Träumen durchaus erlaubt
Der 1. FC Magdeburg rangiert auf Rang zwei in der 2. Fußball-Bundesliga – den Fans des 1. FC Magdeburg sollte es nicht verwehrt sein, einen zarten Blick nach oben zu riskieren.
Von Rudi Bartlitz
Seit jeher sind die Menschen von Träumen fasziniert. Was im Schlaf erlebt wird, kann bizarr, beängstigend, erhebend oder sogar visionär sein. Ob nun ausgerechnet der oft triste Oktober dazu bestimmt ist zu träumen, ist neurowissenschaftlich nicht überliefert. Eigentlich bieten sich dafür andere Monate an; der Mai etwa. Und doch, in Magdeburg träumen sie in diesen Tagen. Intensiver als sonst. Vor allem jene, denen ihre Fiktionen in zwei Lieblingsfarben scheinen: in Blau und in Weiß.
Sicher, geträumt wird immer. Dennoch, in diesen Herbsttagen scheint es in der Börde und drumherum doch ein wenig anders zu sein als sonst. Gewiss, ein eventueller FCM-Aufstieg liegt noch in weiter Ferne. Und ein Mitfavorit dafür, wie dieser Tage oft zu lesen ist (Darmstadt-Coach Kohfeldt sieht den FCM „in der Form natürlich als ein klarer Aufstiegsfavorit“), sind die Titz-Schützlinge eigentlich auch nicht. Dennoch, die Sehnsüchte und Wünsche gründen sich, mehr als früher, diesmal auf ganz realen Dingen. Sprich: auf soliden bis teils überdurchschnittlichen Leistungen auf dem Platz. Und vielleicht noch wichtiger, auf Punkten und Tabellenrängen. Noch ungeschlagen, mit vier Siegen, vier Remis und Aufstiegsplatz zwei ist es der beste Saisonstart seit dem Zweitliga-Aufstieg überhaupt.
Nun ist das mit Träumen stets so eine Sache. Oft eine zweischneidige. So wie sich die Konstellation darbot, hätte ein Sieg gegen Greuther Fürth am Wochenende sogar die Tabellenführung für den FCM bedeutet. Erstmals überhaupt in der Club-Geschichte. Was die Anhänger dann aber beim 2:2 zu sehen bekamen, ließ manche Sehnsüchte zunächst einmal leise zerplatzen. Sollte es am Ende gar heißen: Alles begann eigentlich wie ein wunderbarer Traum – und endete wie ein böser Albtraum?
Dafür erlebten die Fans eine Partie, die garantiert als vergnügungssteuerpflichtig durchgegangen wäre. Ein Slapstick-Festival erster Güte. Wann erlebt man schon einmal binnen 27 Minuten zwei skurrile Handelfmeter, einen auf jeder Seite, bei denen Abwehrspieler wie bei lustigen Kinder-Geburtstagen und völlig unmotiviert jeweils den Ball in die Hand nehmen. Irgendwie müssen sie das mit der Handball-Stadt Magdeburg falsch verstanden haben. Fürth-Trainer Alex Zorniger war baff: „Ein Wahnsinnsspiel. Ich habe jetzt über 600 Partien als Chefcoach (u. a. RB Leipzig, VfB Stuttgart, Bröndby Kopenhagen, d. Red.) hinter mir, aber an so etwas kann ich mich nicht erinnern.“ Für die ARD war es ein „Novum in der deutschen Fußballgeschichte“.
So sehr die Szene wie ein Teil der Rocky-Horror-Picture-Show anmutete, verloren ist für den FCM noch gar nichts. Wer ein wenig in den Archiven blättert, wird feststellen, auch in den Vorjahren hatten sich die späteren Aufsteiger bereits oben festgesetzt. So war der FC St. Pauli im Oktober 2023 Spitzenreiter, Holstein Kiel folgte dahinter. Ein Jahr davor belegten die beiden späteren Bundesligisten Heidenheim und Darmstadt die Ränge drei und vier. Mit allen vier kreuzte der FCM übrigens in der Vergangenheit die Klingen. Und wenn die Erinnerung nicht ganz trügt, man konnte mehr oder weniger mithalten, ein Klassenunterschied war da nie auszumachen.
Entsprechend huldigten die Fans die Ihren in den Foren. „Die Basis besteht immer noch aus hohem Pressing, Ballbesitz, kurzen Pässen und Dribblings. Aber unser Spiel facettenreicher geworden“, schrieb einer. „Es werden vermehrt lange Bälle in die Spitze oder Diagonalbälle auf die Flügel eingestreut. Auch das schnelle Umschaltspiel gelingt deutlich besser. Im Verteidigen von Standards und hohen Bällen hat die Mannschaft ebenfalls zugelegt. Und nicht zuletzt haben wir an Laufstärke gewonnen, machen mehr intensive Läufe und Sprints. Die Spielanlage ist kompletter geworden und schwerer auszurechnen.“ Auf einer Sport-Zeitungsseite hätte es kaum besser umschrieben werden können.
Der FCM ganz oben dabei, es wäre für den lange darbenden Ostfußball ein ermutigendes Zeichen. Neben dem finanziell in einer anderen Welt beheimateten RB Leipzig und neben Union Berlin wäre er der dritte Klub aus den gar nicht mehr so neuen Ländern. Und warum sollte an der Elbe nicht möglich sein, was nach der Jahrtausendwende sechs Spielzeiten lang bei Energie Cottbus passierte. Wirtschaftlich ist die Lausitz nämlich ebenso wenig auf Rosen gebettet wie Sachsen-Anhalt.
Nr. 265 vom 09. Oktober 2024, Seite 28
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