Schaustellerfamilie seit 1848

Henrik und Stefan Boos führen das Schaustellergeschäft von Vater Gunther Boos in vierter Generation erfolgreich weiter. Foto: Peter Gercke

Heinrich Boos wollte Mitte des 19. Jahrhunderts eigentlich Deutschland den Rücken kehren und auswandern. Auf dem Weg in die neue Welt sah er in Amsterdam erstmals eine Schießbude. Und er hatte die Idee, damit könnte man in der Heimat vielleicht noch Geld verdienen. 1848 wurde der Grundstein für die Schaustellerfamilie Boos gelegt. Damals waren das noch echte Schaugeschäfte, die z. B. Kuriositäten aus aller Welt zeigten. Vielleicht kennt noch jemand den Begriff „Langer Lulatsch”, auch kleinwüchsige Menschen wurden gezeigt. Büchsen- und Ringewerfen gehörten dazu. Die Faszination der Rummelplätze und Volksfeste ließ der Fantasie der Schausteller freien Lauf. Die ersten Karussells in Deutschland gehen auf den Vater und den Bruder von Gunther Boos zurück. Anfang des 20. Jahrhunderts reisten Schausteller mit mobilen Kinos von Ort zu Ort. Weil die damals schon ein Stromaggregat mitführten, bekam manches Örtchen erstmals Strom geliefert.


In den 1920er und 1930er Jahren sorgten sogenannte Laufgeschäfte für Furore. Der „Humoristische Wasserfall“ war so eine Attraktion. Sie wurde auch „Rollender Teppich“ genannt (s. Fotos rechts oben), bei dem man auf einem beweglichen Untergrund Schwierigkeiten hatte, das Gleichgewicht zu halten. 1937 stand das Boossche-Fahrgeschäft sogar auf dem Münchener Oktoberfest. Die deutsche Teilung teilte nach dem 2. Weltkrieg auch die Familie Boos. Und Gunther Boos Vater Konrad wurde in Magdeburg ansässig. Hier gehörte er Mitte des 20. Jahrhunderts zu den Initiatoren der Frühjahrsmesse auf dem Domplatz.


Kenner des Magdeburger Weihnachtsmarktes wissen, wo sie Waltraud und Gunther Boos finden. Seit vielen Jahren ist die zweistöckige Glühweinbude am Otto-von-Guericke-Denkmal einer der beliebtesten Treffs zur Adventszeit. In diesem Jahr stellte Gunther Boos eine weitere Attraktion dazu, nämlich ein Weihnachtsbaum-Karussell, deren Gondeln an die Magdeburger Halbkugeln erinnern. Eine Schaustellerfamilie mit so tiefen historischen Wurzeln überträgt ihre Tradition offenbar immer wieder auf die Nachfahren. Inzwischen leiten nämlich Henrik und Stefan Boos die Geschäfte des Schaustellerbetriebes „Gebrüder Boos oHG“. Und 37 unterschiedliche Geschäfte gehören zum reisenden Unternehmen. Seit über zehn Jahren richten die Boos‘ im Sommer, von Ende Juli bis Ende August, den „Holliday-Park“ im polnischen Stettin aus. Dort wird auch regelmäßig das größte Riesenrad aufgebaut. 55 Meter Höhe, 42 Gondeln, insgesamt 450 Tonnen Material müssen dafür auf Tiefladern transportiert werden.


Als die Corona-Maßnahmen das Leben in Magdeburg einschränkten, baute die Familie Boos das gewaltige Riesenrad im Stadtpark auf und schenkte den Besuchern ein bisschen Vergnügen in trüben Zeiten. „Rat der Hoffnung“ hat Gunther Boos das Rad am Ende der Sternbrücke getauft. Wer 176 Jahre Schaustellerei in der Familie vereinen kann, hat unter Beweis gestellt, wie man schwierige Zeiten mit neuen Ideen überstehen kann. Und wer wie Schausteller über’s Jahr ständig unterwegs ist, muss ein uriges, humoristisches Gemüt entwickeln. Wahrscheinlich ist das auch ein altes Geheimnis der Boos-Familie, warum bei ihnen überall so viel gute Laune mit den Gästen Einzug hält. Davon kann man sich mit leckerem Glühwein auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt einen Eindruck verschaffen und eben gemeinsam fröhlich sein.

 

Nr. 269 vom 3. Dezember 2024, Seite 14

Veranstaltungen im mach|werk

Über uns

KOMPAKT MEDIA als Printmedium mit über 30.000 Exemplaren sowie Magazinen, Büchern, Kalendern, Online-Seiten und Social Media. Monatlich erreichen wir mit unseren verbreiteten Inhalten in den zweimal pro Monat erscheinenden Zeitungen sowie mit der Reichweite unserer Internet-Kanäle mehr als 420.000 Nutzer.