Gedanken- & Spaziergänge im Park: Turbulenzen und Umbrüche
Bei den Grünen geht es derzeit drunter und drüber. Nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg traten die beiden Vorsitzenden der Grünen Nouripour und Ricarda Lang zurück. Gleiches taten auch mehrere Vorstände der Grünen Jugend aus mehreren Bundesländern und verließen sogar ganz die Partei, weil sie mit der derzeitigen Parteilinie nicht einverstanden sind und eine neue links-grüne Jugendorganisation gründen wollen. Das muss nicht schlecht für die grüne Partei sein, denn wenn man die Aussagen dieser Jugendfunktionäre im Fernsehen sah, dann fragte man sich, warum sie eigentlich nicht schon längst bei den Linken seien. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Grüne Jugend sich nun wiederfindet und wie viele ihrer Mitglieder den Ausgetretenen folgen.
Der Rücktritt von Lang und Nouripour war dagegen überraschender. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Beiden eigentlich nur ein Bauernopfer sind, um die Minister Habeck und Baerbock zu schonen, denn die miserablen Wahlergebnisse für die Grünen in den drei Bundesländern galten in erster Linie ihnen, die die Politik in der Ampelregierung als Minister mitgestalten und nicht so sehr den beiden Vorsitzenden, die sie natürlich auch mitgetragen haben. „Die beiden nehmen die Schuld auf sich, damit Herr Habeck sich seinen Wunsch, Kanzlerkandidat bei der nächsten Bundestagswahl zu werden, erfüllen kann“, findet Gerd. „Frau Baerbock hatte schon Anfang Juli erklärt, dass sie keine Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur habe,“ erwiderte ich. Darauf lachte Gerd und sagte: „Ja, besonders hübsch ist aber ihre Begründung dafür: Sie sagte, dass es in der Welt so viele gefährliche Konflikte und Krisen gäbe, die ihre komplette Aufmerksamkeit erfordern, so dass sie keine Zeit für den bevorstehenden Wahlkampf habe. Ist sie nicht süß?“ „So kann man die eigene Chancenlosigkeit als großherziges Opfer verkaufen. Aber ob ihr das jemand abkauft?“
„Autonome Gebirgsrepublik Suhl“
Ein Skandal war die erste Sitzung des neuen Thüringer Landtages. Die Neue Züricher Zeitung (NZZ), die manche „unser neues Westfernsehen“ nennen, kritisierte diese Sitzung als eine „für eine Demokratie unwürdige Veranstaltung“. Gerd hatte sich die Übertragung im TV von Anfang an angesehen und teilt diese Meinung. „Das reinste Affentheater“, sagte er. Von Beginn an störten Zwischenrufer vor allen aus den Reihen der CDU und des BSW den Alterspräsidenten Jürgen Treutler (AfD), der ordnungsgemäß die Eröffnungsrede halten wollte und dabei eigentlich nie über den ersten Satz hinauskam. Die Störer wollten als erstes eine Abstimmung über eine neue Tagesordnung statt der üblichen, mit dem Ziel, dass alle Fraktionen statt der stärksten einen Kandidaten für die Wahl zum Landtagspräsidenten aufstellen können. Das ist in der gültigen Wahlordnung nicht vorgesehen und man hatte versäumt, diese Ordnung zu verändern, solange man noch an der Macht war. Besonders lautstark fielen die Fraktionsvorsitzenden Tilo Kummer (BSW) und Andreas Bühl (CDU) auf, die fortlaufend den Alterspräsidenten unterbrachen. Als dieser darauf bestand, seine Rede fortzusetzen, entblödete sich Andreas Bühl nicht, dem Alterspräsidenten zuzurufen: „Was Sie hier treiben ist Machtergreifung!“ Wenn man das Ganze im Fernsehen verfolgt hat, dann weiß man, dass dieser Ausdruck, eine Reminiszenz an die Nazizeit, ausgesprochen unangebracht war. Es war der Versuch der unterlegenen Parteien, die Spielregeln unmittelbar vor dem Spiel noch zu ändern, da sonst die AfD hätte Sieger werden können. Das ist nicht üblich, aber rechtlich möglich, wie das Thüringer Verfassungsgericht am nächsten Tag entschied.
Die AfD und ihr Alterspräsident nahmen diese Entscheidung ohne Widerspruch hin. Die Wahlen zu dem Landtagspräsidium wurden unter Leitung des AfD-Alterspräsidenten nun ordnungsgemäß durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass ein CDU-Politiker Landtagspräsident wurde und alle anderen Vizepräsidenten gewählt wurden, außer der AfD-Kandidatin, die durchfiel. Der Fraktionsvorsitzende der AfD bedankte sich bei den übrigen Abgeordneten und sagte, dass ihr Auftreten im Landtag die Sympathien der Wähler für die AfD erhöht habe! Gerd endete seinen Bericht mit den Worten: „Übrigens spielte sich das ganze Gegenteil wenige Tage später in Dresden bei der Konstituierung des sächsischen Landtags ab. Ohne viel Aufsehen wurde dort auch ein AfD-Abgeordneter zum Vizepräsidenten des Landtags gewählt. So vernünftig geht es also auch.“ „Ja, die Thüringer sind schon was Besonderes. Nicht umsonst nannten wir Thüringen in der DDR die Autonome Gebirgsrepublik Suhl.“ „Weißt du,“ antwortete Gerd, „ich möchte aber zu gern einmal bei einer Familienfeier des Thüringer CDU-Fraktionschefs Andreas Bühl dabei sein. Weißt du warum? Sein älterer Bruder Marcus Bühl ist nämlich seit 2017 Bundestagsabgeordneter für die AfD! Da möchte ich mal Mäuschen sein, wenn die beiden zusammentreffen.“
An Wagenknechts Nasenring
Die immer enger werdende Brandmauer, die gegen die AfD errichtet wurde, scheint allmählich zur Zwangsjacke zu werden und führt zu eigenartigen Ergebnissen. So erschien kürzlich in der FAZ eine gemeinsame Stellungnahme der drei Ministerpräsidenten von Brandenburg, Thüringen und Sachsen, dass sie für mehr Diplomatie im Ukraine-Konflikt und einen Waffenstillstand wären, also durchaus abweichend von den Reden ihrer Vorsitzenden in SPD und CDU. Der Grund für diese Abweichung ist, dass alle drei bei den bevorstehenden Regierungsbildungen auf das BSW angewiesen sind und dass diese Forderungen zur Bedingung einer Zusammenarbeit macht. Frau Wagenknecht lobte das Trio auch umgehend dafür. So werden die in der Brandmauer einbetonierten Ministerpräsidenten von Frau Wagenknecht wie an einem Nasenring durch die politische Arena gezogen. Aber Sarah Wagenknecht hat auch noch andere Vorstellungen als die CDU und die SPD in Fragen der EU, der Nachrüstung und der Migrationspolitik. Man kann gespannt sein über welche Stöckchen, die ihnen Frau Wagenknecht hinhalten wird, die drei Ministerpräsidenten noch springen werden. „Außer ihr wird dadurch der andere Gewinner dann AfD heißen“, prophezeit Gerd.
Wer hat die Gewalt verhindert?
Auf unserem weiteren Weg erinnerten wir uns auch an die Geschehnisse vor 35 Jahren im Oktober 1989. Ich erzählte Gerd, dass ich am 6. Oktober 1989 in Leipzig war, wo mir eine Ärztin der Uniklinik voller Erschütterung erzählte, dass die Kliniken freie Betten und eine größere Menge an Blutkonserven für den kommenden Montag vorzuhalten hätten, da gewalttätige Demonstrationen zu erwarten wären. Gerd hatte ähnliches in Magdeburg erlebt. Damals hatte er in einer Klinik der medizinischen Akademie vom 8. zum 9. Oktober Nachtdienst. Überraschend kam die Parteisekretärin der Klinik, eine Ärztin, schon um 6 Uhr zum Dienst, weil sie zu wichtigen Informationen gerufen worden wäre. Um 7:30 Uhr wurde die Belegschaft der Klinik im Hörsaal versammelt und die Parteisekretärin warnte in einer kurzen Ansprache alle Mitarbeiter davor, am Abend zu dem Montagsgebet in den Dom zu gehen, denn die staatlichen Organe wären darüber informiert, dass Provokateure gewalttätige Ausschreitungen planten. Deshalb könnte es geschehen, dass die „staatlichen Organe“ energisch, notfalls auch mit Waffengewalt einschreiten müssten. Dabei hat es in Magdeburg noch keine solche Demonstrationen wie in Leipzig gegeben. Das Montagsgebet fand immer nur im Dom statt. Gerd wohnte damals in einem Eckhaus Sternstraße/Geißlerstraße. Als er am späten Nachmittag wieder zu Hause war, sah er wie eine größere Anzahl von Fahrzeugen aus dem Polizeigelände „am Buckauer Tor“ fuhren. Es waren Mannschaftswagen mit bewaffneten Volkspolizisten und Kampfgruppen, Wasserwerfer und Lastwagen mit großen Gittern vor dem Kühler, sogenannten „Schneeschiebern“. Sie fuhren alle durch die Geißlerstraße und bogen dann links auf die Hegelstraße in Richtung Dom ein. Es habe gefährlich ausgesehen, sagte Gerd. In banger Erwartung blieb er am Fenster. Dann kam die Überraschung: Eine knappe Stunde später fuhren zwei blankgeputzte Jeeps der Roten Armee durch die Geißlerstraße zu dem hellerleuchteten Polizeigebäude, wo sich vielleicht das „Lagezentrum“ befand. Deutlich zu erkennen waren in den Jeeps mehrere sowjetische Offiziere mit goldenen Schulterstücken. Ob ein General dabei war oder es Oberste waren, war nicht genau zu erkennen. Die Offiziere waren kaum eine halbe Stunde in dem Polizeigebäude, da begann der Rückmarsch der Volkspolizei und Kampfgruppen aus der Hegelstraße zurück zum Buckauer Tor. „Ich glaube fest daran, dass es die sowjetische Führung unter Gorbatschow war, die die gewaltsame Niederschlagung der Demonstrationen untersagte“, beendete Gerd seinen Bericht, „denn Egon Krenz hatte der chinesischen Führung noch Anfang Juni zu dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking gratuliert. Dazu kam es in Deutschland Gott sei Dank nicht.“
Paul F. Gaudi
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online bestellt werden.
Nr. 265 vom 09. Oktober 2024, Seite 8
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