Römers Reich:
Vielfalt mit Einseitigkeit

Soziologische Studien sind heute Erklärungsfundament für gesellschaftliche Entwicklungen und vielfach Grundlage für politische Entscheidungen. Schließlich enthalten diese oft stichhaltige Daten und mögliche Interpretationen für eine Momentaufnahme. Es vergeht kaum eine Parlamentsdebatte, bei der Soziologieuntersuchungen als Argumentationsgrundlage herhalten müssen, warum es wichtig sei, dem einen oder anderen Gesetz zuzustimmen oder es abzulehnen. Nun sind solche Studien stets nur Momentaufnahmen, manchmal mit nicht ausreichender Repräsentanz an Teilnehmern bzw. zweifelhaften Fragestellungen oder Schlussfolgerungen. Aber gar nichts zu untersuchen würde uns mit Blick auf die Menschen, ihre Verhaltensweisen und Einstellungen auch nur im Nebel stochern lassen.


Nur wird es für Soziologen und/oder Psychologen noch komplizierter, verlässliche Aussagen zu treffen. Warum? Weil mit der Akzeptanz mehrerer sozialer Geschlechter die Kategorisierung komplexer und eine repräsentative Auswahl schwerer wird. Bis vor einigen Jahren beschränkte sich die Sozialforschung noch auf die Unterscheidung von männlich und weiblich. In einer Studie aus dem Jahre 2023 wurden dagegen schon 36 verschiedene Kategorien aufgeführt. Die meisten großen sozialwissenschaftlichen Umfragen beschränken sich auf die Dreiteiligkeit in männlich, weiblich, divers. Im Juli 2024 wurden Zahlen aus dem deutschlandweiten Zensus veröffentlicht, nachdem sich insgesamt 2.228 Menschen weder als Mann noch als Frau bezeichneten. Die Angaben fußen auf dem Zensus-Stichtag im Mai 2022.


Demnach lebten zu dem Zeitpunkt 42.044.446 Frauen und 40.672.866 Männer in Deutschland. Demnach wären lediglich 0,001522 Prozent der Bevölkerung, die keine Geschlechterangabe machten, und 0,001171 Prozent wären solche, die sich als „divers“ sehen. Zusammen läge ihr Anteil bei 0,002693 Prozent der Bevölkerung. Allerdings schätzt die Deutsche Gesellschaft für Trans- und Intergeschlechtlichkeit, dass etwa 1,7 Prozent der Bevölkerung intergeschlechtlich seien.
Übrigens bietet ein Berliner Club seinen Gästen zur Selbstidentifikation inzwischen 53 Geschlechtsidentitäten an. Wollte man also künftig Geschlechterunterschiede, wie die seit Jahrzehnten zwischen Männern und Frauen untersucht werden, nun auf neue Identitäten anwenden, wird es knifflig, ausreichend Befragungen durchzuführen, um auch nur einigermaßen repräsentative Angaben machen zu können.


Es wird sicher nicht lange auf sich warten lassen, dass Interessenvertreter diverser Geschlechtervorstellungen eine Berücksichtigung ihrer Gruppen bei Studien einfordern werden. Wie glaubhaft am Ende die Aussagekraft solcher Untersuchungen sein kann, steht dann eher in den Sternen. Aber die sehen wir ja oft genug Schwarz auf Weiß gedruckt. So kann Vielfalt künftig für Einseitigkeit soziologischer Aussagekraft sorgen.


Axel Römer

Nr. 270 vom 17. Dezember 2024, Seite 3

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