Römers Reich: Immer dieselbe Leier

Sie kennen die Redensart „immer dieselbe Leier“? Die Leier ist ein im 9. Jahrhundert erfundenes Saiteninstrument, dessen Saiten mittels einer Kurbel und eines Rades geschlagen wurden. Es konnte beim Spielen nicht variiert werden und produzierte deshalb immer dieselbe Melodie. Bei vielen politischen Erzählungen ist das ähnlich. Auf den französischen Sozialisten Saint-Amand Bazard (1791–1832) geht die Wendung „l’exploitation de l’homme par l’homme“ (zu Deutsch: Ausbeutung des einen durch den andern) zurück. Karl Marx und Friedrich Engels haben das dann in ihren wirtschaftlichen Schriften ausgefeilt. Der Ausbeutungsvorwurf wird nach wie vor gern in den Mund genommen. Nur frage ich gern, wer als Ausgebeuteter gemeint ist? 24 Prozent aller Deutschen arbeiten im produzierenden Gewerbe. Der überwiegende Anteil der Bevölkerung ist heute im öffentlichen bzw. in dem öffentlichen Sektor nahen Bereichen tätig. Dazu gehören Bildung, Polizei, Bundeswehr, große Teile des Gesundheitswesens, Kinderbetreuung u.v.a.m. In diesen Branchen findet gar kein Kapitalmechanismus statt. Deshalb können die meisten Menschen in unserem Land gar keine Ausgebeuteten sein. Fraglich ist auch, ob die Angestellten in vielen Großkonzernen heute noch als ausgebeutete Arbeiter angesehen werden können, z. B. wenn diese recht fürstlich bei VW, Mercedes oder BMW beschäftigt sind.


Wenn Gewerkschaften im öffentlichen Dienst zu Streiks aufrufen, um höhere Gehälter durchzusetzen, ist dies ja keine Profitabschöpfung von Kapitaleignern, sondern gleichsam Steuerforderung an alle Bürger, die letztlich die Personalausgaben verdienen müssen. Die 160 Jahre alte Marxsche Argumentation wird aber gern weitererzählt, als ob sich bis heute nichts verändert hätte.


Ähnlich ist das bei den Gerechtigkeitsbetrachtungen zwischen den Geschlechtern. Da lautet eine Forderung, dass mehr Frauen in Führungspositionen sollen. Bettina Orlopp und Karin Rådström stehen seit dem 1. Oktober an der Spitze von zwei großen Unternehmen: Orlopp führt die Commerzbank und Rådström hat den Chefsessel bei Daimler Truck inne. Damit gibt es zwar noch lange keine Geschlechterparität in den DAX-Konzernen. Aber immerhin tut sich etwas. Die Frage ist nur, ob aktuell Frauen auch den Forderungen nach gleicher Besetzung in Führungspositionen gerecht werden wollen. Laut der Studie „Initiative Chef:innensache“ wollen nur 22 Prozent der Frauen in ihrer beruflichen Karriere eine Führungsposition übernehmen. Und die nächste Lücke zwischen Männern und Frauen ist bereits ausgemacht. Da der KI immer mehr Bedeutung beigemessen wird, ist es fraglich, ob sich Frauen in diesem Bereich angemessen beteiligen wollen. Dieselbe Studie ermittelte, dass nur 32 Prozent der Frauen der KI vertrauten. Bei den Männern sind es 47 Prozent. Wenn da mal nicht bald neben Gender-Pay-Gap und Care-Gap nicht auch noch ein KI-Gap ermittelt werden muss. Vor allen die Schuldzuweisung an Männer, die Frauen weniger Chancen einräumen wollten, scheint doch eine ziemlich alte Leier-Erzählung zu sein. Aber sie wird gern weitererzählt.

 

Axel Römer                          

Nr. 266 vom 22. Oktober 2024, Seite 3

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