Wenn die Kurve brennt
Die Situation in deutschen Fußball-Stadien eskaliert. Politik und Sport wollen jetzt auf einem Sicherheits-Gipfel über Schritte dagegen beraten. Besteht die Chance, wenigstens das ewige Zündeln, den gefährlichen Einsatz von Pyro-Technik einzudämmen?
Rudi Bartlitz

Bengalos, brennende Fackeln, dicke, schier undurchdringlicher Rauchschwaden, krachende Böller – in vielen Stadien des deutschen Fußballs längst alltägliche Bilder. Die Gefahr für Leib und Leben der Besucher als ständiger Begleiter. Es sind Szenen, so der Eindruck, die trotz des hierzulande bestehenden Pyro-Verbots von den Veranstaltern (und Sicherheitskräften) einfach nicht in den Griff zu bekommen sind. Trotz vielfältiger Versuche in der Vergangenheit. Trotz hoher Strafen.
Im Gegenteil, in den Kurven brennt es heute heller als je zuvor. Weil Pyro für die Zündler, wie sie vorgeben, unverzichtbarer Teil der Fußballkultur sei, von der sie nicht ablassen wollen – und werden. Mögen die Strafen noch so hoch sein. Das eigentlich Bizarre daran: Es sind nicht die Täter, die herangezogen werden, um die Rechnung zu begleichen.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) setzt nämlich bisher vor allem auf ein anderes Mittel: Abschreckung durch Geldstrafen für jene Klubs, deren Anhänger Pyro im Fanblock zünden. Versuche der Vereine, sich Gelder von den Verursachern (so sie denn überhaupt ermittelt werden können) zurückzuholen, schlagen mehr oder weniger in Leere. Eine Zahl, die dabei aufhorchen lässt: Seit der Saison 2018/2019 haben sich die verhängten Strafsummen mehr als verdoppelt! In der Spielzeit 2022/2023 wurden von den DFB-Sportgerichten in fast 300 Verfahren Geldstrafen in Höhe von fast 7,4 Millionen Euro ausgesprochen. In der letzten vollständigen Saison vor Corona waren es noch gut 3,2 Millionen Euro gewesen. Der Hauptteil der Strafen betraf dabei das Abbrennen von Pyrotechnik.
Ein Beispiel nur: Der FCM war allein im Februar wegen „unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger“ mit einer Strafe von 144.600 Euro belegt worden. Beim Spiel bei Hertha BSC hatten Magdeburger Zuschauer Raketen in den Innenraum geschossen. Zudem wurden Bengalische Feuer und Böller gezündet. Zusätzlich schossen Chaoten mindestens zwei Feuerwerksbatterien mit jeweils mindestens 20 Schuss in den Innenraum, woraufhin der Schiedsrichter die Partie unterbrach. „Das Thema gärt schon seit Jahren bei uns und wir haben kein Patentrezept. Ob man es legalisiert, teil-legalisiert oder ob es einfach nicht geht. Es gibt keine Maßnahmen”, sagte Sport-Geschäftsführer Otmar Schork über die verfahrene Situation.
Jetzt soll also ein neuer Versuch unternommen werden, das gefährliche Spiel mit den Flammen zumindest einzudämmen. Für Mitte Oktober haben die deutsche Innenpolitik sowie Fußball- und Liga-Verband (DFL) zu einem Gipfel geladen. Generelles Thema: Die Sicherheit im deutschen Fußball. Eines der Hauptthema dabei: Der Umgang mit gefährlicher Pyro-Technik. Die verhärteten Fronten zwischen beiden Seiten sollen, so das Ansinnen, zumindest aufgeweicht werden. Doch bevor sich die Potentaten überhaupt treffen, hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mal gleich eine, um im Bild zu bleiben, kleine Brandfackel in die Runde geworfen. Er erwarte „dringend konkrete Vorschläge“ der Verbände und Klubs im Kampf gegen Gewalttäter und Pyro-Chaoten, sagte er in einem „Sport Bild“-Interview. Andernfalls drohte er mit Geisterspielen, personalisierten Tickets, Spielabbrüchen und Punktabzügen.
Herrmann geht sogar noch weiter: Er plädiert für die Rückkehr zum kollektiven Ausschluss von Fans. Eine Maßnahme, die das DFB-Sportgericht nur als letztes Mittel vorsieht – und die in der Praxis seit 2017 nicht mehr verhängt wurde. Damit hat Herrmann, um einmal einen Ausspruch von Ex-Bayern Trainer Giovanni Trapattoni aufzugreifen, noch längst „nicht fertig“. Er bringt sogar Schnellgerichte zur Bestrafung von Fußballfans ins Spiel. Das Risiko für Verletzungen, so seine Argumentation, sei gerade durch Pyrotechnik hoch. Herrmann sprach von „Lebensgefahr” und fügte an: „Wir können von Glück sagen, dass das bisher nicht eingetreten ist. Das Risiko ist offenkundig groß.”
Der CSU-Mann steht nicht allein. Für Punktabzüge – das wäre neu im Katalog und würde die Vereine möglicherweise härter treffen als Geldbußen – sprach sich dieser Tage auch Bremens Innensenator Ulrich Mäurer aus. „Ein möglicher Weg wäre“, so der SPD-Politiker, „Strafen vielmehr überwiegend in Punktabzügen für die entsprechende Mannschaft zu verhängen”. Auf diese Weise „träfe man einerseits die Vereine in deutlich empfindlicherer Art und Weise und könnte diese dadurch zu konsequenteren Einlassdurchsuchungen bringen”. Außerdem stünden die Verursacher im Fanblock „unter deutlich höherem Druck, zum Wohl ihrer Mannschaft keine Verstöße mehr zu begehen”.
Die Fan-Szene antwortet auf derartige Überlegungen mit ihrem Standard-Schlachtruf, der da lautet: „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“. Linda Röttig, Vorstandsmitglied beim Dachverband der Fan-Hilfen, sagte dazu: „Einmal mehr werden Horrorgeschichten über das Stadionerlebnis verbreitet, die nichts mit der Realität zu tun haben.” Stadien seien sichere Orte. „Die aufgestellten Forderungen von Joachim Herrmann sind an Populismus nicht zu überbieten und ein direkter Angriff auf die freie und selbstbestimmte Fankultur in den Kurven.” Thomas Kessen, Sprecher der Organisation “Unsere Kurve”, nannte die Forderungen Herrmanns ebenfalls populistisch. Sie gingen am Thema vorbei, sagte er der ARD-Sportschau. „Durch E-Tickets sind fast alle Eintrittskarten längst personalisiert.” Weiter: „Soll es jetzt für die Klubs eine Lizenzauflage werden, einen Gerichtssaal im Stadion bereitzuhalten?” Die Polizeizahlen zeigten, „dass es kaum einen Raum gibt, der sicherer als Fußballstadien ist.”
Eine Beilegung des Konflikts scheint nicht in Sicht. Wenn da nicht hoch im Norden ein kleines Fünkchen (!) Hoffnung leuchten würde. Bis Ende kommender Saison ist in Norwegen das Abbrennen von Pyro in den Stadien der ersten und zweiten Liga erlaubt – unter strengen Auflagen. Die Fans müssen über 18 Jahre alt sein, eine Schulung durchlaufen und nüchtern beim Abbrennen sein. Dazu geht dies nur in markierten Stadionbereichen mit einem Abstand von einem Meter zwischen den Anhängern. In Deutschland kamen Kompromisse für ein kontrolliertes Abbrennen in der Vergangenheit nicht zustande. Eine Diskussion mit Fanbündnissen brach der DFB 2011 mit Verweis auf die Ergebnisse eines Gutachtens einseitig ab.
KOMPAKT
Seit den 1980er Jahren sind Pyrotechnik und insbesondere Bengalos fester Bestandteil der Fankultur. Die ursprünglich zur Seenotrettung entwickelten Handfackeln erzeugen intensiv rote Flammen, dichten Rauch und Temperaturen von bis zu 2.500 Grad Celsius. Das Einatmen der chemischen Dämpfe ist gesundheitsschädlich und kann zu Atembeschwerden führen. Zudem sind bengalische Feuer schwer zu löschen und erhöhen die Gefahr eines unkontrollierbaren Brandes. Das Mitführen und Abbrennen von nicht zugelassenen Feuerwerkskörpern stellt eine Straftat dar und kann mit Geldstrafen oder in schweren Fällen mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren geahndet werden.
Nr. 265 vom 9. Oktober 2024, Seite 30
Veranstaltungen im mach|werk
Voice of Summer – Flunder & Friends
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
ZWEISAITEN
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Cocktail-Party mit den Stubenrockern
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Kaffeekränzchen mit Kathrin Eigendorf
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Clifford Brown & The Getaway
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
KOMPAKT Salon mit Dr. Dieter Böhm
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Sebastian Szibor
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Kopf & Kragen mit Henryk M. Broder
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Hyperschall
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Pete Alderton
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
ABBA Summer Night City mit Ilka Hein
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Kaffeekränzchen mit Jörg Ratai
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg