Römers Reich: Aus tausendundeiner Nacht

Widersprüche, wohin man schaut. Gestern war die Schuldenbremse noch fürchterlichstes Teufelszeug, heute gilt sie im Macht-Olymp als Lösung aller Probleme. Angela Merkel hätte es alternativlos genannt. Seit einigen Jahren wird vom wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit geschwafelt. Es geht um Bio, Recycling, Konsumverzicht, Lieferkettenkontrolle und ähnliche Begriffe, mit denen uns der Wandel zum Guten erklärt wird. Doch die Geschichten klingen bei näherer Betrachtung wie solche aus tausendundeiner Nacht.

 

Schon lange ist uns bekannt, dass die Textilproduktion eine der schmutzigsten Industrien der Welt ist, dazu kommen Billiglohn- oder gar Kinderarbeit. Die Lieferkettenkontrolle sollte dafür sorgen, dass Modeprodukte nachhaltiger, Arbeitsbedingungen besser und die Entlohnung höher werden. Nun lässt sich feststellen, dass die Durchschnittslöhne in Bangladesch seit dem Rana-Plaza-Unglück sogar gesunken sind. Hinzu kommt, dass der Anteil an Biobaumwolle am Weltmarkt ebenfalls schrumpft.

 

Wie gut deutsche und europäische Politik auch moralische Ideen in Gesetze gießt, es gibt immer jemanden, der ein Schlupfloch findet, und Verbraucher stürzen sich dann gnadenlos in den Sumpf der Billigangebote. In Zeiten von Temu und Shein wird am Taschencomputer geshoppt, was das Zeug hält. Im vergangenen Jahr sollen rund 4,6 Milliarden Pakete mit einem Warenwert von unter 22 Euro in die EU importiert worden sein. 90 Prozent der Produkte kamen aus China. In Deutschland kommen schätzungsweise täglich 400.000 Pakete an.

 

Noch ein Blick auf die verarbeiteten Stoffe: Sogenannte Ultra-Fast-Fashion-Kleidung ist nicht darauf ausgelegt, mehrere Waschvorgänge durchzuhalten. Eine Jeans, die vor zehn Jahren hergestellt wurde, verfügt über einen geringeren Kunstfaseranteil oder gar keinen gegenüber den angebotenen Hosen von heute. Die Folge: aktuelle Billigjeans sind schneller durchgescheuert. Aber Löcher gelten ja inzwischen auch als modisch. Wenn die Hose dann als Lumpen zählt, kann sie selten als Putzlappen herhalten. Denn für die Saugfähigkeit müsste der Baumwollanteil höher sein.

 

Nun ist es allzu verständlich, dass Menschen bei steigenden Preisen hierzulande auf anderen Gebieten auf Temu-Schnäppchen ausweichen. Es erscheint fatal, dass irgendwie alles, was im moralischen Politikverständnis bei uns zu einer Verbesserung führen soll, am Ende die Zustände verschlimmert. Ich könnte jetzt auch sagen, dass sich Wladimir Putin von einer nicht einsatzfähigen Bundeswehr mehr bedroht gefühlt hätte, als davon, dass die aktuelle deutsche Aufrüstung von Kindern bezahlt werden soll, die noch gar nicht geboren sind. Unter der Widerspruchsexpansion fällt mir noch ein Reim von Joachim Ringelnatz ein: „Die Leute sagen immer, die Zeiten werden schlimmer. Die Zeiten bleiben immer, die Leute werden schlimmer.“ 

 

Axel Römer

Nr. 276 vom 26 März 2025, Seite 3

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