BeitragstitelRömers Reich:
Frei oder gefangen im Netz

Der berühmte deutsche Soziologe Niklas Luhmann fragte Studenten gern, warum sich ein Stück Zucker im Kaffee auflösen würde. Die häufigste Antwort auf die Frage lautete, weil Zucker nun einmal wasserlöslich sei. Luhmann beharrte allerdings stets auf eine andere Antwort: weil Sie es hineingetan haben! Das kleine Gedankenexperiment soll zeigen, dass wir gern die eigene Verantwortung unseres Handelns ausblenden.


Und das kann man gut auf die Onlinewelt übertragen. Der dänische Bildungsminister Mattias Tesfaye bezeichnete jüngste Ergebnisse einer Untersuchung zu digitalen Störungen im Bildungswesen als alarmierend, und fordert ein scharfes Eingreifen gegen Smartphone und Tablets an Schulen. In Australien geht man noch rigoroser vor und will den Zugang zu Social Media erst ab dem 16. Lebensjahr erlauben. Was wird nun aus der schönen digitalen Freiheit, die uns mit fortschreitender Vernetzung prophezeit wurde? Auch an deutschen Schulen wird inzwischen eine starke Veränderung im Verhalten von Schülern beobachtet. Handys spielen die Hauptrolle. Nicht nur in Pausen kleben viele an ihren Smartphones. Es wird gewischt und getippt bis der Unterricht anfängt. In Einrichtungen, in denen ein Handyverbot gilt, wird eine andere Atmosphäre ausgemacht. Gespräche, Spielen und gemeinsame Aktionen werden dort sichtbar.


Hinzu kommen die inhaltlichen Gefahren. Der Mensch ist verführbar. Das ist eine alte Erkenntnis. Wenn das Hirn permanente neue, vermeintlich bedeutsame Informationen aufnimmt, verliert man Konzentrationsfähigkeit und ein angemessenes Sozialverhalten in der Gruppe sinkt. Bildungspolitiker fordern gern, man müsse die Medienkompetenz Heranwachsender schulen. Dabei blenden sie jedoch aus, dass sich dennoch Inhalte durchsetzen, die als spannender bewertet werden. Und das sind eben in der Regel nicht die wertvollen. Phishing, bei dem sensible persönliche Daten abgegriffen werden, Diffamierung und Mobbing nehmen zu. Und im schlimmsten Fall kann es zu sexuellen Verführungen mit gefährlichen Folgen kommen. Alle Schattenseiten des Menschseins finden sich im virtuellen Raum. Natürlich ist das sogenannte Böse als Schuldiger ausgemacht. Aber genau dabei wird ausgeblendet, dass die Verantwortung vor dem Bildschirm sitzt und dass das Hirn der größere Illusionsapparat ist, der sich selbst in die Fangnetze des Onlineuniversums einwickeln lässt. Schein ist eben nicht Sein. Aber wir hängen gern an Scheinwelten.


Das Zurückdrängen von Smartphone, Tablet und Computer aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen kann also als Freiheitsbeschränkung angesehen werden. Bei den technischen Möglichkeiten von Hackern, die weltweit agieren, sind selbst für Erwachsene Gefahren oft nicht auszumachen. Die viel versprochene Freiheit erzeugt eben Unfreiheit bzw. eine Abhängigkeit und damit eine Art Gefangenschaft im Netz. Freiheit hat eben auch eine andere Seite. Dass wir den Zucker selbst in den Kaffee tun, wird eben gern ausgeblendet.             


Axel Römer

 

Nr. 269 vom 3. Dezember 2024, Seite 3

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