sport schaffen? Oder analog zu den Paralympics noch eine dritte Olympiade schaffen? Die könnte vielleicht Diversolympics oder Transolympics heißen? Dann wäre man doch das Problem los, zu welchem Geschlecht ein Sportler gehört.“ „Das würde dem Zeitgeist entsprechen“, meinte ich dazu…
Paul F. Gaudi
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 263 vom 10. September 2024, Seite 8
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