Süßes und Saures
Würde es im Folgenden um ein richtiges Fußball-Märchen gehen, müsste der Einstieg wohl lauten: Es begab sich einmal … Da wir es aber, sobald der 1. FC Magdeburg im Spiel ist, mit harter Realität zu tun bekommen, musste rund um den ebenso märchenhaften wie wilden Halloween-Festtag die Grundsatzfrage wohl etwas abgewandelt und auf das Allerwesentliche reduziert werden: „Süßes oder Saures?“ Nun denn, für die Blau-Weißen gab es in Kaiserslautern sogar beides.
Einer gewissen Pikanterie entbehrt dies nicht, hatte sich FCM-Cheftrainer Christian Titz kurz vor der Abreise zum Betzenberg doch als echter Fan des gruseligen US-Imports um Geister und Kürbisse geoutet: „Ich mag Halloween sehr.“ Und zunächst sah es ja wirklich so aus, als ob sich der Coach die Taschen mit Süßkram vollmachen könnte. Nach nicht einmal einer Viertelstunde lag sein Team mit 2:0 in Front. Völlig verdient. Aber in Lautern klingelten eben keine von ihren Eltern in Autos herangekarrten unschuldigen Kinder am (FCM-)Tor, um Süßes, Saures und Bargeld zu fordern. Sondern ausgewachsene Profis. Und die wollten nur eines: Punkte.
So sehr Titz diesen invasiven Feiertag am 31. Oktober mag, was er weniger mag, sind Ungerechtigkeiten auf dem Rasen. Davon hatte er in Kaiserslautern gleich einige zu beklagen. Zunächst einen nach seiner und der Ansicht vieler Experten ungerechtfertigten Strafstoß, drei Minuten später den ersten von zwei Platzverweisen gegen sein Team an diesem Tag. Dass es am Ende für die „Roten Teufel“ – beim Nickname der Gastgeber kamen die Gedanken an Halloween sofort wieder in den Sinn – beim 2:2 nur ein Zähler wurde, darf sich der FCM durchaus auf seine Fahnen schreiben.
Es war noch ein anderer Feiertag, um den zuletzt – vor allem in Sachsen-Anhalt – die Gedanken kreisten: das Reformationsfest. Wo es um Erneuern, um Verändern geht. Das Remis von Lautern wird Titz sicher prinzipiell nicht von seinem Spielsystem abbringen. Seine (gefühlt: 95) Thesen über Ballbesitz-Fußball scheinen regelrecht ans Eingangs-Tor der Magdeburger Arena genagelt zu sein. Der Coach wird, so ist seinen Worten immer wieder zu entnehmen, an dieser Spielweise festhalten. Was sein Team in Kaiserslautern allerdings veränderte, war die Körpersprache, zuletzt öfter bemängelt. Wie sich die Akteure, am Ende mit nur neun Mann auf dem Rasen, einer Niederlage entgegenstemmten, wie sie kämpften und fighteten, das Leder mit ihren Körpern blockten, das konnte schon beeindrucken. Sie schienen in jenen Momenten einfach zu wissen, wie man auf dem Spielfeld fühlen muss.
Und wollten, sicher eher unbewusst, wohl umsetzen, was Matthias Sammer erst Tage zuvor in einer Art Grundsatz-Ausführung zum deutschen Fußball postuliert hatte. Wir sollten, hatte der Ex-Nationalspieler, Meistertrainer und Europas Fußballer des Jahres 1996 gefordert, „lernen, was wichtig ist“. Dabei handle es sich eben nicht nur um messbare Faktoren und strategisch-taktische Aspekte, sondern um „Persönlichkeit auf dem Platz“. Es werde intensiv über Systematiken und Ballbesitzqualität, die Positionierung von Spielern, expected goals und ähnliche theoretische Aspekte gesprochen. „Wir versuchen alles statistisch darzustellen“, sagte Sammer, „aber manche Dinge, die sind einfach nicht statistisch“. Der FCM schien ihn verstanden zu haben. Zumindest an diesem Tag.
Rudi Bartlitz
Nr. 267 vom 5. November 2024, Seite 21
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