Weg damit!
Oh, welch ein Glück! Was sind wir doch heutzutage alle für intelligente Menschen! Ein kleines Wort genügt, und wir verstehen sofort, worum es sich handelt. Im Vergleich dazu waren die Menschen – hier sind die Deutschen gemeint – früher doch ziemlich dumm. Da gab es Regeln für die Rechtschreibung, die sind ja jetzt nicht mehr nötig. Jetzt läuft doch alles digital, da braucht man sich wirklich nicht mehr mit solchen Kinkerlitzchen abzugeben.
Haben Sie auch schon eine fünf Tasten Maus, und die mit oder ohne Kabel? Mussten Sie jetzt ganz kurz überlegen, um das zu verstehen? Ehrlich? Hätten Sie die Schreibung ‘Fünf-Tasten-Maus’ oder ‚5-Tasten-Maus‘ schneller verstanden?
Lassen wir die USB-Mäuse mal beiseite. Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben verstanden, dass es hier um ein Zeichen in der Rechtschreibung geht, das in einigen Jahren sicherlich vollständig verschwunden sein wird. Es ist der Bindestrich, dem sang- und klanglos der Todesstoß versetzt wird.
Angefangen hat es wahrscheinlich mit der Autoindustrie. Wir werden ja mit Werbung, natürlich nicht nur von dieser Branche, überhäuft. Und da hat man den Eindruck, dass die Bezeichnung einer Automarke, wenn diese im Rahmen einer Werbebotschaft auftaucht, niemals von einem Bindestrich begleitet werden darf. ‚Die VW Modelle sind immer zuverlässig.‘ ‚Bei e-bay können Sie Mercedes Benz Werbung in Originalwerbung bis 1950 kaufen.‘ ‚Sehen Sie sich unsere Toyota Crossover Angebote unverbindlich an.‘ Sind Sie noch ein junger Mensch und wollen sich einem Automobilclub anschließen, dann könnten Sie die Frage stellen: ‚Wann erhalte ich den AvD Junge Leute Rabatt?‘
Bei einem Verkehrsunfall kann zur Verkürzung der Wartezeit auch gleich die Polizei benachrichtigt werden. ‚Dieser gegenüber können die beteiligten Pkw Kennzeichen und die Personalien benannt werden.‘ Hier geht es nicht nur um die Pkw-Kennzeichen. (Es darf bezweifelt werden, dass die Kennzeichen am Unfall beteiligt waren. Beteiligt waren wohl eher die Pkw, die natürlich Kennzeichen tragen.) Wie wäre es denn mit folgender Schreibweise: ‚Dieser gegenüber können die Kennzeichen der beteiligten Pkw und die Personalien benannt werden.‘?
Aber es geht hier nicht nur um den Straßen- und Autoverkehr. An vielen anderen Stellen auch ist der sogenannte Bindestrich auf dem Rückzug. Wenn Sie auf Gewässern rund um die Bundeshauptstadt Berlin eine Schiffstour machen möchten, dann wenden Sie gerne an die ‚Stern und Kreisschifffahrt GmbH‘. Was hat da wohl der ‚Stern‘ zu suchen? Oder fehlt da ganz einfach nur ein Bindestrich?
Das Fernsehen ist natürlich bei der Beerdigung des Bindestrichs auch dabei. Jeden Abend können Sie beim ZDF das ‚heute journal‘ sehen. Wir sind schon so weit, dass wir diese Bezeichnung der Nachrichtensendung als normal empfinden. Der Bindestrich – das soll der Name besagen – bindet. Weil er weggelassen wird, haben wir es nur noch mit einer Aneinanderreihung von Wörtern zu tun. In vielen Fällen verstehen wir lediglich aufgrund unserer Intelligenz und Lebenserfahrung, was gemeint ist. So zum Beispiel, wenn Sie ein Plakat mit folgender Aufschrift sehen: ‚Ü 30 Party‘. Etwas schwieriger ist es bei der Ankündigung, dass der Magdeburger Domchor ein ‚Gabriel Fauré Requiem‘ präsentiert. Diese Musik zur Totenmesse wurde erstmalig 1888 in der Pariser ‚La Madeleine Kirche‘ aufgeführt, Gabriel Fauré ist der Komponist. Bei der sprachlichen Betrachtung solcher Beispiele des Verzichts auf den Bindestrich offenbart sich, dass die Verfasser danach streben, ohne großen Aufwand viel Bedeutung in wenig Text hineinzupacken. Wobei sicherlich für die Musikfreunde eine Ankündigung von ‚Gabriel-Fauré-Requiem‘, also mit Bindestrichen zwischen den Wörtern, befremdlich wirken würde. Wie wäre es denn mit ‚Requiem von Gabriel Fauré‘? Und sehen wir uns die Pariser La Madeleine Kirche an. Vergleichen wir, wie der Name des Doms in Magdeburg ist: ‚Magdeburger Dom St. Mauritius und St. Katharina‘. Warum also nicht auch ‚die Pariser Kirche La Madeleine‘?
Ja, so war es früher. Zuerst wird die Einrichtung, das Gebäude, das Unternehmen oder ähnliches genannt, und dann erst folgt der Name. ‚In Weimar gibt es das vornehme Hotel Elephant.‘ ‚Existiert in Leipzig noch die kleine Kneipe Schwalbennest?‘
Der Sommer ist zwar vorüber, aber wenn Sie klug sind, dann nutzen Sie die ‚Summer Forever Angebote‘. Vertragsbedingungen Ihrer Bank: ‚Die Kommunikation zwischen der Bank und dem Kunden erfolgt per Internet banking inklusive Post-Box oder Internet.‘ Und was macht die Telekom? ‚Die Telekom hilft Community zieht im Herbst auf eine neue Community-Plattform um.‘ ‚Community-Plattform‘ immerhin mit Bindestrich! Aber was steht da vorher im Satz?
Solche Sachen wie diese hier werden wir wohl bald vergessen können: ‚À-la-carte-Restaurant‘, ‚Fit-in-den-Tag-Frühstück‘, ‚Mit dem Auf-die-lange-Bank-Schieben kommen wir nicht weiter‘, ‚Ad-hoc-Bildung‘, ‚eine Als-ob-Philosophie‘, ‚die De-facto-Anerkennung‘, ‚der Trimm-dich-Pfad‘, ‚die Do-it-yourself-Bewegung‘, ‚der Erste-Hilfe-Lehrgang‘, ‚das Wasch-Eau-de-Cologne‘, ‚Alt-Wiener-Kaffeehäuser‘, Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Preis‘, ‚Dein ständiges Löcher-in-den-Himmel-Starren macht mich nervös‘ usw.
Diese Dinge als solche wird es noch geben, aber eben nicht unbedingt mit Bindestrichen geschrieben. Stattdessen heißt es jetzt: ‚Wenn Sie Ihre Karte sperren möchten, so wenden Sie sich bitte an unsere kostenlose 24 Stunden Kundenbetreuung.‘ Oder Sie kaufen bei den Magdeburger Verkehrsbetrieben eine ‚24 Stundenkarte‘. Ja, die gilt 24 Stunden lang. Deshalb sollte dies so geschrieben werden: ‚24-Stunden-Karte‘, also mit Bindestrich, genauso wie ‚100-Meter-Lauf‘, ‚1,5°-Erwärmung‘ ‚18-jährig‘, ‚Goethe-Schiller-Archiv‘, ‚Otto-von-Guericke-Universität‘. Und wenn zu Coronazeiten häufig das Gebäude des Robert-Koch-Instituts im Fernsehen gezeigt wurde, dann ist es nicht recht, wenn da über dem Eingang ‚Robert Koch-Institut‘ geschrieben steht.
Nun sehen wir uns an, was es überhaupt für Bindestriche gibt. Einmal den sogenannten Ergänzungsbindestrich. Das bedeutet, dass dieser Bindestrich anstelle eines ganzen Wortes steht und das bereits genannte Wort ergänzt. Beispiele: ‚Herren- und Damenmode‘ (Oh, Junge, was für altmodische Begriffe! Noch nichts von ‚Fashion‘ gehört?), ‚Blut- und Leberwurst‘, ‚Warenein- und -ausgang‘, ‚Regen- und Übergangsmäntel‘, ‚Ex- und Import‘.
Die andere Art des Bindestrichs wird meist als Durchkoppelungsbindestrich bezeichnet. Damit werden solche Ausdrücke bestückt, wie wir sie oben mit ‚Auf-die-lange-Bank-Schieben‘, ‚Trimm-dich-Pfad‘ bereits genannt haben. Weitere Beispiele sind: ‚Ukraine-Friedensgespräche‘, ‚Putin-Strategie‘, ‚Deutsche-Bank-Filiale‘, ‚400-Euro-Job‘, ‚2-kg-Packung‘, ‚K.-o.-Schlag‘, ‚y-Achsen-Abschnitt‘, ‚c-Moll-Tonleiter‘, ‚pH-Wert-Bestimmung‘. Schwierig kann es werden, und überlegen sollte man, an welcher Stelle dieser Durchkoppelungsbindestrich gesetzt werden soll: ‚Thermo-Scheibenschutz‘. ‚Thermoscheiben-Schutz‘ – das wäre ja ein Schutz für die Thermoscheiben, damit die nicht, z. B. beim Transport, zerbrechen. Aber mit ‚Thermo-Scheibenschutz‘ schütze ich mein Auto vor starker Sonneneinstrahlung.
Generell gesehen haben wir es mit dem Wegfall des Bindestrichs mit einer weiteren Abkehr von bisher geltenden Regeln der deutschen Rechtschreibung zu tun. Natürlich, wie schon zu Anfang ganz oben gesagt, verstehen wir alle, jedenfalls die meisten von uns, auch ohne Bindestrich, was gemeint ist. Schwieriger kann es werden, wenn es um Fachsprache geht, um Verträge, um Beschreibungen von komplizierten Sachverhalten – da könnten doch manchmal Zweifel am Sinn des Geschriebenen entstehen. Und es gibt noch einen Aspekt, der immer mehr vernachlässigt wird: Die Person, die den Text lesen soll, spielt immer weniger eine Rolle. Von ihr wird vorausgesetzt, dass sie ganz einfach und ganz schnell das versteht, was ihr mit dem Text geboten wird. Im Widerspruch dazu steht, dass diese Aneinanderreihungen von Wörtern keinesfalls schnell zu erfassen sind. Der oder die Lesende benötigt doch stets ein wenig Überlegung – wenn auch nur Bruchteile von Sekunden –, was gemeint ist. Dies ist auch im Widerspruch zu der Welt, in der wir leben, in der immer wieder der Kunde, der Verbraucher, als ganz wichtig eingeschätzt wird.
Aber digital können wir alles lösen: ‚Ein Zweiten Monitor Anschließen Fehler kann vorliegen, wenn eines oder mehrere der folgenden Symptome auftreten.‘ Wie tröstlich!
Dieter Mengwasser
Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer
Buch-Tipp: Die Beiträge von Dieter Mengwasser sind als Buch unter dem Titel „Ich spreche Deutsch! – Sprachbetrachtungen eines Sprachkundigen“ erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 270 vom 17. Dezember 2024, Seite 14
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