Der gierige Staat

Bei der Staatsquote – also der Kennzahl zwischen Staatsausgaben und Bruttoinlandsprodukt ist Deutschland noch nicht Weltmeister. Aktuell liegt sie bei 48,1 Prozent. Doch die Zuschüsse zu Gesundheit, Renten und Bürgergeld steigen weiter, und die Bürokratie verschlingt immer mehr Geld. Wohin Deutschland bei Einnahmen und Ausgaben steuert, bleibt unklar. Eine vorläufige Bestandsaufnahme.

 

Von Thomas Wischnewski

Deutschland lebt über seine Verhältnisse. Das ist keine neue Erkenntnis. 2023 betrugen die Staatseinnahmen 1,86 Billionen Euro, die Ausgaben beliefen sich auf 1,952 Billionen Euro. Nur in den Jahren 2014 bis 2019 gab es Überschüsse. Übrigens betrugen die Einnahmen 1990 noch 558 Milliarden Euro (Ausgaben 585 Mrd. Euro). Einnahmen und Ausgaben haben sich seither mehr als verdreifacht. Im Corona-Pandemie-Jahr 2020 erreichte der Finanzierungssaldo minus 189 Milliarden Euro. Dies ist das bislang höchste Defizit der öffentlichen Haushalte. Und die Folgen sind noch lange nicht vorbei.


In Deutschland fließt sehr viel mehr Geld in die Umverteilungs- und die Sozialausgaben. „Die Ausgaben, die die Wirtschaft stimulieren und gesamtwirtschaftliche Erträge erwarten lassen, genießen im Bundeshaushalt nur geringe Priorität. Dazu zählen vor allem Bundesausgaben für Forschung, Bildung und Infrastruktur (ohne Schiene und digitale Netze, deren Infrastrukturausgaben sind unter Subventionen verbucht). Im Jahr 2024 veranschlagt der Bund dafür 46,2 Mrd. Euro oder 7,7 Prozent des Gesamthaushalts. Damit liegt der Anteil sogar leicht unter dem Vorjahresniveau und lediglich 1,7 Prozentpunkte über dem Niveau aus dem Jahr 2000. In die Grundlagenforschung fließen 2024 mit 14 Mrd. Euro nur 2,3 Prozent der Bundesausgaben.“ So steht es im Ausgabenmonitor des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW).


Die öffentliche Hand finanziert sich über Steuern und Abgaben. Im internationalen Vergleich ist die Abgabenlast auf Löhne und Gehälter in Deutschland hoch. Arbeitnehmer werden so stark wie in kaum einem anderen Industrieland zur Kasse gebeten. Wo fließt nun das ganze Geld hin? „Die höchsten Ausgaben (nicht bereinigt) entfielen auf den Bereich der Sozialversicherung mit 818 Milliarden Euro, gefolgt vom Bund (614 Mrd. Euro), den Ländern (529 Mrd. Euro) sowie den Gemeinden und Gemeindeverbänden (365 Mrd. Euro). Die EU-Anteile lagen bei 34 Milliarden Euro.“ Diese Zahlen veröffentlichte die Bundeszentrale für politische Bildung im August 2024.


Kontinuierlich klettern beispielsweise die Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung auf eine Summe von rund 84 Milliarden Euro. Damit stiegen die Bundeszuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland seit 2012 kontinuierlich und auf einen Höchststand. Ähnlich sieht es bei den Gesundheitsausgaben aus. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) wurden 2022 100,1 Milliarden Euro der laufenden Gesundheitsausgaben von 488,7 Milliarden Euro über staatliche Transfers und Zuschüsse finanziert. Das waren 21,7 Prozent oder 17,9 Milliarden Euro mehr als im Jahr 2021. Gegenüber 2019 hätten sich staatliche Transfers und Zuschüsse während der Corona-Pandemie damit nahezu verdoppelt (+91,1 %). Ihr Anteil an den laufenden Gesundheitsausgaben erhöhte sich in diesem Zeitraum von 12,9 Prozent auf 20,5 Prozent. 2021 hatte der Anteil bei 17,6 Prozent gelegen. Und das trotz steigender Beiträge der Krankenkassen.


Seit 2023 heißt die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Deutschland nicht mehr Hartz IV, sondern Bürgergeld. Laut Statistischem Bundesamt bezogen im Juni 2024 rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld. Das sind etwa 6,5 Prozent der Einwohner Deutschlands. Und dabei ist ein Anstieg der Bürgergeld-Empfangenden von 0,7 Prozent zum Vorjahr zu beobachten. Von allen rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehern im Juni 2024 waren etwa 2,9 Millionen deutsche Staatsbürger, das entspricht 52,7 Prozent. 47,3 Prozent der Empfänger entfallen auf nicht deutsche Staatsbürger. Davon beziehen 716.979 ukrainische Staatsbürger Bürgergeld, gefolgt von 517.839 Menschen aus Syrien, die Sozialhilfe beziehen. An dritter Stelle folgen Menschen aus Afghanistan mit 200.456 Bürgergeldempfängern. Bei den Zahlen muss man beachten, dass davon etwa 1,6 Millionen nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind. Sie können entweder aufgrund ihres Alters nicht arbeiten, weil sie unter 15 Jahre alt sind oder aufgrund gesundheitlicher Situationen.


Permanent höhere Kosten verursacht der Staat auch durch seine Selbstverwaltung. 5,3 Millionen Beschäftigte tun Dienst in Behörden, bei Polizei, Bundeswehr oder im Bildungsbereich. Seit 2009 ist ein Personalanstieg im öffentlichen Dienst zu verzeichnen. Im Wesentlichen resultiert der Aufwuchs aus dem Ausbau des Kinderbetreuungsangebots, aus Personalzuwächsen bei der Polizei und im Bildungsbereich. Aber auch die Zahl der Pensionärinnen und Pensionäre hat sich in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdoppelt.


Der Bund der Steuerzahler hatte im Dezember 2023 einen Einstellungsstopp in der Bundesverwaltung gefordert. Allein in den Ministerien seien inzwischen mehr als 30.000 Mitarbeiter beschäftigt. Seit 2020 seien die Personalkosten des Bundes um acht Milliarden Euro gestiegen, 2024 würden sie sogar mehr als 43 Milliarden Euro betragen. Die Zahl der Beamten in den Bundesministerien ist seit 2013 um fast 50 Prozent gestiegen. Der größte Anteil dieser neu geschaffenen Stellen entfällt auf obere Besoldungsgruppen. Das sind oft Spitzenbeamte wie Staatssekretäre, Abteilungsleiter oder Referatsleiter mit üppiger Besoldung. Bezahlen muss das der Steuerzahler bzw. die Defizite im Haushalt wachsen weiter. Neue Schulden oder die Aussetzung der Schuldenbremse, wie das Kanzler Olaf Scholz oder die Grünen fordern, sollen zwar in Investitionen oder in Wirtschaftshilfen fließen, deckeln unter dem Strich jedoch auch die gestiegenen Personalkosten oder die Zuschüsse für steigende Kosten in den Sozialsystemen.


Deutschland und Belgien sind die Weltmeister bei der Steuerlast, die sie ihren Bürgern auferlegen. In Deutschland ist die Belastung für Singles mit 39,31 Prozent die höchste weltweit. Ausschlaggebend für den deutschen Spitzenplatz sind laut OECD vor allem die hohen Sozialabgaben und Beiträge für Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Diese betragen für Alleinstehende 20 Prozent. Der Durchschnitt aller OECD-Länder liegt übrigens bei 25 Prozent und damit fast 15 Prozent unter dem von Deutschland.


Die Automobilindustrie ist nach wie vor der bedeutendste Wirtschaftssektor im Land. 2022 wurde hier ein Jahresumsatz von rund 506,15 Milliarden Euro erzeugt. Aber diese Säule bröckelt gerade, während der Staat weiter Geld verteilt, dass offenbar weniger erwirtschaftet wird. Man darf auch nicht vergessen, dass die gestiegenen Staatseinnahmen auch auf Effekte durch die Inflation zu erklären sind. Bei der zweitstärksten Branche, der chemisch-pharmazeutischen Industrie (261,2 Mrd. Euro Jahresumsatz 2022) ist ebenfalls ein Rückgang zu verzeichnen. In Maschinenbau und Elektrotechnikbranche sieht es ähnlich aus.

 
Der Staatskoloss mit seinen hohen Selbstkosten bewegt sich im Schneckentempo weiter in die Richtung steigender Kosten. Die regelmäßig angekündigten politischen Wendemanöver für Bürokratieabbau kommen im Maschinenraum gar nicht an. Laut einer Studie des ifo Instituts im Auftrag der IHK für München und Oberbayern aus dem November dieses Jahres zeigt, wie die Bürokratie den Wirtschaftsstandort belastet. Demnach würden dem Staat bis zu 146 Milliarden Euro pro Jahr an Wirtschaftsleistung entgehen. Im Vergleich mit Schweden sei der Erfüllungsaufwand pro Jahr für Steuererklärungen in Deutschland fast doppelt so hoch (Deutschland: 218 Stunden, Schweden: 122 Stunden). Hierzulande sind sechs bürokratische Vorgänge notwendig (bzw. 52 Stunden), um Immobilieneigentum anzumelden, während in Schweden nur ein Vorgang genügt (bzw. 7 Stunden).


Im Kurzwahlkampf für die vorgezogene Bundestagswahl hagelt es viele Entlastungsversprechen. Doch die Kosten für Verwaltung, Soziales und Renten klettern weiter. Der staatliche Griff ins Bürgerportemonnaie wird deshalb nicht geringer ausfallen.

Nr. 269 vom 3. Dezember 2024, Seite 4

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