Die CDU in der Klemme
Kritik an einer Position von Friedrich Merz nimmt diese oft nicht inhaltlich auseinander, sondern zählt Merz‘ politisches Sündenregister auf: BlackRock, Flugzeug, fertig. Es macht bisweilen den Eindruck, als habe der Mann ein solches Imageproblem, dass er mit seinen Argumenten gar nicht erst durchdringen könne. Selbst seine Unionsrivalen um die Erringung der Kanzlerkandidatur haben sich kaum an Merz‘ Zielen und der Richtung, welche die CDU unter seiner Führung nimmt, abgearbeitet, sondern in aller Regel nur auf Umfragen zu Sympathiewerten abgestellt.
Von Prof. Dr. Markus Karp
Hat es die Union geschafft, in Umfragen konstant wieder über 30 Prozent zu erreichen, wird von unermüdlichen Kritikern nahegelegt, dass sie mit einem anderen Aushängeschild sicherlich nahe der 40 läge. Die Klärung der K-Frage, vor 4 Jahren noch ein Dramolett in etlichen Akten, gelingt geräuschlos? Sofort werden Stimmen der Enttäuschung laut, dass die Umfragewerte nicht nach oben ausschlagen, wie das bei beliebteren Kandidaten sicherlich der Fall gewesen wäre.
Immer wieder kreist die Debatte im Wesentlichen darum, dass der hölzerne Sauerländer, dem nie ein lustiger Spruch einfällt, wenn die „Heute-Show“ ihn vorführen möchte, die Menschen mit seiner fehlenden Aura nicht für sich gewinne. In der Tat würde wohl niemand Friedrich Merz als charismatischen Menschenfischer bezeichnen. Tatsächlich aber handelt es sich bei der ewigen Verkürzung auf das Image des Parteivorsitzenden um die irreführende Fixierung auf einen Nebenkriegsschauplatz, welche Verantwortung für politische Probleme an der falschen Stelle abkippt.
Welcher Kanzler der Union hat denn durch sein persönliches Charisma Führung übernommen? Adenauer, obwohl 40 Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt zum größten Deutschen gekürt, in seiner aktiven Zeit nicht. Erhards Zauber war in dem Moment verflogen, als seine Kanzlerschaft begann. Kiesinger, Kohl? Hatten immer schlechte Presse und den Zeitgeist gegen sich. Einzig Angela Merkel erlebte den Gipfel Ihrer Popularität im Amt. Aber hat das ihrer Partei außergewöhnliche elektorale Höhenflüge beschert? Nein.
Andere deutsche Parteien benötigen eine ungewöhnlich charismatische Person, wenn sie den Anspruch auf die Kanzlerschaft anmelden wollen. Nicht so die Union, denn die Erwartungshaltung an sie ist seit jeher eine andere. Die Unionsparteien sind die Verkörperung des maximalen politischen Pragmatismus, der freilich immer dicht am Opportunismus liegt. Deshalb ist das persönliche Ansehen ihrer Spitze von untergeordneter Bedeutung, wenn sie nur liefert. An dieser Stelle liegt der Hase im Pfeffer. Es fällt den Christdemokraten schwer, glaubhaft zu machen, wie sie die turmhohen Ansprüche, die aus der gegenwärtigen massiven Unzufriedenheit mit der Ampelregierung erwachsen, erfüllen sollen. Das limitiert die Wahlergebnisse und wird sich zu einem Problem ganz anderer Art auswachsen, wenn die Union wieder einmal regiert. Ein Wahlsieg dürfte ihr wesentlich leichter fallen als wesentlich besser zu regieren.
Der Ehrgeiz ist groß, die Versprechen vollmundig. Carsten Linnemann, Generalsekretär und Stratege der CDU, kündigt Erhebliches an: Scharfe Sanktionen für Arbeitsverweigerer beim Bürgergeld, einen kompletten Neustart der Klimapolitik, indem alles auf CO₂-Bepreisung umgestellt wird, die Rückkehr zum alten Staatsbürgerschaftsrecht, die Erschwinglichkeit privaten Wohneigentums durch die Verringerung von Bauvorschriften, die Rücknahme der Cannabislegalisierung, Zurückweisungen von illegalen Einreisen und vieles mehr. Es soll faktisch nicht nur die Regierung von Olaf Scholz fundamental korrigiert werden, sondern mindestens auch die zwei Legislaturperioden davor.
Donnerwetter, dürfte es dem potenziell unionsaffinen Wähler da entfahren. Aber wer soll das mittragen? Der nächsten CDU-geführten Regierung bleiben nur 2 Partner, von denen viele Unionsleute einen am liebsten auch noch kategorisch ausschließen möchten. SPD und Grüne. Es sind Parteien, die, ganz im Gegensatz zur Union, die Tendenz haben, sich eher selbst zu zerfleischen, als ihre Ideale aufzugeben. Die schiere Traumtänzerei, anzunehmen, dass diese Partner willfährig abräumen, wofür sie ihre eigene Mehrheit aufgeopfert haben, ist der blinde Fleck der Strategie des Konrad-Adenauer-Hauses. Die gegenwärtige politische Situation ist eine solche, dass die Union nicht wird liefern können, selbst wenn ihr die Macht durch die Schwäche der Ampelregierung in den Schoß fallen sollte. Die CDU steckt in der Klemme.
Für die Demokratie hat das dramatische Folgen. Sie lebt davon, dass die Opposition eine Regierung im Wartestand ist, welche die bestehende politische Agenda durch eine signifikant andere Alternative ablösen kann. Ändert sich trotz ausgeprägter Unzufriedenheit nach dem Wahlgang nichts, wirkt das System dysfunktional. Im schlimmsten Fall häufen sich dann die negativen Mehrheiten jener, die nicht zusammen gestalten können oder wollen, wie schon jetzt in Thüringen.
Der Verweis auf die in der Tat politisch sehr erfolgreichen CDU-geführten Koalitionen im Westen und Norden der Bundesrepublik nützt in dieser Situation wenig, weil dieses Modell in anderen Teilen des Landes nicht funktioniert. Die Bundesrepublik ist in ihrer politischen Präferenz inzwischen vierfach räumlich geteilt: Zwischen Osten, Süden, Westen und den urbanen Zentren und dem Rest des Landes.
Andreas Rödder, Historiker, einstiger Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission und einflussreicher Think-Tank-Gründer, hat versucht, einen Ausweg aus dem Dilemma aufzuzeigen und sich damit in die Nesseln gesetzt. Sein Vorschlag lautet, dass die Christdemokratie auf Minderheitenregierungen mit wechselnden Mehrheiten setze, diese jedoch keinesfalls durch die AfD tolerieren lasse und ansonsten in der politischen Interaktion auf die Wahrung der roten Linien ihrer politischen Werte anstatt auf Brandmauern setze. Das hat weitreichende Empörung hervorgerufen, obgleich Rödder damit eine Regierungspraxis vorgeschlagen hat, welche in anderen parlamentarischen Demokratien mit Verhältniswahlrecht, den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden etwa, Normalität ist. Dass es sich bei diesen Nationen trotzdem um lebendige Demokratien mit ausgeprägtem Rechtsstaatcharakter handelt, welche der Bundesrepublik keinesfalls nachstehen, muss nicht betont werden.
Trotzdem bleibt es ein Gedankenspiel, denn in der politischen Kultur der Bundesrepublik ist bislang die klassische Koalition mit einfacher Mehrheit regelrecht einzementiert. Obwohl Koalitionsverträge in den letzten Jahren immer detaillierte, immer enger geschnürte Korsette zur Fesselung des politischen Freund-Feindes, sprich: Koalitionspartners, geworden sind, die mehr zum Ziel haben, dem anderen seine liebsten Projekte zu verderben, anstatt politische Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Obwohl viele der Koalitionen der letzten Jahre Notgemeinschaften von Parteien darstellen, die einander spinnefeind sind und sich nach einer Weile in endlosen Streitereien und wechselseitigen Gemeinheiten verlieren. Solange diese Art des Regierens das Sehnsuchtsziel vieler Wähler und der Parteien bleibt, sind die Ideen von Andreas Rödder chancenlos.
Es muss sich aber etwas tun, denn wenn sich unabhängig vom Wahlergebnis ohnehin irgendeine disharmonische Regierung beliebiger Partner zusammenfindet, die im Grunde ähnlich maue Ergebnisse produziert wie die vorige, schädigt das die Legitimität der demokratischen Ordnung. Und es wäre das endgültige Ende der Volkspartei, einem Parteienkonzept, welches für Jahrzehnte politischer Stabilität gesorgt hat.
Ein möglicher Mittelweg wäre es, nach der Bundestagswahl eine Koalition mit weniger Kleingedrucktem im Koalitionsvertrag und mehr Eigenständigkeit der Koalitionäre auf den Weg zu bringen. Was spricht dagegen, auf einzelnen Politikfeldern auf Koalitionsdisziplin zu verzichten? Warum kann nicht jeder Koalitionspartner bestimmte Bereiche inhaltlich allein verantworten, so dass er seiner Wählerschaft auch mal einen positiven Erfolg präsentieren kann, der über das Zerschießen der Vorhaben der anderen hinausgeht? Dies scheitert vor allem an der Unfähigkeit, die politische Andersartigkeit des Koalitionspartners aushalten zu können, ohne die Furcht zu entwickeln, die Gunst der eigenen Wählerschaft zu verlieren.
Es muss aber versucht werden, sonst wird die Erosion unserer politischen Ordnung weiter voranschreiten. Kann die nächste Bundesregierung nicht liefern, stehen dem hergebrachten Parteiensystem höchst unruhige Zeiten bevor.
Nr. 267 vom 5. November 2024, Seite 4
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