Gedanken- & Spaziergänge im Park: Brandmauern und Krieg

„Ich verstehe unseren Stadtrat nicht“, sagte Gerd zu mir. „Da wurde auf einer der letzten Sitzungen über die Planungen zum Prämonstratenserberg diskutiert. Ein Teil des Stadtrates vertritt die Auffassungen unseres Alt-Oberbürgermeisters Willi Polte, diese Fläche wieder zu bebauen, und zwar mit historischen Fassaden statt der üblichen neuen Architektur. Ich denke, dass ein größerer Teil der Magdeburger dieser Ansicht ist. Schau dir auf dem Breiten Weg das sogenannte neue Domviertel an: die große architektonische Langeweile! Keine Stelle, wo man neugierig den Blick nach oben richtet und sich an abwechslungsreichen Fassaden erfreut. Nur die Architekten finden es scheinbar schön. Einen ähnlichen Streit gab es vor Jahren auch in Frankfurt am Main, wo gegen die Auffassung der Architekten im Dom-Römer-Areal historische Fassaden wieder hergestellt wurden. Mit dem Erfolg, dass Einwohner und Touristen es großartig finden. Warum sollte so etwas nicht auch in Magdeburg möglich sein? Ich denke, die meisten Magdeburger würde es freuen, auch wenn manche Architekten mit den Zähnen knirschen werden. Ein kleines Viertel mit kleinen Läden und Gaststätten und abwechslungsreichen historischen Fassaden. Auch im Stadtrat sind viele dafür. Nun stellte die AfD den Antrag, die historischen Fassaden für die Planung festzuschreiben. Und was macht die Mehrheit des Stadtrates? Sie stimmt dagegen! Ich habe den Verdacht, dass sie nur deshalb dagegen waren, weil der Antrag von der AfD gestellt wurde. Das wäre doch wohl lächerlich und Politik auf Kindergartenniveau!“ „Es ist im Kleinen wie im Großen“, erwiderte ich. „Schau mal die EU an: Der neue EU-Ratspräsident Viktor Orban besuchte zu Beginn seiner Amtszeit sowohl Selenskyj wie auch Putin. Das mag unnütz gewesen sein, aber einen Versuch war es auf jeden Fall wert. Und wie reagiert Ursula von der Leyen darauf? Sie traf eine Boykottentscheidung und befahl, dass an künftigen informellen Ministertreffen unter ungarischer Leitung keine Kommissare, sondern nur ranghohe Beamte teilnehmen werden. Das heißt, man lähmt die eigene Beschlussfähigkeit, um einen eigenwilligen EU-Kommissionspräsidenten zu strafen, dem das Wohl seines Landes wichtiger ist als manche Beschlüsse aus Brüssel. Eigentlich verrückt, oder?“

 

Liebe auf den zweiten Blick

 

„Es kommt noch viel toller: Frau von der Leyen will nun den Italiener Raffaele Fitto zu einem der Vizepräsidenten der EU-Kommission machen. Fitto ist der engste Vertraute der italienischen Ministerpräsidentin Meloni und gehört wie sie der rechtsextremen italienischen Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) an, die hier von auf Haltung bedachten Journalisten oft mit dem Adjektiv „postfaschistisch“ versehen wird, was übrigens Orban nie vorgeworfen wurde. Von der Leyen umarmte sich aber trotzdem herzlich mit Meloni, wie auf Fotos von ihren Treffen im Laufe des letzten Jahres zu sehen war, und sie bekundeten Einigkeit. „Liebe auf den zweiten Blick“, titelte die taz damals recht passend. Da gibt es nicht die Spur einer Brandmauer, die man jetzt der CDU gegen rechts, sprich AfD, so dringend empfiehlt. Und die CDU springt immer wieder über dieses Stöckchen, das ihr die Ampelparteien hinhalten, ohne Aussicht auf eine stabile Koalition. So sucht sie verzweifelt sogar die Nähe des Wagenknechtbündnisses, um der AfD aus dem Weg zu gehen.“ „Ja, das sind schon seltsame Eiertänze, die die CDU jetzt in Sachsen, Thüringen und Brandenburg aufführen muss. Darüber setzt sich von der Leyen um des Machterhalts halber locker hinweg. Dabei hat noch niemand die AfD als postfaschistisch eingestuft. Warum auch? Wer die Geschichte der AfD kennt, der weiß, dass die meisten ihrer Gründer CDU-Mitglieder waren, die mit dem innen- und europapolitischen Kurs von Frau Merkel nicht einverstanden waren und deshalb eine neue konservative Partei gründeten. Leider tat die CDU nichts, um die Abtrünnigen wieder zurückzuholen, sondern bemühte sich stattdessen sie zu isolieren – mit dem Erfolg, dass die AfD immer stärker wurde. Ich denke, dass das ein schwerwiegender Fehler war, der zu allem Überfluss mit den Mitgliedern der Werteunion noch einmal wiederholt wurde. So hat diese bürgerliche Partei unter Merkel sich ihres konservativen Kerns größtenteils entledigt und Platz geschaffen für Parteien rechts von ihr. Das sie jetzt dennoch so gut abgeschnitten hat, hat weniger mit ihren Verdiensten zu tun als damit, dass die ideologisch begründete Politik der Ampel von den Wählern so grottenschlecht beurteilt wird.“


„Es ist aber schon eigentümlich, wie sich manche CDU-Politiker um das Bündnis Wagenknecht bemühen und dagegen AfD-Politiker bei den Wahlen in die Parlamentspräsidien diskreditieren.“ „Das ist doch schon lange so“, erwiderte Gerd, „in Thüringen und bei uns gibt es Vizepräsidenten der Linken, die vor 1989 in der SED und zum Teil Funktionäre waren. Eine Bundestagsvizepräsidentin war sogar Mitglied des Zentralrates der FDJ und Parteihochschulabsolventin. Nach links gibt es keine Brandmauern. Wohl auch nicht gegenüber Frau Wagenknecht, die fast 20 Jahre Mitglied der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Kommunistischen Plattform der PDS war.“

 

Standort Deutschland

 

Die Terminverschiebung von Intel hat für Sachsen-Anhalt und Magdeburg ein heftiges Erschrecken ausgelöst. Im Gegensatz zu mir hatte Gerd nie so recht an das „Intel-Wunder“ geglaubt. Jedenfalls nicht zu Zeiten der Ampel. „Ich glaube nicht, dass Intel nur wegen jetzt aufgetretener eigener Schwierigkeiten seine Planung für Magdeburg auf Eis gelegt hat. Schließlich gibt es in den USA neue Projekte. Ich denke, dass sie sich den derzeitigen Zustand des Standortes Deutschland genauer angesehen haben. Nicht nur mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe stöhnen und schließen immer häufiger, sondern auch große Konzerne, wie BASF, Thyssen-Krupp oder VW legen Teile ihrer Betriebe still oder verlagern sie in das Ausland. Das hat viel mit der Energiepolitik der Ampel, der CO2-Bepreisung, der Bürokratie und solchen Sachen zu tun, die ein wirtschaftliches Wachstum behindern, statt zu fördern. Manch einer will uns auch weismachen, dass das Erstarken der AfD daran schuld wäre. Das ist blanker Unsinn. Wenn die Wirtschaft Profit wittert, interessiert es sie überhaupt nicht, wer regiert. Das siehst du ja bei VW, die ein Werk in der Diktatur China aufbauen und das noch dazu in einem Gebiet, wo die Volksgruppe der Uiguren brutal unterdrückt wird. Konzerne gehen nach Geld und nicht nach Ideologie.“

 

Israelis und Palästinenser

 

„Aber was anderes: Fällt dir eigentlich auf, dass wir uns kaum über Israel und den dortigen Krieg unterhalten?“ „Das ist für mich ein schweres Thema und ich bin da recht zwiespältig“, antwortete ich. „Das Schlimme ist, dass es meiner Ansicht nach anscheinend keine einvernehmliche Lösung zwischen den Konfliktparteien zu geben scheint. Dagegen erscheint eine Konfliktlösung zwischen der Ukraine und Russland fast einfach, wenn man die beiden Parteien an einen Tisch bringen könnte. Irgendwie liegt das im Bereich der Möglichkeiten, es ist vorstellbar. Aber Israel und die verschiedenen palästinensischen Gruppen an einem Tisch? Dazu reicht nicht mal meine Phantasie. Da ist so viel abgrundtiefer Hass, wie er zwischen Russen und Ukrainern nicht besteht. Der Überfall der Hamas am 7. Oktober vor einem Jahr auf friedliche Menschen war grausam, doch die Erwiderung Israels ging weit über das Erlittene hinaus.“ „Ich erinnere“, warf Gerd ein, „dass kurz danach berichtet wurde, dass der Geheimdienst vor einem bevorstehenden Überfall gewarnt hatte, ohne dass da-rauf reagiert wurde. Könnte es nicht sein, dass die extrem rechte Regierung auf solchen Vorfall gewartet hat, um einen Anlass für die Zerschlagung der Hamas zu haben? Vielleicht hatte sie nur nicht erwartet, dass es so schlimm wurde?“ „Möglich, aber was wissen wir schon. Tatsache ist, dass der Krieg sich ausweitet. Jetzt auf den Norden, wo im Libanon die Hisbollah hochgerüstet sitzt. Der neue Angriff mit den Explosionen der Kommunikationsgeräte, die viele Tote und noch mehr schwer Verletzte zur Folge hatte, ist eine absolut neue Dimension der Kriegsführung. Das zeigt aber auch, dass Israel es seit langem geplant haben muss, denn dazu gehört eine jahrelange Vorbereitung.“


„Manchmal habe ich das Gefühl, dass bei beiden Parteien Vorstellungen von der völligen Vernichtung der anderen Seite bestehen. Nicht bei den einfachen Menschen, aber in den Köpfen der Führenden.“ „Es hat etwas Alttestamentarisches“, sagte Gerd. „Lies mal im 1. Buch Moses, der Genesis, Abschnitt 33; 18-19 und den ganzen Abschnitt 34, wie Jakob mit seinem Stamm nach Sichem kommt und der Sohn des dortigen Königs sich in seine Tochter verliebt und sie – vielleicht – vergewaltigt, worauf zwei Söhne Jakobs nach einem scheinheiligen Vertrag alle Männer Sichems ermordeten. Einer sündigt und alle müssen sterben. Irgendwie fällt mir das jetzt immer wieder ein.“ „Das klingt hoffnungslos, wenn ein Friede nur mit dem Tod des anderen erreicht werden könnte“, sagte ich zum Abschied.


Paul F. Gaudi

 

Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.

Nr. 264 vom 24. September 2024, Seite 8

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