Mein Feind, die E-Mail
Kürzlich bekam ich einen Anruf von einer Mitarbeiterin einer Partnerfirma. Sie fragte, warum ich ihre E-Mail noch nicht beantwortet hätte. Solche Anrufe häufen sich. Ich gestand, dass ich ihre Nachricht übersehen habe. Sie war mir im Wust der hunderten anderen sprichwörtlich untergegangen.
Auf meinem Rechner existieren 25 aktive E-Mail-Accounts. Es gibt Tage, da flattern rund 300 Nachrichten in die Posteingänge. Wenn ich nur eine Minute für jede zum Beantworten brauchte, kostete mich das fünf Stunden Arbeitszeit und da ist das Lesen der Nachrichten noch nicht eingerechnet. Natürlich sind viele reine Informationen, die keine Beantwortung erfordern, dennoch registriere ich in der Regel die Betreffzeile oder meine Augen überfliegen kurz den Text. Inzwischen klingelt das Telefon, kommt eine andere Nachricht über einen Messengerdienst herein oder es steht ein Kollege neben meinem Schreitisch und hat ein Anliegen. Die Beantwortung einer Nachricht gerät ins Hintertreffen. Inzwischen sind so viele neue Anfragen angekommen, dass die nicht erledigten Nachrichten in den Tiefen des Postfachs versickern.
Im Jahr 2023 wurde die weltweit versendete Anzahl an E-Mails auf rund 350 Milliarden geschätzt. Das sind etwa 44 Nachrichten pro Kopf der Weltbevölkerung. Die nervigen Spams sind darin natürlich enthalten. Man kann sich also gut vorstellen, wie hoch das E-Mail-Volumen in Unternehmen oder Einrichtungen ist, in denen viel schriftlich kommuniziert wird. Diese Gesamtzahl der weltweit privat und geschäftlich versendeten und empfangenen Mails soll in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen und sich im Jahr 2027 auf 408,2 Milliarden Mails pro Tag belaufen. Das Ende der Fahnenstange ist also noch nicht erreicht.
Aufgrund dieser täglichen Nachrichtenflut bekenne ich immer häufiger, dass mir nicht jede Beantwortung einer Nachricht möglich ist. Beim Gegenüber entsteht dann manchmal Enttäuschung und die enge Kommunikation in der Vergangenheit verliert sich. Das stört beide Seiten und erzeugt bei Sender und Empfänger häufig ein schlechtes Gewissen.
Ich stelle also fest, dass die Menge an direkter schriftlicher Kommunikation neben ihren Vorteilen neue Schattenseiten erzeugt. Nachfragen, warum ich eine Nachricht nicht beatwortet habe, kommen häufig von solchen Menschen, die erfreulicherweise nicht mit so einer E-Mail-Flut bedrängt werden. Noch komischer blicke ich aus der Wäsche, wenn mich jemand danach fragt, ob ich seinen Post bei Facebook oder Instagram gesehen hätte. Ich denke mir dann gern insgeheim, wie viel Zeit Leute haben müssen, um sich irgendwelche Selbstinszenierungen von anderen anzuschauen.
Bisher habe ich meinen Unmut über die vorrangig schriftliche berufliche Datenlawine geäußert. Es gibt da aber auch noch die vielen Mitteilungen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, die über unterschiedlichste Wege lustige Grafiken, Fotos oder Videos zusenden oder permanent Aufreger über politische und andere gesellschaftliche Ereignisse verbreiten. Oft erhalte ich denselben Inhalt gleich mehrfach. Auf solche Nachrichten reagiere ich in der Regel gar nicht. Das ist schier unmöglich. Die meisten Messangerdienste sind deshalb bei mir stummgeschaltet und ich blicke nur ein paar Mal am Tag auf solche Kanäle. Das Verfolgen irgendwelcher Social-Media-Seiten mit ihrem endlosen Aufregungspotenzial habe ich inzwischen eingestellt.
Ich gehöre noch zur Generation, die im analogen Zeitalter aufgewachsen ist. Damit kann ich das Früher und Heute gut miteinander vergleichen. Was erzeugt jedoch die Onlinewelt in den jüngeren Menschen, für die Internet und der permanente Anschluss an Informationen gar nicht wegzudenken ist?
Meinen Kollegen Uwe beneide ich. Uwe wohnt in einem kleinen Ort nahe Magdeburg. Dort pflegt er privat sein Häuschen. Und er verfügt über einen Telefonfestnetzanschluss und ganz normales Fernsehen. Das Telefon hängt in der Küche und hat noch eine Schnur. Es gibt bei ihm kein Handy, kein Internet. Uwe kann man zwischen 19 und 20 Uhr telefonisch erreichen. Sonst eher nicht. Trotz seines reduzierten Informationskonsum ist er im Gespräch stets auf der Höhe der Zeit der allgemeinen Entwicklung. Nun ist meine Tätigkeit ohne Informationsvielfalt nicht bestreitbar.
Inzwischen sagen mir junge Leute, dass unter ihnen der Trend für eine digitale Diät zunehme. Das wäre wünschenswert. Denn die Expansion an Informationen übertüncht die Wirklichkeit. Alles erscheint viel schlimmer als es tatsächlich ist. Wir verzerren unsere Sicht auf die Welt mehr ins Negative.
Beruflich appelliere ich an Kollegen, wieder häufiger zum Telefon zu greifen. Im Moment eines persönlichen Gesprächs entsteht eine engere und verbindlichere Verbindung. Man erinnert die ausgetauschte Information besser und entwickelt ein besseres Verständnis füreinander. Die E-Mail habe ich inzwischen zum Feind erklärt, jedenfalls die Menge an Informationen und Anfragen, die über mich niedergeht. Ich denke darüber nach, mir pro Arbeitstag eine definierte Zeitspanne für die Beantwortung der elektronischen Post einzurichten. Außerhalb dieser bleiben die Nachrichten ungesehen. Auch dann werde ich sicher nicht alle nötigen Antworten erledigen können. Das müssen ich und mein Gegenüber aushalten bzw. wir müssen dafür ein gegenseitiges Verständnis entwickeln. Natürlich könnte ich auch eine automatische Antwort einrichten, die beim E-Mail-Versender ankommt und um Verständnis bittet, dass ich nicht jede Anfrage sofort beantworten kann. Allerdings erzeuge ich dann wieder eine neue Nachricht, die eigentlich unwichtig ist und die Mailflut anwachsen lässt.
Thomas Wischnewski
Nr. 268 vom 19. November 2024, Seite 40
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