Aller guten Dinge sind vier

Boxerin Tina Rupprecht auf den Spuren von Regina Halmich. Anfang April will sie sich in Potsdam

die absolute Box-Krone aufsetzen.

Wenn Tina Rupprecht am 5. April zu fast mitternächtlicher Stunde in Potsdam durch die Ringseile klettert, steht sie vor einer wahrhaft historischen Chance. Die 32-jährige Augsburgerin kann bei einer Veranstaltung des Magdeburger SES-Teams alle vier großen WM-Titel im Boxen auf sich vereinen. Als Weltmeisterin der Verbände WBC, WBA und WBO kämpft sie um den Status eines „Undisputed“ Champions, also jemand, der alle Titel seiner Gewichtsklasse auf sich vereint. Dabei ist das Wort „historisch“ in diesem Fall durchaus nicht aus der Luft gegriffen oder entstammt der Feder eines überdrehten Marketingmenschen. Noch nie hat eine Sportlerin oder ein Sportler in der deutschen Box-Geschichte alle bedeutenden WM-Gürtel gleichzeitig gehalten.

 

„Ich kämpfe nicht nur für mich, sondern für den deutschen Boxsport und dessen internationale Anerkennung. Ich muss mich manchmal kneifen, um zu realisieren, um was es jetzt geht”, sagt die nur 1,53 Meter große Athletin mit dem Kampfnamen „Tiny Tina”. Sie tritt gegen die japanische IBF-Weltmeisterin Sumire Yamanaka an. „Es ist die größte Herausforderung meiner Karriere – und meine größte Chance!” Tina Rupprecht (voller Vorname: Christina) könnte damit nicht nur auf den Spuren der früheren Weltmeisterin Regina Halmich wandeln, die einst ihren Ruhm als Vorkämpferin des deutschen Frauenboxens auch mit spektakulären Auftritten in Magdeburg begründete. Sie würde die heute 48-Jährige – rein sportlich gesehen – sogar noch übertreffen.

 

Rupprecht tritt im Atomgewicht an. Was ist das denn?, werden nun des Faustkampfs nicht so Kundige fragen. Es ist die niedrigste Gewichtsklasse im Frauenboxen, in der die Kontrahentinnen nur maximal 46,3 Kilo auf die Waage bringen dürfen. Bereits im November vergangenen Jahres hatte die Frau aus Bayern schon deutsche Box-Geschichte geschrieben und sich durch den Erfolg gegen die Japanerin Eri Matsuda nach dem WBC-Gürtel auch die der Verbände WBO und WBA gesichert. Die Titel von drei großen Verbänden hatte bislang kein deutscher Aktiver gehalten – weder Mann noch Frau.

 

Gegen Yamanaka steht nun zudem der Gurt der renommierten Box-Zeitschrift „The Ring“ auf dem Spiel – diesen vergeben die Fach-Journalisten der amerikanischen „Box-Bibel“, wenn aus ihrer Sicht die beiden besten Boxerinnen oder Boxer der Welt in einer Gewichtsklasse gegeneinander antreten. Nur zehn Männer und elf Frauen weltweit haben diesen außergewöhnlichen Erfolg in der Geschichte des Box-Sports bislang errungen – fast ausschließlich aus den Box-Hochburgen USA und England.

 

Für den deutschen Boxsport ist dieser Kampf – dem Rupprecht ein zweiwöchiges Trainingslager in Usbekistan vorausschickt – laut einer SES-Pressemitteilung „ein Meilenstein von nationaler Bedeutung“. Die beiden deutschen Box-Promoter Ulf Steinforth (SES) und Benedikt Poelchau (Blanco Sport), die „seit Jahren mit hochwertigen Kämpfen das deutsche Boxen am Leben halten“, sei es gelungen, diesen „monumentalen Kampf“ nach Deutschland zu holen. Poelchau: „Ein Kampf von dieser Tragweite ist einmalig für das deutsche Boxen. So nah war Deutschland noch nie an einem unangefochtenen „Undisputed“-Weltmeistertitel. Es macht mich stolz, dass wir uns mit Potsdam gegenüber Tokio als Austragungsort durchsetzen konnten.“ Für Steinforth geht es in Potsdam „um deutsche Sportgeschichte. An diesem Abend, in dem SES-Boxing-Jubiläumsjahr, ist dies die Krönung unserer Arbeit der letzten 25 Jahre!“

 

Begonnen hat Rupprecht mit Kickboxen, als sie zwölf war. Zwei Jahre später dann der Schritt zum „klassischen“ Boxen, „weil mir das einfach viel besser gefiel und auch besser lag“. Schon damals trainierte sie unter den Fittichen der Brüder Sergej und Alexander Haan, die sie auch noch heute betreuen. Sie spürte, dass in dieser Sportart etwas möglich war, sagt sie. „Und so habe ich angefangen, wie verrückt zu trainieren.“ Nach dem Wechsel zu den Profis (2013) erhielt sie 2018 ihre erste Chance, nach einem WM-Titel zu greifen. In einem harten Kampf über 10 Runden setzte sie sich gegen die starke Yokasta Valle aus Costa Rica durch. Inzwischen hat sie 16 Fights bestritten, darunter mehrere erfolgreiche Gefechte um das Weltchampionat. In ihrem Fight-Book steht nur eine Niederlage.

 

Was viele nicht über sie wissen: Steht kein großer Kampf bevor, ist sie zweimal wöchentlich als Teilzeit-Lehrerin tätig. „Die Schulleitung in Zusmarshausen unterstützt mich und stellt mich frei. Das Boxen ist ja mein Hauptberuf“, erzählte sie dem „Augsburg Journal“. An der Universität ihrer Heimatstadt absolvierte sie dazu ein Lehramtsstudium für die Grundschule (Hauptfach Sport), bestand ihr erstes Staatsexamen mit der Note 1,4. Obwohl sie nebenbei bis zu sechs Tage pro Woche trainierte.

 

Jahrelang war Rupprecht, trotz mehrerer WM-Gürtel, in Deutschland sozusagen unter dem Radar geflogen. Potsdam bietet ihr nun, auch in Ermangelung anderer schwarz-rot-goldener Weltmeister, die Gelegenheit, aus diesem bildhaften Tiefflug geradezu raketenhaft nach oben zu stoßen. Dass man sie künftig hierzulande besser kennt (und erkennt), dazu könnte ebenso die republikweite Ausstrahlung im MDR beitragen. In 30 Länder wird die Begegnung live übertragen. Das gab es bei einem Frauen-Kampf in Deutschland noch nie.

 

Rudi Bartlitz

Nr. 275 vom 12. März 2025, Seite 24

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