Logisches mit Komma

Komma? Das ist doch abgedroschenes Zeug. Wen interessiert das noch? Oder hat der Schreiberling nicht mitgekriegt, dass nach der Rechtschreibreform das Komma da stehen darf, wo ich es will. Da gibt es schließlich keine strengen Regeln mehr. Schließlich ist es doch so, dass der Inhalt stimmen muss. Da sind die Kommas Formsache, also doch ziemlich überflüssig.


Doch, doch, der Schreiber dieser Zeilen hier hat es mitgekriegt, dass jetzt größere Freiheiten beim Setzen der Kommas eingeräumt werden. Damit habe der Schreibende, so in der Begründung der Rechtschreibreformer, mehr Möglichkeiten, dem Lesenden die Gliederung zu verdeutlichen und das Verstehen zu erleichtern. In einer der Informationsbroschüren zur neuen Rechtschreibung wird dazu folgendes Beispiel gegeben: “Der Schnee schmolz dahin und bald ließen sich die ersten Blumen sehen und die Vögel stimmten ihr Lied an.” Toll, nicht wahr? Nach diesem Muster sind die Sätze in jeder Zeitung konstruiert, die Lehrbücher der Studierenden bringen ihre Weisheiten auf diese Weise, die politischen Reden basieren auf dieser Art des Satzbaus. Oder eben doch nicht?


Im nächsten Jahr, Ende Februar 2025, werden die vorgezogenen Bundestagswahlen vorüber sein. Bis dahin werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, Zeugen des Wahlkampfs sein. Viele Nachrichten werden Sie lesen oder hören, viele Reden und Auftritte von Politikern werden Sie erleben. Und Sie werden bemerken, dass die geschicktesten Rednerinnen und Redner mit Punkt und Komma sprechen. Natürlich sagen sie nicht “Hier steht ein Punkt.” oder “Hier muss ich ein Komma setzen.”, nein, in ihrer Rhetorik verstehen sie es, in ihrem Redefluss an der richtigen Stelle eine kleine, ganz kleine Sprechpause zu machen. Die Redner sind tatsächlich in der Lage, dem Zuhörer die Gliederung ihrer Gedanken zu verdeutlichen und ihm das Verstehen zu erleichtern. Solch einem Redner hört man gerne zu, und man ist eher geneigt, ihm auf dem Wahlzettel seine Stimme zu geben. Und wir überlegen uns, ob an der Stelle einer kleinen Sprechpause da im schriftlichen Text ein Komma stehen würde.


Reden und Sprechen mit kleinen, ganz kleinen Pausen im Redefluss. Das können Sie überprüfen, nicht nur bei Reden auf großen Veranstaltungen. Bei Gesprächen unter Verwandten, mit Bekannten, im Arbeitskollektiv, überall werden Sie solche klitzekleinen Unterbrechungen feststellen. Von den Sprechenden sind sie in der Regel gewollt, ganz bewusst gewählt, eben damit der Inhalt des Gesagten, des Mitzuteilenden, gut verstanden wird. Niemand spricht einförmig hintereinander weg; ganz abgesehen davon, dass die sprechende Person auch Luft zum Atmen holen muss.


Es ist also eine ganz natürliche Erscheinung, dass in einer Rede (‘Rede’ im Gegensatz zu schriftlichen Texten) ganz kurze, sehr kurze Sprechpausen auftauchen.


Nun aber betrachten wir, ob und wie eine solche Erscheinung mit gewollten kurzen Sprechpausen auch in schriftlichen Texten wiedergegeben werden könnte. Solche gewollten kurzen Sprechpausen lassen sich sicherlich mit Kommas darstellen. Vielleicht nicht in jedem Falle, aber vom Prinzip her.  


Da gibt es im Satzbau unserer Sprache die sogenannte Apposition. Die Apposition ist ein Zusatz, eine Erläuterung zu einem Substantiv. Sie gibt eine zusätzliche Information und kann in kurzgedrängter Form einen kompletten Satz ersetzen. ‘Magdeburg, die Elbestadt, hat rund 240 000 Einwohner.’ Die Apposition ist hier ‘die Elbestadt’. ‘Rechtsanwalt Grundig, Pflichtverteidiger des Angeklagten, plädierte für die Aussetzung der Strafe auf Bewährung.’ ‘In Dresden, der Hauptstadt des Freistaats Sachsen, ist die Carola-Brücke eingestürzt.’ ‘Müllers haben Miezi, ihre Katze, ziemlich verwöhnt.’ Sie erkennen, liebe Leserinnen und Leser, was die Apposition ist. Und nun versuchen Sie bitte, diese kleinen Sätze laut, vielleicht sogar einem Partner, vorzulesen. Sicherlich werden Sie überall da, wo ein Komma steht, eine ganz kleine Sprechpause machen. So machen es auch die gewieften Redner in der Politik, wobei natürlich ganz andere und kompliziertere Sachverhalte zur Sprache kommen und andere Menschen in ihren Ansichten beeinflusst werden sollen. Kennzeichen der Apposition ist, dass sie immer in Kommas eingeschlossen ist; also ein Komma vor der Erläuterung, ein Komma nach dem erläuternden Zusatz. Die Sprache, auch die deutsche, ist häufig nicht logisch, aber hier können wir von einer Logik beim Setzen des Kommas sprechen.


Nicht weit entfernt von der Apposition ist im Satzbau der sogenannte Nebensatz. Nicht, dass im Nebensatz Nebensächliches, Unwichtiges, gesagt wird. Nein, im Nebensatz kann sogar das Wichtigste einer Aussage stehen! Das Satzgefüge (erinnern Sie sich noch an den Deutschunterricht mit Grammatik in der Schule?) besteht aus einem Hauptsatz und einem Nebensatz. ‘Es ist interessant zu wissen, dass er früher ganz linksradikal war.’ Hauptsatz: ‘Es ist interessant zu wissen’, Nebensatz: ‘, dass er früher ganz linksradikal war.’ ‘Wir dürfen gespannt sein, ob Intel tatsächlich in zwei Jahren sein Werk bauen wird.’ Nebensatz: , ob Intel tatsächlich in zwei Jahren sein Werk bauen wird.’ Oder nehmen wir den Ausspruch einer Politikerin, den sie bereits im Wahlkampf zur Europawahl 2024 geäußert hat und der von Zeit zu Zeit immer wieder in den Medien zitiert wird: ‘Wir haben jetzt die dümmste Bundesregierung, die es jemals in Deutschland gab.’ Nebensatz: ‘, die es jemals in Deutschland gab.’ Wenn Sie diese Aussage wieder einmal im Radio oder im Fernsehen hören, dann bemerken Sie, dass bei der Rednerin eine kleine Sprechpause den Hauptsatz ‘Wir haben jetzt die dümmste Bundesregierung,’ vom Nebensatz trennt. Diese kleine Sprechpause wird im schriftlichen Text durch ein Komma dargestellt. Eine Logik beim Kommasetzen ist hier doch nicht abzusprechen!


Satzbau, Syntax, Satzlehre – das sind im Grunde genommen Synonyme, also gleichbedeutende Wörter. Eben sprachen wir von Haupt- und Nebensatz in sogenannten Satzgefügen. Nun gibt es im Satzbau auch die sogenannten Satzverbindungen. Das sind zwei Hauptsätze, die miteinander verbunden werden. ‘Der Vater las die Zeitung, und die Mutter war mit dem Kochen beschäftigt.’ Dies sind zwei Hauptsätze, die durch ‘und’ verbunden sind. Die Sachverhalte (‘lesen’, ‘Kochen’) sind doch relativ einfach und leicht überschaubar. Ob das Komma hier steht oder nicht, ein Satz dieser Art ist nicht schwierig zu verstehen und dürfte keinerlei Probleme bereiten. Wenn wir diese nicht sehr lange Folge von Wörtern schnell hintereinander sprechen, können wir auf eine Sprechpause innerhalb verzichten. Vielleicht waren dies Überlegungen bei den Verantwortlichen für die Rechtschreibreform vor über 20 Jahren, als sie nämlich zu dem Schluss kamen, dass “mit ‘und’ und ‘oder’ verbundene Hauptsätze nicht mehr durch ein Komma getrennt werden müssen.” Und eine solche Regelung scheint gierig durch viele Verfasser von schriftlichen Texten aufgenommen zu sein! Komma bei Nebensätzen, ja, aber Komma bei miteinander durch ‘und’ verbundenen Hauptsätzen, nein, das geht doch nicht oder ist doch gar nicht nötig, scheinen viele Verfasser von gedruckten Äußerungen zu meinen. Bringen wir Beispiele. Hierzu die Anmerkung, dass alle Beispiele aus Originalquellen stammen, wobei sie nur aus Platzgründen etwas gekürzt wurden.


‘Die Empörung war groß und der Parteivorsitzende forderte ein Verbot dieser Organisation und weiterer Demonstrationen, die aber dennoch stattfanden.’ Dieser Text (hier der Raum zwischen den zwei Punkten) besteht aus zwei Hauptsätzen (‘Die Empörung war groß’, ‘der Parteivorsitzende forderte ein Verbot dieser Organisation und weiterer Demonstrationen’) und einem Nebensatz (‘die aber dennoch stattfanden.’) Wie würden Sie, liebe Leserinnen und Leser, diesen Text laut vorlesen? Bis ‘Demonstrationen’ in schnellem Tempo und ohne kleinste Unterbrechung sprechen, dann folgt eine kleine Pause mit dem sich anschließenden Nebensatz? Wohl kaum. Denn Sie wissen, dass nach der ‘Empörung’ ein neuer Gedanke, nämlich mit dem ‘Parteivorsitzenden’ folgt, und diesen Gedanken würden Sie sicherlich zeitlich etwas absetzen. Dazu verweisen wir nochmals auf die geschickten Rednerinnen und Redner auf politischem Gebiet, die in ihrer Rhetorik solche Momente nutzen. Sie setzen Pausen ein, die natürlich nur Sekunden dauern, nicht nur, um ihre Sätze besser zu gliedern und damit verständlicher zu machen, sondern auch noch, um zusätzlich eine gewisse Spannung bei den Zuhörern zu erzeugen – was kommt denn jetzt?  


Was hier so als Logik beim Sprechen bezeichnet werden kann, scheint jedoch im schriftlichen Bereich immer mehr vergessen zu werden. Auch Kommas bei den sogenannten erweiterten Infinitivsätzen mit ‘um zu’ – Fehlanzeige. ‘Alle Hebammen, Krankenkassen und viele Ärzte raten dazu einen Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen.’ Lesen Sie, liebe Leserinnen und Leser, diesen Satz jemandem vor. Ich bin überzeugt, dass Sie, auch ohne groß darüber nachzudenken, nach dem Wort ‘dazu’, vor dem Wort ‘einen’, eine ganz kleine Sprechpause machen. Wenn dieser Satz geschrieben wird, sollte sich diese kleine Sprechpause in einem Komma widerspiegeln. Aber in einem Familienmagazin wird darauf verzichtet. Oder lesen Sie: ‘Fruchtwasseruntersuchungen könnten Frauen verunsichern und es kommen Fehldiagnosen vor.’ Grammatisch gesehen zwei Hauptsätze, zwei unterschiedliche Gedanken, die natürlich inhaltlich zusammenhängen. Ein Komma zwischen beiden würde dem Leser die Lesbarkeit erleichtern.


Lesbarkeit, schnelles Erfassen von Text, gute Gliederung von Sätzen – darum gibt es Kommas!


Dieter Mengwasser
Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer

 

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Nr. 268 vom 19. November 2024, Seite 34

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