„Wir sind ja nicht beim Dressurreiten“
Bloß keine Bruchlandung – nach einer eingreifenden Regeländerung könnte das für die Skispringer in der Saison zu einem wichtigen Lehrsatz werden.
Von Rudi Bartlitz
Jene Zeiten, da ambitionierte Laien von Dänemark statt von Telemark schwärmten, wenn sie über die Landung beim Skispringen dozierten, schienen sich eigentlich ihrem Ende zuzuneigen. Dieses nach einer Landschaft im Südwesten Norwegens benannte elegante Aufsetzen im Schnee, bei dem die Athleten einen Fuß vor den anderen stellen, das hatte in den letzten Jahren einiges an Bedeutung verloren. Zumindest bei vielen Betrachtern. Weil der Trend immer mehr zu einem viel spektakuläreren Faktor gegangen war, der Weite. Weiter, immer weiter. Kaum etwas anderes galt.
Bei der Jagd nach immer neuen Rekorden auf immer größeren Schanzen drohten die Haltungsnoten irgendwie zu verkümmern, aus einer vergangenen Welt zu sein. Ganz im Sinne einflussreicher Macher im Hintergrund, die glaubten, verstanden zu haben, dass Sport und Entertainment nicht mehr zu trennen sind. Mit dem Gewicht auf Unterhaltung. Vielen waren Noten da einfach nur noch lästig. Das höchste der Gefühle: man nahm sie billigend in Kauf. Weil sie eben schon immer dazugehörten. Bei den Haltungsnoten, das war die Crux, bildete eben der Telemark-Aufsprung ein ganz wichtiges Element. Ganz Radikale forderten deshalb sogar schon die komplette Streichung der Werte, die in einer perfekten „Zwanzig“ gipfelten.
Warum reden wir hier so ausführlich darüber? Weil Skispringen, nach Biathlon, noch immer die populärste Wintersportart hierzulande ist. Und weil gerade über den Jahreswechsel bei der äußerst populären Vierschanzen-Tournee sich viele Familien – auch aus alter Tradition – vor dem heimischen TV-Gerät vereinen. An einem der letzten sportlichen Lagerfeuer gewissermaßen. Da lässt sich trefflich streiten, die Regeln kennt man ja mittlerweile einigermaßen. Selbst Tante Erna konnte den einen oder anderen Kommentar einwerfen, ohne dafür belächelt zu werden.
Regeländerungen und neue Sprungstile begleiteten das Skispringen im Laufe der Jahrzehnte regelmäßig. Inzwischen ist selbst die bei ihrer Einführung höchst umstrittene Wind-Regel weitgehend akzeptiert. Da wird in Kauf genommen, dass eben nicht unbedingt der gewinnt, der die weitesten Sätze macht. Diese 2010 eingeführte Wind-Kompensationsregel (auch: Wind-Faktor) besagt – im Sinne der Fairness für alle –, dass die Punktzahl für einen Sprung je nach Wind angepasst wird. Bei Aufwind werden Punkte abgezogen, bei Rückenwind dagegen gutgeschrieben. Dafür werden Windgeschwindigkeit und Windrichtung an der Schanze beim Sprung gemessen. Mithilfe einer mathematischen Formel lässt sich dann errechnen, wie viele Meter von der tatsächlichen Sprungweite abgezogen oder zu ihr hinzugerechnet werden.
Doch plötzlich, kurz vor Beginn der neuen Saison, sorgte eine Regeländerung für regelrechte Aufruhr. Unter Athleten und Beobachtern. Der Internationale Skiverband (FIS) hatte beschlossen, unsaubere Landungen künftig höher zu bestrafen. Die Ästhetik, so die logische Schlussfolgerung, bekommt auf einmal gegenüber der Sprungweite wieder eine größere Bedeutung. Eine unsaubere Landung kann zu mehr Punktabzügen führen als bisher. Statt zwei Punkten Abzug drohen den Springern nun drei Zähler weniger von den Juroren.
„Das ist eine Möglichkeit, um besser die Athleten zu ermitteln, die einen sehr guten oder vielleicht sogar perfekten Telemark zeigen”, begründet FIS-Präsident Sandro Pertile diese Entscheidung. „Die Lücke zwischen einem guten und einem geschummelten oder unsauberen Telemark wird größer.” Die FIS sieht in der Änderung einen Bonus für all die Athleten, die „sehr stilvolle Bewegungen” zeigen. Sie bevorzugt den Telemark, eine von Torju Torjussen erstmals 1883 erprobte Landungstechnik.
Der sechsfache deutsche Weltmeister Markus Eisenbichler ist von den Neuigkeiten nur noch „genervt“. Er fürchtet, dass gute Flieger ihre Sprünge künftig nicht mehr ausreizen. „Denn wenn du weit fliegst und den Telemark versaust, kann es sein, dass du nicht auf dem Podest bist. Das ist einfach nicht fair“, sagt der Bayer. „Das finde ich total bescheuert, ganz ehrlich, was sich die FIS da wieder einfallen lassen hat.” Seiner Meinung nach würden die Kampfrichter durch diese Änderung „mehr Macht kriegen”. Mit Karl Geiger zeigte sich ein weiterer deutscher Spitzenspringer irritiert und befürchtet zu viel Spielraum bei der Punktevergabe: „Wir sind ja nicht im Eiskunstlauf oder Dressurreiten. Sondern wir wollen, dass der weiteste und beste Sprung gewinnt.“ Bundestrainer Stefan Horngacher drückte sich etwas diplomatischer aus. Er habe die alte Regel „okay“ gefunden, sagte er, die neue sei „sehr, sehr verschärft“. Horst Hüttel, Sportdirektor im Deutschen Skiverband, reihte sich in die Reihe der Kritiker ein: „Man will ja weite Sprünge sehen. Aber irgendwann ist es einfach verdammt schwer, einen Telemark zu zeigen.“
Und als hätten die Regelhüter die Proteste schon irgendwie geahnt, haben sie sich ein Hintertürchen offengelassen. Sollte die Regel nicht funktionieren, sagt Greger, werde der Verband nicht darauf beharren, dass sie im nächsten Jahr weiter im Programm bleibt.
Nr. 269 vom 3. Dezember 2024, Seite 32
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