Gedanken- & Spaziergänge im Park: Krieg, Wirtschaft und Märchen
Als ich Gerd wieder traf, waren wir beide entsetzt über das, was Selenskyj auf seinem letzten Besuch in den USA, bei verschiedenen europäischen Regierungen und der NATO kundgetan hatte. Er verkündete einen „Siegesplan“. Man muss dazu sagen, dass Gerd und ich von Beginn an auf der Seite der Ukrainer standen und diesen brutalen Überfall des GPU-Offiziers und Möchtegernzaren Putin auf die Ukraine verurteilten. Aber das Selenskyj jetzt einen Siegesplan verkündet, wo die Ukraine mit dem Rücken an der Wand steht und um ihr Überleben kämpft, das begreife, wer wolle. Es ist eine völlige Wahrnehmungsverzerrung, zu glauben, dass die Ukraine gegen diesen riesigen Moloch Russland mit seinem größenwahnsinnigen Führer Putin siegen könnte. Die größte Gefahr dieses sogenannten Siegesplanes besteht aber darin, dass er die aktive Einbeziehung der NATO in den Krieg beabsichtigt. Denn Selenskyj wünscht möglichst schnell zu einer Mitgliedschaft eingeladen zu werden und die Verfügungsgewalt über weitreichende Waffensysteme zu bekommen. Wenn die NATO-Staaten dadurch die vertragliche Beistandspflicht gegenüber der Ukraine hätten, könnte das durchaus zu einem Weltkrieg führen.
Was die Ukraine braucht, ist ein Friedensplan und kein Siegesplan! Ein Friedensplan wäre gut für Ukrainer und Russen und die europäischen Staaten, vielleicht sogar gut für die ganze Welt. Verhandlungen sind jetzt nötig. Vielleicht muss die Ukraine auch ein paar östliche Gebiete abtreten, die überwiegend von Russen bewohnt sind. Was die Krim betrifft: Da hat die westliche Welt schon 2014 bei der Okkupation durch Russland versagt, indem sie tatenlos zugesehen hat. Nicht einmal Handelseinschränkungen oder Sanktionen gab es danach. Das wird Putin als stillschweigende Duldung oder Schwäche des Westens gewertet haben und hat ihn zu weiteren Okkupationen ermutigt. Aber wo sind heute Politiker, die die Intelligenz und den Mut haben, auf verborgenen und öffentlichen diplomatischen Kanälen für einen Frieden zu wirken?
Der böse Viktor Orbán?
Der Einzige, der Putin Anfang Juli aufsuchte, war Viktor Orbán, wenn wohl auch erfolglos. Doch statt das er für den Versuch gelobt wurde, wurde er von Frau von der Leyen, ihren Kommissaren und deutschen Politikern in Grund und Boden verdammt. Am 9. Oktober sprach er vor dem EU-Parlament und legte die ungarische Politik dar. Gerd hatte sich das angesehen und sagte: „Es erinnerte mich an die blamable Eröffnung des Thüringer Landtages. Die thüringischen Sitten scheinen nach Brüssel übergeschwappt zu sein.“ Ein Teil der Abgeordneten, sogar die von der EVP, buhten vereinzelt bei Orbáns Rede, schrien und schwenkten sogar Plakate. Eine Schweizer Zeitung erinnerte das an das Verhalten der NSDAP-Abgeordneten im letzten frei gewählten Reichstag der Weimarer Republik.
Völlig verrückt wurde es nach der Rede Orbáns, als linke und grüne Abgeordnete das Partisanenlied „Bella ciao“ anstimmten und von der Vorsitzenden zweimal darauf hingewiesen werden mussten, dass hier nicht der Eurovision Song Contest stattfände. Was war so schlimm an Orbáns Rede? Eigentlich nichts. Allerdings muss man im Internet eine ganze Weile suchen, ehe man sie halbwegs vollständig lesen kann. In unseren Medien findet man nur negativ kommentierte Berichte über sie. Dabei war es ein Bekenntnis für Europa, das sich aber ändern müsse. Orbán meinte, dass die ungezügelte Migration Antisemitismus, Homophobie und Gewalt gegen Frauen befeuert habe. Er forderte weniger Bürokratie und Regulierung. „Das wäre wirklich nötig“, sagte Gerd. „Die Brüsseler Bürokratie mischt sich viel zu viel in Belange ein, die die Mitgliedsstaaten viel sachverständiger selbst bestimmen könnten, versagt aber selbst z. B. bei der Sicherung der EU-Außengrenzen.
„Also bestimmt Ungarn halt selbst, wie es mit Migranten umgeht.“ „Andere Länder wollen es auch tun, wie man von Ministerpräsident Tusk aus Polen und von der niederländischen und der französischen Regierung hört. Und andere kürzen die Leistungen oder knüpfen sie an eine Arbeitsbereitschaft der Eingewanderten.“ „Außer Deutschland! Deshalb sind wir auch ein erstrebtes Einwanderungsziel mit der rundum-sorglos-Versorgung.“ „Aber immer mehr Städte, und zwar vor allem westdeutsche, klagen über erhöhte Gewalt, viel mehr Straftaten und auch Belästigungen, die es früher in dem Ausmaß nie gegeben habe.“ Gerd nickte und erinnerte mich an den Ausspruch des Journalisten Peter Scholl-Latour: „Wer halb Kalkutta aufnimmt, rettet nicht Kalkutta, sondern wird selbst Kalkutta. „Jetzt brauchst du nur statt Kalkutta den Namen eines beliebigen Landes aus Nordafrika oder des Nahen Ostens einzusetzen.“
Dazu kommt eine weitere gefährliche Dimension. Der AfD wirft man vor, dass sie die Demokratie abschaffen wolle, obwohl in ihrem Programm nichts dergleichen zu finden ist. Dagegen fanden in Hamburg schon zweimal Demonstrationen mit weit über 1.000 Teilnehmern von Islamisten statt, die lautstark die Einführung des Kalifats und der Scharia für Deutschland forderten. Ein Kalifat ist eine Art monarchistische Diktatur mit der Scharia als gültigem Grundgesetz. Das wäre die endgültige Abschaffung unserer demokratischen Grundordnung! Im Gegensatz zum AfD-Verbot beantragte aber noch niemand ein Verbot dieser Organisationen wie z. B. „Muslime interaktiv“. Das ZDF schrieb Ende April: „Die Forderung nach einem Kalifat ist verfassungsfeindlich – und gleichzeitig von der Meinungsfreiheit gedeckt.“ Eigentlich nicht ganz zu verstehen.
„Die dümmste Regierung“
Der Zustand der Wirtschaft in Deutschland wird immer bedenklicher. Die Preise steigen weiter an, wenn auch zurzeit etwas langsamer als vorher. Hohe Energiepreise ersticken die Wirtschaft. Für viele Unternehmen ist das ein Grund, die Produktion in Deutschland zu drosseln oder zu beenden. Kleine wie auch große Betriebe verlagern ihre betrieblichen Aktivitäten ins Ausland, manche geben auch ganz auf. Viele Fachleute sprechen bereits von einer Deindustrialisierung des Landes. Deutsche zahlen den höchsten Strompreis in Europa, gut 41 Cent pro Kilowattstunde, als Folge der schlechten Energie- und Klimapolitik, weshalb Sahra Wagenknecht vor wenigen Tagen ihre Meinung wiederholte, „dass wir die dümmste Regierung Europas“ hätten. „Das sieht unser Wirtschaftsminister aber ganz anders“, sagte ich. Vor kurzen sagte er, dass er Deutschland „in Fahrt“ gebracht habe wie kein anderer Wirtschaftsminister davor!“ „Ja, doch wie sieht es in Wirklichkeit aus?“, erwiderte Gerd. „Ein Beispiel. 2023, als er in Duisburg ThyssenKrupp besuchte, hieß es noch: die Hochöfen verschwinden, bis 2045 wird die Stahlproduktion klimaneutral sein. Statt Kohle kommt Wasserstoff zum Einsatz, es wird grüner Stahl produziert. Kürzlich aber war zu lesen, dass ThyssenKrupp das milliardenschwere Vorzeigeprojekt möglicherweise abbrechen könnte. Der Vorstandschef hat eine grundlegende Prüfung des laufenden Projekts eingeleitet.“
Von Wirklichkeit umzingelt
Nach kurzer Pause setzte Gerd seine Rede fort. „Weißt du, ich glaube als Kinderbuchautor war unser Habeck besser als alle Wirtschaftsminister. Er kann gut Märchen erzählen.“ „Wie kommst du denn jetzt darauf?“ „Naja, in seiner kürzlichen Wirtschafts-Pressekonferenz brachte er den schönen Satz: Inflation heißt das Biest, dass die Menschen ärmer gemacht hat! Ist das nicht wie aus einem Märchen? Die Inflation kommt nach seinen Worten so daher wie ein böser Drache aus dem Urwald und bedroht die Menschen, frisst ihnen die Nahrung weg. Da steht kein Wort davon da, dass die Inflation zum Teil von ideologiegeleiteten Politikern gemacht wurde. Als wäre die Inflation vom Himmel gefallen. Dieser Vergleich ist genauso hübsch wie der Satz, den er bei Anne Will im Dezember des letzten Jahres sagte: „Wir sind umzingelt von Wirklichkeit“.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Wir normalen Menschen leben in unserer Wirklichkeit, sie ist die Realität, mit der wir umgehen, in der wir Freud und Leid erleben. Habeck fühlt sich aber von ihr umzingelt. Das heißt, er lebt nicht in der Wirklichkeit, sondern wie in einer Festung, die die Realität als etwas Feindliches empfindet. Denn was umzingelt, ist bedrohlich, will erobern und ich muss mich dagegen wehren. Wirklichkeit ist also etwas Feindliches.“ Ich musste lachen und fragte Gerd, was er denn von dem Antrag auf ein Verbot der AfD halten würde? „Da kann ich wieder nur Sahra Wagenknecht zitieren. Sie bezeichnete kürzlich den Antrag einiger Abgeordneter als den dümmsten Antrag des Jahres, der letztlich nur der AfD nützen würde. Recht hat sie.“ „Es ist ja auch kein Wunder, dass dieser Antrag am eifrigsten von dem CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz angeregt wurde, er verlor bei der Bundestagswahl 2021 sein Direktmandat gegen einen Kandidaten der AfD.“ „Gibt es eigentlich auch was Erfreuliches?“ „Aber ja, die CDU/CSU beschäftigt sich jetzt mit dem weiblichen Klimakterium und fordert eine „Nationale Menopausen-Strategie“ und ließ den Bundestag am letzten Freitag darüber debattieren.“ „Als wenn wir sonst weiter keine Sorgen hätten“, brummte ich. „Aber sicher werden einige Vereine oder Institute nun schnell Fördergelder beantragen.“
Paul F. Gaudi
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 266 vom 22. Oktober 2024, Seite 8
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