Krisen – und wie man
mit ihnen umgeht

SC Magdeburg und Manchester City – Parallelen und Unterschiede in zwei europäischen Top-Klubs.

 

Von Rudi Bartlitz

SCM-Coach Bennet Wiegert. Foto: Peter Gercke

In den zurückliegenden Wochen wurde die internationale Sportwelt Zeuge eines ziemlich seltenen Phänomens. Zwei Trainer, die zum Besten gehören, was in ihren jeweiligen Disziplinen derzeit in der Welt denkbar und zu haben ist, waren mit ihren Klubs in eine Krise geschlittert. Nahezu deckungsgleich, fast zur selben Zeit. Sowohl Pep Guardiola und Fußball-Gigant Manchester City als auch Bennet Wiegert und Champions-League-Gewinner SC Magdeburg mussten über eine ungewöhnliche Niederlagen-Serie quittieren. Die Magdeburger über vier Partien, die Engländer gar über fünf. Für beide Vereine eine zuletzt nahezu undenkbare Gemengelage. Eine der spannendsten Fragen dabei: Wie gehen beide Coaches mit dieser Situation um?


Pep Guardiola blickte immer wieder nach links unten, als ob er nach einem Ausweg suchte. Man müsse doch wieder aufstehen und den Problemen ins Gesicht schauen, sagte er dem Reporter der BBC. Sein Körper sprach aber einen ganz anderen Dialekt, der irgendwann auch in seine Worte überlief: „Es läuft schlecht“, resümierte der Katalane am Ende dieses desaströsen Samstagnachmittags, als es am Ende 0:4 gegen Tottenham Hotspur stand. „Was können wir tun?“ Wenn er es nicht weiß, wer dann? In seinen vielen Jahren als Spitzentrainer hat man Guardiola von unzähligen Seiten gesehen, von Trotz und Überheblichkeit bis hin zu Charme, Selbstironie und teils übertriebener Bescheidenheit. Diese Verzweiflung, die sogar an Hilflosigkeit grenzte, kannte man von ihm bisher nicht. Das hier war etwas Neues.


Es wiederholte sich in der vergangenen Woche. Eher sah er aus wie ein verrückt gewordener Erfinder nach einem Unfall in der eigenen Garage, als er erklären sollte, wie sein Team den 3:0-Vorsprung im eigenen Stadion gegen Feyenoord Rotterdam noch verspielen konnte. Die Fans drücken ihre Unzufriedenheit mit Pfiffen und Buhrufen aus. Guardiola trug rote Striemen am Kopf, er blutete an der Nase, die er sich in der Aufregung aufgekratzt hatte. Ebenfalls besorgniserregend war, dass er keinen blassen Schimmer zu haben schien, wie es zu diesem 3:3 kommen konnte. Und wie er – der, egal wo er unter Vertrag stand, noch nie fünfmal hintereinander verloren hatte – den Klub aus dieser Krise manövrieren kann.


Ziemlich ungewohnt ebenso das (zumindest äußerliche) Bild des Bennet Wiegert. Selten sah man den 42-Jährigen so oft an der Seitenlinie mit hinter den Händen verborgenem Gesicht hin- und hergehen wie Mitte November. Unglaube über das, was er da sah. Ja, sehen musste. Fassungslosigkeit, so schien es, spiegelte sich da wider. Erst in Melsungen, dann in Zagreb. Gerade in der Champions-League-Begegnung in Kroatien, als der SCM eine der schlechtesten Partien der letzten Jahre aufs Parkett legte. Nur 18 Tore in einer Partie, das hatte es unter Wiegert seit dessen Amtsantritt im Dezember 2015 noch nie gegeben.


Aber damit nicht genug. Es sollte noch schlimmer kommen. In der Liga wurde drei Tage später in Hannover eine eigentlich souveräne Vier-Tore-Führung binnen fünf Minuten noch aus der Hand gegeben. Auch wenn der Coach einräumt, er habe danach „nachts nicht einschlafen können, weil ich immer wieder der Situation nachgegangen bin“ – er blieb, so angefasst er war, nach außen ruhig. Es schien sogar: demonstrativ ruhig. Er habe versucht, erzählte er später in einer Journalistenrunde, „den Druck von ihnen (den Spielern, d. Red.) zu nehmen, ihn auf meine Person zu projizieren“. Dazu gehörte auch das Eingeständnis nach der Zagreb-Pleite: „Diese Niederlage nehme ich auf meine Kappe.“


Auf die Frage eines „FAZ“-Reporters, ob es gerechtfertigt sei, dass in diesen Tagen vieles, was Wiegert mache, argwöhnisch beäugt und kritisiert werde, antwortete der Coach etwas Bemerkenswertes: „Wir haben in drei Jahren acht Titel gewonnen. Der SCM und damit auch ich stehen maximal im medialen Fokus. Da wird bei uns alles wie unter einem Brennglas betrachtet, gerade wenn es mal nicht so läuft. An anderen Standorten wäre es vielleicht nur eine Randnotiz. Der Handball hat insgesamt in den letzten Jahren an medialer Aufmerksamkeit gewonnen, insofern gehören auch Überzeichnungen zum Geschäft. Daran muss auch ich mich gewöhnen.“


Wann und wo man mit Wiegert in den zurückliegenden Tagen sprach, es waren immer wieder zwei Begriffe, die sich herausschälten, wenn es darum ging, wie denn der misslichen Situation beizukommen sei: Ruhe behalten und arbeiten, arbeiten, arbeiten. „Ich bin froh“, sagte er, und es klang fast wie eine Anleitung zum Handeln in Krisensituation, „dass ich jetzt schon einige Jahre in der Verantwortung bin und solche Phasen auch schon erlebt habe. Wir hinterfragen natürlich viel und reden viel miteinander. Wichtig ist dabei, Ruhe auszustrahlen und nicht aktionistisch zu werden. Es macht überhaupt keinen Sinn, cholerisch einzelne Situationen oder Fehler auszuwerten. Wir müssen auch bei den Basics bleiben und jetzt nicht gleich alles infrage stellen und bestimmte Automatismen über den Haufen werfen. Mit einem Fingerschnips ist aber natürlich nicht alles vergessen. Das benötigt eher Spiele und Ergebnisse.“


Genauso sollte es kommen. In der Begegnung in der vergangenen Woche gegen den FC Barcelona (28:23), die in dieser für den SCM kritischen Phase weit mehr war als nur eine normale Vorrunden-Partie der Champions League, zeigte das Team genau die richtige Reaktion. Wiegerts Worte und Taten hatten – unübersehbar – genau das Richtige bewirkt. Das Team zahlte zurück. Das souveräne 35:26 am Sonntag in der Liga gegen Bietigheim bestätigte das nur. Der Trainer denkt längst schon wieder an die Zukunft, wie die Vertragsverlängerung des dänischen Superstars Magnus Saugstrup bis 2029 (!) sinnfällig unterstrich. Das zeige, sagte der Coach, „wie mittel- und langfristig an den Perspektiven des SCM“ gearbeitet werde.


Noch einmal zurück zu Guardiola. Selbst das Remis des Feyenoord-Matchs fühlte sich wie eine Niederlage an. „Wir haben zuletzt viele Spiele verloren, wir sind zerbrechlich“, analysierte Guardiola. „Ich weiß nicht, ob es eine mentale Sache ist.“ So klingt jedenfalls keiner, der von sich überzeugt ist. Und weiß, wie das Ruder herumzureißen wäre. Wie zum Beweis dafür wurde am Sonntag auch das Liga-Top-Spiel gegen den FC Liverpool (0:2) in den Sand gesetzt.  Insgesamt wartet Manchester seit nun sieben Begegnungen auf einen Sieg (sechs Niederlagen).


Ein weiterer Unterschied bei der Bewältigung der Situation, mit der sich Guardiola und Wiegert konfrontiert sahen, sollte bei allem nicht übersehen werden: Während es in Manchester Pfiffe und Buhrufe gab, jubilierte das Magdeburger Publikum. Schon bevor gegen Barcelona überhaupt der erste Ball geworfen war, stand es wie ein Mann hinter seinem Team. Am Ende sangen sie: „Oh, wie ist das schön …“

Nr. 269 vom 3. Dezember 2024, Seite 34

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