Standpunkt Breiter Weg: Die entsolidarisierte Gesellschaft
Die Hiobsbotschaften in Deutschland häufen sich, insbesondere solche aus der Wirtschaft. Das Autoland ist angeschlagen. Die VW-Werke sind nur zu 69 Prozent ausgelastet. Schließungen sind angekündigt. Jobs fallen weg. Trotzdem fordert die Gewerkschaft IG Metall 7 Prozent Lohnerhöhungen. Ist das die Solidarität, wofür eine Arbeitnehmervertretung stehen sollte?
Aufgrund hoher Löhne, Sozialabgaben und Steuern seien in Deutschland keine günstigen Autos mehr zu produzieren, so sagen es Wirtschaftsexperten. Der Kauf von Elektromobilen wurde zunächst vom Staat subventioniert. Profitiert haben davon mehrheitlich Besserverdienende. Mit einem gerechteren Staat hat das wenig zu tun. Dann streicht der Grüne Wirtschaftsminister Ende vergangenen Jahres die Kaufprämien, obwohl seine Partei für die sogenannte Mobilitätswende auf das E-Auto setzte. Widersprüche, wohin man schaut.
Weil die Wirtschaft vor allem in manchen Industriebereichen schrumpft, werden neue staatliche Subventionen diskutiert. Dafür sollen mehr Schulden gemacht werden. Offenbar gibt es in Politik und Gesellschaft nur die Vorstellung vom ewigen Wachstum. Das wird allerdings seit Jahren kritisiert, weil damit Ressourcenverbrauch und Emissionen verbunden sind. Es ist aber nicht nur die Wirtschaft, die am Wachstum hängt. Unsere Gesellschaft kommt in vielen Bereichen nicht von der Droge Wachstum weg. Einkommen sollen weiterwachsen, mehr Freizeit, Urlaub und Vergnügen stehen auf vielen Wunschlisten ganz oben. Können wir uns als Land das wirklich alles leisten, während in zahlenreichen asiatischen Ländern, allen voran China und Indien Menschen für weniger Geld länger schuften?
Die Bildungsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sind Jahr für Jahr gestiegen. Im Jahr 2023 erreichten sie einen Betrag von 176,3 Milliarden Euro. Offenbar kommt unter dem Strich jedoch weniger raus. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen klettern ebenfalls von einem Jahr zum nächsten auf Rekordmarken. Die Staatsverschuldung hat die Marke von 2,5 Billionen Euro erreicht. Beim Geld für Ausgaben und Schulden sehen wir überall neue Höchstwerte. Und das Geldgetriebe wird immer noch einen Gang höher geschaltet.
Dem braven deutschen Bürger sitzt bei der Finanzjongliererei der Schreck im Nacken. Sachsen-Anhalts Finanzminister Michael Richter hat für dieses Jahr ein Einnahmen-Minus von 700 Millionen Euro ausgemacht. Das werde sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Während in der Wirtschaft Arbeitsplätze wegfallen, stellte die öffentliche Hand in den vergangenen Jahren mehr Personal ein. Nur entsteht auf Verwaltungsschreibtischen keine Wertschöpfung.
Über verantwortlichen Köpfen in der Politik strahlt scheinbar die schönste Sonne. Es bleibt beim Weiterso. Es bereitet niemandem Freude, an trüben Novembertagen Untergangsstimmung zu verbreiten. Aber lässt sie sich wirklich wegreden? Der Nachwuchs erzielt ebenfalls neue Rekorde, nämlich den bei der Nutzungszeit im Internet. Davon profitieren vor allem die großen Tech-Riesen auf anderen Kontinenten. Wachstum, wohin man schaut, nur nicht bei Vernunft, Einsicht und Solidarität. Und da sind wir alle gut dabei.
Thomas Wischnewski
Nr. 267 vom 5. November 2024, Seite 2
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