Standpunkt Breiter Weg: Kompromiss-Müdigkeit

Die Ampel ist aus. Kanzler Olaf Scholz wird sicher am 16. Dezember das Vertrauen des Parlaments verlieren. Im Februar sollen Neuwahlen eine andere Regierungskoalition hervorbringen. Nach aktuellem Stand der politischen Diskussion würde es wohl auf eine schwarz-rote oder eine schwarz-grüne bzw. eine ähnliche Farbkombination hinauslaufen. Dann müssen für die Regierungsbildung im Koalitionsvertrag wieder Kompromisse ausgehandelt werden.


Ein großer Teil der Wählerschaft hat die Nase von Kompromissen voll. Welchen soll man beispielsweise zur Frage Ukraine-Unterstützung finden? Laut aktuellen Umfragen sinkt in der Bevölkerung die Zahl der Waffenliefer-Befürworter weiter. Wie soll sich Deutschland künftig zum Krieg im Gaza-Streifen positionieren? Mit Dauer des Konflikts werden es offenbar mehr Israel-Kritiker, und selbst Israel-Feinde leben in Deutschland. Beim Klimaschutz drohen die USA mit dem neuen Präsidenten Donald Trump aus dem Abkommen auszusteigen. China als der größte CO2-Emittent zahlt aktuell nicht in den sogenannten Schutzfonds ein. Die deutsche Energiewende hat der Gesellschaft schon jetzt enorme Kosten auferlegt. Welchen Kompromiss bei einer bröckelnden Wirtschaft mit höchsten Strompreisen will da eine neue Regierung aushandeln?


Die Politik, an dieser oder jener Stellschraube ein bisschen zu drehen, erzeugt nur eine weiter wachsende Unzufriedenheit gegenüber jeder Regierung. Gleichzeitig soll Deutschland aufrüsten, Migrations- und Fluchtkosten leisten, Löcher im Renten- und Gesundheitssystem stopfen und in die marode Infrastruktur inklusive Bahn investieren. Und das sind nur einige prägnante Aufgaben, die gemeistert werden sollen. Und das mit Kompromissen?


Olaf Scholz hat mit seiner stillen Kommunikation viel Vertrauen bei den Wählern verloren. Friedrich Merz gilt nicht als Erlöser. Auch wenn sich die eigene Partei geschlossen hinter Robert Habeck stellt, schwindet der politische Einfluss der Grünen. Die AfD hat zwar gute Karten, stark im neuen Bundestag vertreten zu sein, bleibt aber ausgegrenztes Schmuddelkind der Nation. Wer und was das BSW sein möchte, liegt noch immer im Nebel. Über die Linke und die FDP müssen nicht mehr viel Worte gemacht werden. Welche Koalition und welche Regierung sollen aus der multikomplexen Misere führen. Erstaunlich, dass der amtierende Wirtschaftsminister Habeck nach seiner Nominierung als Kanzlerkandidat in der ARD sagte, die Deutschen müssten wieder mehr arbeiten. Das forderten andere auch schon. Und es wäre nötig. Doch wie will wer Menschen länger an die Arbeitsplätze zwingen, wenn deren Vorstellung vorrangig in die von kürzerer Leistungszeit geht?


Es ist vorbei mit den stabilen Verhältnissen in diesem Land – politisch, wirtschaftlich, kulturell und sozial. Den Hebel wird die nächste Regierung wohl kaum herumreißen. Im Wahlkampf wird das sicher von allen Seiten versprochen, aber wenn die Wähler gesprochen haben, dürfte das Kleinklein nicht wiederkommen. Vermutlich bleibt uns das erhalten. Das ist die einzige Stabilität, von der wir umgeben sind.


Thomas Wischnewski

Nr. 268 vom 19. November 2024, Seite 2

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