Gedanken- und Spaziergänge im Park: Unruhige Zeiten

Als wir uns am Sonnabend vor der Wahl trafen, fragte ich Gerd, wie seine Wahlprognose wäre. Darauf antwortete er, dass es wohl keine allzu großen Überraschungen geben würde. „Das, was spannend sein wird, ist die Regierungsbildung. Und die gibt vermutlich keinen Anlass zu großen Hoffnungen, dass sich wirklich etwas ändern wird,“ meinte er und setzte fort: „Da die CDU sich mit tatkräftiger Hilfe der SPD und der Grünen in der Zwangsjacke der Brandmauer häuslich eingerichtet hat, bleibt ihr als stärkste Partei kaum eine andere Wahl, als vermutlich eine Dreierkoalition mit SPD und Grünen einzugehen. Der Farben schwarz-rot-grün nach könnte man sie Afghanistan-Koalition nennen. Im schlimmsten Falle wäre sie sogar auf die Duldung durch die neu erstarkte Linke angewiesen, denn nach links hat man eine Brandmauer vergessen. Das würde mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass vieles von dem, was die Mehrheit der Wähler wünscht, nicht realisiert wird. Es könnte sogar sein, dass diese Regierungskoalition an ihren inneren Widersprüchen vorzeitig zerbricht, wie es der selbsternannten Fortschrittskoalition unter Scholz widerfuhr.“ „Das würde bedeuten, dass wir noch einmal vorzeitige Bundestagswahlen bekommen und alles ginge von vorne los,“ sagte ich, „und die Gefahr bestünde, dass die AfD danach noch stärker wird.“ „Oder auch die Linke, die sich in den letzten Monaten in den Umfragen fast verdoppelt hat und jetzt die Fünf-Prozent-Hürde locker überspringen könnte. Ich denke, dass sie die vielen neuen Wähler auch deshalb bekommt, weil die sich beim besten Willen nicht mehr vorstellen können, dass sich mit einer Koalition der CDU mit SPD und Grünen auch nur das Geringste zum Besseren verändern würde.“ „Aber bei den straff organisierten Massendemos gegen Rechts marschiert die Linke doch mit SPD, Grünen und Linksextremisten stets in einer Front.“ „Ja, beim Kampf gegen Rechts sind sie sich alle einig, aber das ist vermutlich schon alles. Die neue Chefin der Linken, Heidi Reichinnek, ist übrigens ausgesprochen publikumswirksam, besonders bei den Jungen. Da singt sie „Auf die Barrikaden, schlagt die Faschisten“ und der Saal singt mit, während Genosse van Aken etwas unbeholfen daneben steht. Ihr Rezept ist einfach: Der alte im Weltkrieg weitestgehend vernichtete Faschismus wird zu einem großen und gefährlich aussehenden Popanz aufgeblasen und mit einem kräftigen Schuss Spanienkrieg-Romantik vermischt und schon sind alle Feuer und Flamme. Den alten „Silberlocken“ stiehlt sie die Show, die sind nur noch Statisten. Sie hat die Fähigkeit, mit wenigen Worten im erregten Tonfall Emotionen zu wecken, da braucht es keine intelligenten Begründungen.“
Linke als demokratische Mitte?
Diese Demonstrationen gegen rechts sind von Organisationen, die staatliche Förderung bekommen, bestens organisiert. Laut mancher Kommentare würde sich dort die „demokratische Mitte“ formieren. Aber diese Demonstrationen richten sich nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen die CDU. Das heißt doch, dass die CDU in den Augen der Veranstalter nicht zur demokratischen Mitte gehört, sondern rechts ist. Demnach gehören die Linke und linksextremistische Gruppen, die unübersehbar bei diesen Demonstrationen dabei sind, offenbar nun zur demokratischen Mitte! „Der Begriff der demokratischen Mitte hat etwas Gummiartiges und jeder gebraucht ihn so, wie es ihm passt“, kommentierte Gerd diese Seltsamkeit. Ihn erinnern die Aufmärsche mit manchmal mehr als 100.000 Teilnehmern samt vorbereiteten Transparenten an die DDR. Da gehört eine perfekte Organisation dazu. „Aber weißt du, was ich am meisten bewundere?“, fragte Gerd: „Ich bewundere den Todesmut der Demonstranten.“ „Bitte, was?“ fragte ich ihn verwundert. „Nun, da werden zurzeit an verschiedenen Orten geplante Karnevalsumzüge abgesagt oder zumindest eingeschränkt, weil man die Sicherheit vor Anschlägen nicht gewährleisten kann. Aber diese Demonstrationen finden ohne den Aufbau von Pollern oder anderem statt und die vielen tausend Demonstranten haben keine Furcht davor, dass irgendein Attentäter mit einem Auto in sie hineinfahren könnte. Das ist doch bewundernswert.“
Wer gedenkt der Opfer?
„Was mich erstaunt ist, dass nach jedem Attentat, das durch einen Ausländer begangen wurde, ein oder zwei Tage später eine Demonstration gegen rechts organisiert wird. Da kann man drauf wetten. Eigentlich wäre ein Trauermarsch für die Opfer angemessen.“ Gerd bemerkte darauf: „Das weißt du doch. Das hat was mit dem Kampf gegen rechts zu tun. Man befürchtet, dass die Rechten solche Ereignisse für ihre Anschauungen instrumentalisieren, wie das heißt, um ihrer Ausländerfeindlichkeit freien Lauf zu lassen. Hier bei uns wurden vor wenigen Tagen unter dem Windspiel am Hasselbachplatz Kerzen und Blumen sowie die Bilder der Opfer von Hanau vor fünf Jahren aufgestellt. Ich glaube im letzten Jahr war das ebenso. Das ist gut und richtig, dass man dieser armen Menschen gedenkt. Was aber dabei auffällt ist, dass an dieser Stelle nie der Opfer islamistische Anschläge gedacht wird. Zum Beispiel der Opfer des Attentats auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 oder von Mannheim oder der Opfer von München jetzt. Ich weiß nicht, wer dieses Gedenken hier organisiert, aber für die sind offenbar nur die Opfer rassistischer deutscher Attentäter des Gedenkens würdig. Das ist recht einseitig.“ „Ja, es geht nur gegen rechts und manchmal auch mit Gewalt, wie die jüngsten Anschläge auf CDU-Büros in Berlin und Hannover zeigten. Dass dabei die Nazi-Keule geschwungen wird, ist schon selbstverständlich.“ Ähnlich sieht das Kubicki von der FDP und kritisiert die Proteste gegen rechts als undemokratisch. Wer gegen rechts demonstriert und gleichzeitig Banner mit der Aufschrift „Ganz Berlin hasst die CDU“ trägt, der kämpft „nicht für die Demokratie, sondern legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie“, sagte er kürzlich auf dem Landesparteitag der FDP in Schleswig-Holstein.
Anscheinend dürfen Rechte nicht trauern. Wenn sich an den Gedenktagen der im Bombenkrieg zerstörten deutschen Städte konservative und rechtsdenkende Menschen zu Trauermärschen versammeln wollen, wie in Dresden oder Magdeburg, dann haben sie mit starken Gegendemonstrationen zu rechnen und müssen von der Polizei geschützt werden! Dabei waren wir uns in der DDR darüber einig, dass die Bombardierung offener Städte gemäß der Haager Landkriegsordnung Kriegsverbrechen waren, genauso wie die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Die Deutschen haben auch Bomben abgeworfen und das wird zu Recht verurteilt. Aber bei den Siegermächten nicht? Dabei ist bekannt, dass der englische General Harris damit das Ziel verknüpfte, die deutsche Zivilbevölkerung zu demoralisieren, denn diese wurde getroffen, nicht die Wehrmacht. Statt dessen gibt es bei den Gegendemonstrationen Parolen wie „Deutsche Täter sind keine Opfer“. Der Tiefpunkt war 2015, als die ehemalige Piraten-Politikerin Mercedes Reichstein sich auf einem Foto mit nacktem Oberkörper zeigte, worauf der Schriftzug: „Bomber Harris do it again“ stand, darunter noch „Das Volk muss weg!“. Auf späteren linken Demonstrationen wurde dieser Harrís-Spruch wiederholt. „In solchen Momenten“, meinte Gerd, „denke ich an die DDR. Das wäre damals unmöglich gewesen.“
Eine harmlose Fußball-Hymne
Der Kampf gegen Faschismus nimmt skurrile Züge an, wenn es um die Vergangenheit geht. Nahezu alle großen Verbrechen der Nazizeit sind bekannt, einschließlich der Täter und zum größten Teil gesühnt und die Täter bestraft, soweit man ihrer habhaft werden konnte. Viele Wissenschaftler haben darüber geforscht und ganze Bibliotheken entstanden zu diesem Thema. Viele Gedenkstätten gibt es und rund 90.000 „Stolpersteine“ in vielen Städten. Und doch gewinnt man den Eindruck, dass umso mehr über Nazis und Faschismus geschrieben wird, je länger diese Zeit vorüber ist. Irgendwas findet sich immer. So will der FC St. Pauli sein Lied „Das Herz von St. Pauli“ nicht mehr spielen. Das Lied wurde 1956 komponiert, der Text ist heimatverbunden und absolut nazifrei. Aber der Texter Josef Ollig (1906-1982) fiel Historikern plötzlich auf. Vor 1933 war er Journalist für eine Hamburger Zeitung und wurde ab 1940 zur Luftwaffe eingezogen. Dort soll er Kriegsberichte verfasst haben und sicher in dem damals üblichen Jargon. Doch darf man später durch leidvolle Erfahrung nicht ein klügerer Mensch werden? Nach 1945 arbeitete er für die Zeitung die Welt und das Hamburger Abendblatt. Nun will man die harmlose Stadionhymne nicht mehr spielen! Aber weiter elbaufwärts nach Dresden: Eine Fachkommission durchleuchtet seit fast drei Jahren die Biografien von 129 Persönlichkeiten in städtisch gepflegten Ehrengräbern. Da gibt es nun etwa 30 Hinweise auf eine NS-Belastung. Ins Visier geriet der beliebte Schauspieler Erich Ponto (1884-1957), der aber in Stuttgart begraben ist. In über 100 Filmen spielte er mit. Seine NS-Sünde: Er wirkte bei dem judenfeindlichen Film „Die Rothschilds“ mit. Nach Kriegsende wurde er Intendant des Dresdner Schauspielhauses. Aber: Am 10. Juli 1945 fand die erste Dresdner Schauspielaufführung nach dem Krieg statt: „Nathan der Weise“ mit Ponto in der Hauptrolle! Sollte man nicht auch daran denken? Gerd winkte ab und sagte: „Diese postmortalen Moralapostel dienen dem Zeitgeist und passen sich ihm an. Was meinst du, wie sie wohl damals geschrieben hätten? Das ist halt das Glück der späten Geburt.“
Paul F. Gaudi
Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Erschienen ist inzwischen Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 274 vom 26. Februar 2025, Seite 7
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