Homo electricus
Der weltweite Stromverbrauch steigt. Ebenso der Ressourcenverbrauch und damit die Müllberge. Angetrieben wird die Entwicklung durch die fortschreitende Digitalisierung. Eine kurze Zusammenfassung über destruktive Entwicklungen, die Fortschritt genannt werden.
Von Thomas Wischnewski
Das Lebenselixier der Gegenwart heißt Strom. Ohne elektrische Energie würde das moderne Leben, wie wir es gewohnt sind, zusammenbrechen. Ein Blick zurück: Seit 1882 wurden fossile Brennstoffe eingesetzt, um Dampf zu erzeugen, mit dem man über Generatoren Strom erzeugen konnte. Zuvor war das vorrangig mit Wasserkraft möglich. Mit dem Transport des Stroms durch Leitungen wurde sogar die Wasserkraft standortunabhängig nutzbar. Elektrische Energie war gegenüber der Dampfmaschine eine bequeme und vielseitige Einsatzmöglichkeiten. Man brauchte keine Tanks oder Lagerräume. Strom kam an der Verbrauchsstelle sauber an, und man konnte ihn per Knopfdruck von der Heizung über Elektromotoren bis hin zur Beleuchtung universell einsetzen.
Mit dem Bau großer Kraftwerke und von Hochspannungsleitungen zur Stromverteilung (hier war Deutschland seit 1885 Vorreiter) begann sein Siegeszug Anfang des 20. Jahrhunderts; wo immer die teure Infrastruktur erst einmal aufgebaut war – zuerst in den USA, dann in Europa – gewann Strom enorm an Bedeutung: 1950 gingen 10 Prozent der fossilen Brennstoffe in die Stromerzeugung, Ende des Jahrhunderts bereits 40 Prozent. Strom erlaubte vor allem die Versorgung kleiner Anwendungen wie Waschmaschine oder Radio; die moderne Welt mit Kommunikations- und Informationstechnologien und automatisierten Produktionsprozessen wäre ohne Strom nicht denkbar. Auch vollkommen neue Industrien wie die Aluminiumproduktion wurden durch Strom ermöglicht. Im Jahr 2008 wurden weltweit 20.181 Terawattstunden Strom verbraucht, das sind 20.181 Milliarden Kilowattstunden.
Die Welt braucht mehr Strom
Der globale Energieverbrauch steigt inzwischen schneller als im historischen Trend (+2,2 % im Jahr 2023). Vor allem die sogenannten BRICS-Staaten (+5,1 %) sorgten im vergangenen Jahr für 42 Prozent des globalen Energieverbrauchs. Dabei stieg der Verbrauch in China um 6,6 Prozent und doppelt schnell wie der Durchschnitt von 2010 bis 2019. Ähnlich sieht es in Indien aus (+5,1 %). Auch in Brasilien beschleunigte sich der Energieverbrauch um 3,3 Prozent (+0,9 %/Jahr von 2010-2019). Im Gegensatz dazu ist der Energieverbrauch in den OECD-Ländern (-1,5 %) wegen eines geringen Wirtschaftswachstums und einer schwachen Industrietätigkeit das zweite Jahr in Folge zurückgegangen: Er sank in der EU (-4,2 %, davon -9,3 % in Deutschland), Japan (-3,5 %) und Südkorea (-2,8 %). Nur in den USA blieb der Verbrauch stabil (höherer Ölverbrauch für den Verkehr, aber geringerer Stromverbrauch für Kühlung und sinkender Kohleverbrauch / Quelle: https://energiestatistik.enerdata.net).
Einerseits ist das Bevölkerungswachstum Treiber eines steigenden Stromverbrauchs, andererseits fördert die Digitalisierung den Energiebedarf. Ob die Dekarbonisierung mit einem wachsenden Bedarf Schritt halten kann und alternative Energieerzeugung die Antwort auf alle Fragen ist, sei dahingestellt. Was weniger oft in den Mittelpunkt gerückt wird, ist neben dem Strombedarf die wachsende Masse an Endgeräten. Auch hier treibt die Digitalisierung des Lebens Produktion und dann wiederum die Entsorgung bzw. das Wachsen von Müllbergen an. Der globale „E-Waste Monitor 2024“, der vom UN-Institut für Training und Forschung und die Internationale Telekommunikationsunion herausgegeben wird, zeigt, dass die Elektrifizierung und Digitalisierung des Alltags eine gewaltige Menge Müll erzeugen. Belief sich die rund um die Welt ausgemusterte Menge elektrischer und elektronischer Geräte im Jahr 2010 noch auf 34 Milliarden Kilogramm, ist sie im Jahr 2022 bereits auf 62 Milliarden Kilogramm angestiegen. Für das Jahr 2030 prognostizieren die Autoren einen jährlichen elektrischen Müllberg von insgesamt 82 Milliarden Kilogramm. Hinzu kommt durch den häufigen Austausch von Geräten ein Ressourcenverlust. Nach Angaben der EU-Kommission würden durch eine zu frühe Entsorgung von Konsumgütern aller Art 30 Millionen Tonnen Ressourcen im Jahr unnötigerweise verbraucht. Inzwischen gibt es zwar Unternehmen, die Reparaturen anbieten, aber das sind aktuell nur Tropfen auf einen heißen Stein.
Noch mehr elektrische SUVs
E-Mobilität soll ja eine Lösung für Emissionen sein. Kurios ist jedoch, was Konsumenten tatsächlich für Autos anschaffen. Laut dem Kraftfahrt-Bundesamt waren in den ersten zwei Dritteln des laufenden Jahres mehr als die Hälfte der neu zugelassenen rein batterieelektrischen Autos SUVs. Rechnet man die Geländewagen hinzu, die vom Verbraucher ebenfalls als SUVs wahrgenommen werden, sind es sogar knapp 55 Prozent. Minis, Klein- und Kompaktwagen machten dagegen nur etwa 26 Prozent aus. Die Dominanz der SUVs und Geländewagen ist damit bei den reinen E-Autos noch größer als im Gesamtmarkt, inklusive der Verbrenner-Kfz. Dort stehen sie für etwa 41 Prozent aller Neuzulassungen.
Haben Sie schon einmal etwas von PFAS-Verbindungen gehört? Das sind Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. „Die Stoffgruppe umfasst zwischen einige Tausend bis einige Millionen von Einzelstoffen. Da sie oder ihre Abbauprodukte in der Umwelt sehr persistent sind, werden sie auch Ewigkeitschemikalien genannt. Einige PFAS stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Die jährlichen gesundheitsbezogenen Gesamtkosten im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber PFAS wurden 2019 für die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auf mindestens 52 bis 84 Milliarden Euro, für die Vereinigten Staaten im Jahr 2018 auf 6 bis 62 Milliarden USD geschätzt. Die jährlichen Gesamtkosten für Umweltscreening, Überwachung bei Kontamination, Wasseraufbereitung, Bodensanierung und Gesundheitsbewertung belaufen sich im EWR plus der Schweiz auf 821 Millionen bis 170 Milliarden Euro. Die American Water Works Association schätzt, dass es 370 Milliarden Dollar kosten würde, die PFAS aus dem US-Trinkwasser zu entfernen.“ So ist es bei Wikipedia zu lesen.
Giftige Ewigkeitschemikalien
Laut dem Bundesverband der Deutschen Industrie existieren für viele PFAS-Verwendungen absehbar keine geeigneten Alternativen. Als Beispiele nennt der Verband den Bau von Windkraftanlagen. Große Windkraftanlagen sollen rund 100 Kilogramm PFAS-Verbindungen enthalten. Die Landschaften werden also kontinuierlich mit toxischen Ewigkeitschemikalien kontaminiert.
Der technologische Fortschritt hat eben stets eine destruktive Seite. Eigentlich könnten mit dem zur Verfügung stehenden Wissen alle diese kontraproduktiven Ergebnisse benannt werden. Möglicherweise wäre die Suche nach Lösungen einfacher. So wie die Industrialisierung im vorvergangenen Jahrhundert für eine enorme Umweltverschmutzung sorgte, die seit Jahrzehnten mühsam zurückgedrängt werden konnte, schafft der systemische Ausbau neuer flächendeckender Technologien wiederum ökologische Zerstörung und Beeinträchtigung von Lebensräumen. Bisher ist es der Menschheit in ihrer bekannten Geschichte noch nie gelungen, die negativen Auswirkungen von vornherein auszuschließen. Erst wenn die Katastrophe naht, wird meist mit politischem Aktionismus geantwortet. Der flächendeckende Aufbau von Windkraftanlagen als rettender Ausweg für eine Klimawandelwende wird da keine Ausnahme machen, genauso wenig wie die E-Mobilität. Schön wäre es, der Autor könnte an dieser Stelle Lösungen anbieten. Solche waren bisher jedoch nicht zu recherchieren. Feststellbar bleibt letztlich nur, dass ein politisches Setzen auf eine technologische Lösung nie eine Lösung sein kann. Das nennt man einfache Antworten auf komplexe Fragen. Dieser Satz fällt sehr oft im politischen Raum und wird sogenannten Populisten angeheftet. Komplexe Antworten sucht man bei jenen vergeblich, die angeblich wissen, was richtig ist.
Nr. 264 vom 24. September 2024, Seite 10
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