Bekenntnisse eines Kulturbanausen

Vor einigen Jahren waren wir auf einer Kreuzfahrt mit einem Schiff der Aida-Flotte. Jeden Abend, immer pünktlich um 18.30 Uhr, gab es eine Veranstaltung mit der Bezeichnung „Prime Time“. Es waren stets interessante Themen, die da besprochen wurden. Da wurde der Kapitän des Schiffes interviewt, oder der leitende Schiffsingenieur gab Erläuterungen zur Technik des Schiffes, oder die Zuschauer waren zu einem Quiz aufgerufen. Tatsächlich, nicht langweilig. Aber warum hieß es „Prime Time“? Nach meiner Schätzung waren mindestens 90 Prozent der Passagiere des Schiffes Deutsche; es bestand also keine Notwendigkeit, ein Publikum anzusprechen, das ausländische Wurzeln hat.
Auf solch einem großen Schiff gibt es auch Bars. Und der Besuch einer solchen Einrichtung soll ja auch zu den schönen Seiten einer Kreuzfahrt gehören. Die Cocktails waren wirklich lecker, da gab es nichts zu meckern. Und in der Bar wird auch Musik gemacht. Das sah dann so aus, dass eine nicht mehr ganz so junge Dame auf der Bühne vor einem Mikrofon stand und Lied auf Lied von sich gab. ‚Lied‘ heißt es nicht, es waren sogenannte Songs. Und wenn sie dann ihren Song beendet hatte, gab es Beifall. Ganz verhaltenen Beifall, keine Beifallsstürme. Und der Beifall schien mehr aus Höflichkeit gegeben worden sein. Natürlich, klar, wer möchte gern Beifall für etwas spenden, das er nicht versteht und vielleicht sogar für langweilig hält? Denn jeder, tatsächlich jeder dieser Songs war in englischer Sprache gesungen worden. Eine kleine Unterbrechung gab es, als – dieses Mal tatsächlich in deutscher Sprache angesagt – der Auftritt eines jungen Sängers, dem eine hervorragende Karriere bevorstehen würde, verkündet wurde. Wenn jetzt Besucher der Bar erwartet hatten, es gäbe Anlass zu herzlichem Beifall, dann wurden sie enttäuscht. Wie seine Vorgängerin auf der Bühne schmetterte der junge Mann genauso seine Songs in englischer Sprache in den Raum. Um ehrlich zu sein, so einen großen Genuss hatte ich nicht von diesen Darbietungen. Aber, und da, liebe Leserinnen und Leser, mögen Sie mir widersprechen, denn ich stellte mir in meinem Inneren die Frage, ob es in Deutschland keine Texter (‚Songwriter‘) und Komponisten gibt, die in der Lage wären, ins Ohr gehende Musiktitel für Bars zu schaffen? Kulturell armes Deutschland?
Was ist überhaupt ein Banause? Dies ist erstmal ein maskulines Substantiv, also heißt es ‚der Banause‘. Und wie ist dieses Wort definiert? „Person, der jegliches Interesse, Gefühl, Verständnis für geistige oder künstlerische Dinge fehlt, die nicht die Fähigkeit hat, in angemessener Weise mit Dingen umzugehen, die von Kennern geschätzt werden.“, oder, um näher an unsere Überschrift heranzukommen, „Der Banause wird als abwertende Bezeichnung gebraucht, mit der den Betroffenen ein Mangel an Intellekt, Feingefühl oder Bildung unterstellt wird; im Besonderen wird „Kunst“- oder „Kulturbanause“ als Vorwurf gegen ein fehlendes Kunstverständnis gebraucht.“
Und nun bezichtige ich mich selbst, so ein Kulturbanause zu sein. Dabei sind wir alle doch ständig von Kultur umgeben. Dafür sorgen schon die Medien. Nicht nur das Fernsehen, auch die gedruckten Medien bemühen sich, uns allen die Kultur nahezubringen. Nicht zu vergessen dabei unsere Kompakt-Zeitung. In der Ausgabe Nr. 262, also der ersten Septembernummer dieses Jahres, sind, wenn ich richtig zählen kann, neun Seiten der Kultur gewidmet. Wobei hier als Kultur kulturelle Veranstaltungen gemeint sind. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, dies gestatten, dann ist es erlaubt, mal einen Blick darauf zu werfen, wie diese kulturellen Veranstaltungen so angeboten werden. Dabei versuchen wir einen Blick sozusagen aus sprachlicher Sicht.
Es ist ganz selbstverständlich, dass es sich bei den Angeboten von kulturellen Veranstaltungen in erster Linie um solche handelt, die sich – entsprechend dem Ort der Herausgabe unserer Kompakt-Zeitung – in Magdeburg abspielen. Und auch ganz verständlich ist, dass sich das Medienzentrum dieser Zeitung mit der Adresse Breiter Weg 114 a immer mehr auch als Haus für solche Veranstaltungen etabliert. Es scheint, als gäbe es unter dieser Adresse einen Raum oder mehrere Räume, die für solche Maßnahmen besonders geeignet sind. Ganz genau kann ich hier leider diese Örtlichkeiten nicht bezeichnen, das gibt einfach mein Computer nicht her. Noch größere Schwierigkeiten könnten Freunde mit einem Smartphone oder iPhone haben, denn garantiert haben sie auf ihrer Tastatur, auch nicht auf einer einfachen digitalen, den senkrechten Strich. Die Örtlichkeiten in dem Haus heißen nämlich ‚Mach Werk‘. Zwischen beiden Wörtern steht ein senkrechter Strich, den Sie nur unter Sonderzeichen bei Word unter Windows finden. Man hätte ja einen Bindestrich zwischen beiden Wörtern setzen können, aber der Bindestrich, liebe Freunde, ist doch längst überholt, den gebraucht doch kein Mensch mehr, das ist doch Schnee von gestern. Weg mit dem Bindestrich!, das ist die Devise der neuen Zeit.
Der Trend, in pseudoenglischer Manier so viele Ereignisse wie möglich zu bezeichnen, macht natürlich auch bei den kulturellen Veranstaltungen nicht Halt. Wenn Sie sich für das Geschehen an unserem Theater interessieren, dann empfiehlt sich der Besuch eines Treffens in Form eines Bürgerdinners, auf dem „Missing Things“ besprochen werden sollen. Ich nehme an, dass – entgegen dieser englischsprachigen Ankündigung des Themas – zu diesem Begegnungsformat nicht nur Ausländer eingeladen sind.
Haben ältere Menschen eine Lobby? So manch älterer Mensch, in der DDR zur Schule gegangen, dann einen praktischen Beruf erlernt, ein Leben lang schwer gearbeitet, wird sich nicht die Mühe machen, oder er ist, ohne ihm weh zu tun, vielleicht nicht in der Lage, große Artikel für Zeitschriften oder gut begründete Leserzuschriften zu schreiben. Häufig bleibt ihm nur die Wahl, am Wahltag, wenn die politischen Parteien sich zur Wahl stellen, sein Kreuz an dieser oder jener Stelle zu setzen. Und, außerhalb politischer Wahlen, sondern bei Ankündigungen von Kulturveranstaltungen, wie wird sich dieser Mensch – hier sind Männlein und Weiblein gemeint – angezogen fühlen, wenn er von „Pocket Jazz Trio“, „Evergreen Swing Band“, „Viola con Padrinos“, „Dreamland Swingband“, „Salty Blues Notes“ liest? Wenn Sie jetzt natürlich das Argument bringen, dass das alles Musik für die jüngere Generation ist, dann haben Sie Recht. Aber, diese Frage erlauben Sie mir bitte, müssen sich viele dieser Musikgruppen mit englischen Namen schmücken? Gilt Deutsch nicht mehr? Multikulti, ja, sicher, aber warum die eigene Muttersprache vergessen oder verhunzen? Oder ist diese neue Sprache ein Mittel der Ausgrenzung? Und wenn schon englischsprachige Bezeichnungen, dann aber mit der richtigen Rechtschreibung! Da wird von „West Coste Jam“ geredet, in einer anderen Spalte, auf derselben Seite der Zeitung, heißt es „West Coast Jam“.
Im Kulturhaus AMO gab es die Esoterik- und Naturheiltage. Dabei war auch „Leis Feng Shui“, der Fragen rund um die jahrtausendalte chinesische Lehre beantwortet, die Ayurveda-Expertin Geeta Sidhu und „Chakra smells“. Ich frage mich, warum der Name des Chinesen („Leis Feng Shui“) in Anführungsstriche gesetzt ist und warum für „Chakra smells“ nicht gleich eine kurze Erläuterung, dass es sich um duftende Öle handelt, gegeben wird.
Dem Trend, immer mehr und möglichst nur noch englischsprachige Bezeichnungen für im Grunde genommen alltägliche Veranstaltungen und Werbemaßnahmen zu verwenden, können wir uns zwar entgegenstellen, aber viel Erfolg werden wir wohl nicht erreichen. Selbst in der Arbeitswelt ist es nun üblich, von der deutschen Sprache abzugehen. Siehe hierzu die Bezeichnung ‚Jobcenter‘! Da darf die Handwerkskammer nicht zurückstehen, denn sie organisierte ihre Berufsmesse für den 21. September 2024 als ‚HANDWERK4YOU‘. Hoffen wir, dass damit viele junge Migranten, die in den letzten Jahren aus dem Ausland nach Deutschland eingeströmt sind, angesprochen werden.
Dieter Mengwasser (Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer)
Buch-Tipp: Die Beiträge von Dieter Mengwasser sind als Buch unter dem Titel „Ich spreche Deutsch! – Sprachbetrachtungen eines Sprachkundigen“ erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 265 vom 9. Oktober 2024, Seite 12
Veranstaltungen im mach|werk
KOMPAKT Salon mit Dr. Dieter Böhm: Vom Gehirnbesitzer zum Gehirnbenutzer
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Gary O‘Connor & Friends
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
United Earth
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Kopf & Kragen mit Henryk M. Broder
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Hyparschall
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Pete Anthony Alderton
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Dancing Queen auf Nulldiät mit Ilka Hein
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Kaffeekränzchen mit Jörg Ratai
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
be-swingt trifft auf …
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Kopf & Kragen mit Tom Lausen
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Boogieman’s Friend
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg
Kaffeekränzchen mit Flunder
mach|werk - KOMPAKT Medienzentrum
Breiter Weg 114a, 39104 Magdeburg