Ein sehr bekannter Unbekannter

Vor 300 Jahren wurde Giacomo Casanova geboren. Paul R. Franke erinnert an das Multitalent und den Weltenbummler. Auch in Magdeburg hielt er sich drei Tage lang auf.

Vor 300 Jahren, am 2. April 1725, wurde in Venedig Giacomo Casanova geboren. Ein Mann, dessen Namen nahezu jeder kennt und dabei an einen großen Liebhaber und Verführer denkt. Mehr noch: Sein Nachname wurde sogar zu einem Synonym für einen Mann, der am liebsten jede Frau verführen möchte.

 

Viel mehr wissen die meisten nicht von ihm. Dabei ist das nur ein kleiner Aspekt der vielseitigen Persönlichkeit und des Lebens Casanovas. Möglicherweise hat er selbst zu diesem einseitigen Bild von sich beigetragen, da er alle seine Affären ausführlich in seinem zwölfbändigen Werk „Histoire da ma vie“ („Geschichte meines Lebens“, DDR-Ausgabe bei Kiepenheuer 1983) ausführlich geschildert hat.

 

Er war aber viel mehr: Er war Jurist, kurzzeitig Priester, Schriftsteller und Bibliothekar, Dichter, Philosoph und Übersetzer, Chemiker, Alchemist und Mathematiker, Historiker und Diplomat, Violinist, Glücksspieler und Geheimagent, Freimaurer und Abenteurer und weilte bis zu seinem Tode 1798 in ganz Europa: in Italien, Frankreich, Holland, Spanien, England, Deutschland, Polen, Russland, Österreich und Böhmen, wobei er die letzten zehn Lebensjahre relativ einsam als Bibliothekar auf dem Schloss Dux (heute Duchcov) in Böhmen verbrachte.

 

Schon zu Lebzeiten verfasste er über 20 Bücher zu geschichtlichen, philosophischen und politischen Themen, sowie Theaterstücke. Nach seinem Ableben erschien noch ein gutes Dutzend weitere Werken von ihm.

 

Vor vielen Jahren besichtigte ich einmal das Schloss Dux und die Führerin zeigte uns ein Zimmer mit hohen Regalen, in dem die riesige Korrespondenz Casanovas gesammelt war, die ihm die fehlenden Gesprächspartner notdürftig ersetzte. Sie sagte dazu, dass eigentlich jeder Kulturhistoriker, der über das 18. Jahrhundert forscht, hier etwas finden würde.

 

Giacomo Casanova entstammte einer Künstlerfamilie. Sein Vater, Gaetano Giuseppe Casanova (1697–1733), war Tänzer und Schauspieler. Auch seine Mutter Giovanna Maria Farussi (1708–1776), genannt „La Buranella“ war Schauspielerin. Beide arbeiteten in europäischen Metropolen, so dass Casanova bei seiner Großmutter in Venedig aufwuchs. Der Vater starb 1733 in London. Seine Mutter war zuerst in St. Petersburg und Warschau, später dann bis zu ihrem Tode in Dresden engagiert. Casanovas jüngerer Bruder Giovanni Battista Casanova, geboren 1730 in Venedig, war ein berühmter Maler und zog später ebenfalls nach Dresden, wo er lebte und arbeitete. Dort war er Professor und Direktor der Dresdner Kunstakademie. Er starb 1795 dort und wurde auf dem Katholischen Friedhof in der Friedrichstadt beigesetzt, wo das von seinem früheren Schüler Franz Pettrich gestaltete Grabmal zu sehen ist.

 

Seine Großmutter schickte ihn in ein Internat in Padua zur Schule, wo er sich als hochbegabt erwies. Schon mit knapp 13 Jahren schrieb er sich zum Jurastudium in der dortigen Universität ein – anscheinend war das damals möglich – und setzte es ab 1739 in Venedig fort. 1742 wurde er zum Doktor der Rechte promoviert. Während des Studiums bekam er Zugang zu den sogenannten „höheren Kreisen“ und fand Gönner, die ihn unterstützten. Mit 18 Jahren wandte er sich auf Wunsch der Großmutter kurz der Theologie zu, merkte aber sehr bald, dass das nichts für ihn war. Zeitweilig war er Sekretär eines Kardinals.

 

Er lebte viel vom Glücksspiel, wo er Unsummen gewann und oft auch wieder verlor. Er lernte Päpste kennen, trat kurzzeitig in den Militärdienst ein, reiste als Sekretär des venezianischen Gesandten nach Konstantinopel – es ist viel zu viel, um hier das alles aufzuzählen. Er muss ein gern gesehener, guter und unterhaltsamer Gesellschafter gewesen sein. Oft war er auch Schuldner und manchmal in Duelle verwickelt. Acht Mal kam er deshalb in Haft.

 

1750 zog es ihn nach Wien, Dresden und Paris. Er weilte am Hof Ludwig XV. und trat in Lyon den Freimaurern bei. Viel Zeit verbrachte er in Paris im Theater und der Oper. 1753 kehrte er wieder nach Venedig zurück, was ihm nicht gut bekam. Denn dort wurde er am 26. Juli 1755 wegen „Schmähversen gegen die heilige Religion“ durch den Polizeichef in das Staatsgefängnis, die berüchtigten Bleikammern, verbracht.

 

Die Bleikammern befanden sich unter dem mit Blei gedeckten Dach des Dogenpalastes und waren im Sommer glühend heiß und im Winter eiskalt. Er selbst erfuhr nicht, warum. Vermutlich war auch seine Mitgliedschaft bei den Freimaurern, die in Venedig verboten waren, ein Grund. Aus den Akten sah man später, dass er zu fünf Jahren verurteilt war. Er fand sich in einer niedrigen, dunklen Zelle wieder, in der er auf dem nackten Boden schlafen musste. Ratten und die lauten Glocken hielten ihm vom Schlaf ab, Flöhe plagten ihn – aber das Schlimmste war die ungeheure Hitze unter den Bleidächern.

 

Doch ausgerechnet hier begann sein Ruhm, von dem damals ganz Europa sprach: Mit einem anderen Insassen gelang es ihm in wochenlanger Arbeit heimlich Löcher in das Dach zu bohren und sich am 1. November 1756 von dem Dach aus 20 Meter Höhe abzuseilen und zu fliehen. Diese sensationelle Flucht, die noch niemandem gelungen war, sprach sich in Windeseile in ganz Europa herum und begründete Casanovas Ruhm. Als er Wochen später in München ankam, wusste es schon die ganze Stadt.

 

Nachdem er sich erholt hatte, reiste er nach Paris, wo er schnell Zugang zu den höchsten Kreisen bekam. Er begründete dort eine staatliche Lotterie, von deren Gewinn er sechs Prozent bekam. Dieses Modell führte er später auch in England und in Preußen ein. Er lernte persönlich auch Rousseau und Voltaire kennen. Natürlich gab es in Paris auch wieder Misshelligkeiten und er reiste nach England, später eher ziellos durch Deutschland.

 

1764 blieb er eine Woche in Wolfenbüttel, wo sich die damals größte Bibliothek Deutschlands befand und studierte dort Schriften Homers. Die acht Tage in der Bibliothek nannte Casanova später „die schönsten Tagen in seinem Leben“. Von dort wollte er nach Berlin, wobei er Ende Juni 1764 auch drei Tage in Magdeburg verbrachte. Über seinen Aufenthalt hier schreibt er nur: „Ein Offizier zeigte mir alle Geheimnisse der Festung und behielt mich drei Tage bei sich. Ich genoss die Freuden der Tafel, der Liebe und des Spiels, aber ich war nüchtern, schonte meine Gesundheit, vermehrte meine Barschaft in bescheidener Weise, in dem ich mich rechtschaffen mäßigte.“ Laut den Anmerkungen der Herausgeber soll er hier an der Johannisfeier der Freimaurer, am 28. Juni, teilgenommen haben. Es handelte sich dabei um die Loge „De la Felicité” (Zur Glückseligkeit), die 1761 gegründet wurde und als Loge „Ferdinand zur Glückseligkeit“ heute noch existiert.

 

Doch Magdeburg war nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Berlin. In Potsdam hatte er eine Audienz bei Friedrich dem Großen. Dieser bot ihm die Stelle als Erzieher in einer Kadettenanstalt für 12 bis 13-jährige pommersche Junker an, für 600 Taler Jahresgehalt  mit einem Zimmer in der Anstalt und gleicher Kost wie die Kadetten. Das war natürlich nichts für ihn, der Luxus liebte und bei großen Diners schwelgte und Champagner trank! So bedankte er sich brieflich für das Angebot und reiste in das Baltikum und nach Russland, wo er wieder von höchsten Kreisen empfangen wurde.

 

In Moskau kaufte er sich für 100 Rubel von einem Adligen eine 14-jährige Leibeigene, die er Zaira nannte und die seine Dienerin und Geliebte wurde. Mit ihr weilte er in Moskau und St. Petersburg, bis er sie im Oktober 1765 bei seiner Abreise nach Warschau einem italienischen Baumeister vermachte, der sich in sie verliebt hatte. Über die Russen urteilte er, dass das ganze Volk der Alkoholkrankheit verfallen wäre. In Warschau blieb er acht Monate und war mehrfach zu Gast bei dem letzten polnischen König Stanislaus II. August Poniatowski und hoffte, dessen Sekretär werden zu können, musste aber wegen eines Duells mit einem Adligen aus Polen fliehen.

 

Er reiste in eigener Kutsche nach Dresden und besuchte dort seine Mutter und seinen Bruder. Danach fuhr er wieder nach Paris, von wo er aber bald wegen Duellforderungen von König Ludwig XV. ausgewiesen wird. So fuhr er im November 1767 nach Spanien und besuchte verschiedene Städte, bis er in Barcelona in einer Nacht überfallen wurde und einen der Räuber niederstach.

 

Nach 42 Tagen Haft in der Zitadelle musste er auch dieses Land verlassen. Nach kurzem Aufenthalt in Südfrankreich kehrte er wieder nach Italien zurück. Er weilt in Rom, Florenz, Bologna und anderen Städten, aber relativ verarmt und die meisten seiner alten Gönner lebten nicht mehr. Von 1772-74 lebte er in Triest und freundete sich mit dem dortigen österreichischen Statthalter Wagensperg an.

 

Es gelang ihm dort, für gute Beziehungen zwischen Österreich und Venedig zu werben und so wurde er im September 1774 von dem Inquisitionsgerichtshof Venedigs begnadigt und kehrte in seine Heimatstadt zurück. In seiner finanziellen Not ließ er sich als Spitzel der Staatsinquisition anwerben! Versuche, eine Monatszeitschrift zu gründen oder Theaterdirektor zu werden, scheiterten. 1782 verließ er Venedig enttäuscht und reiste in den folgenden drei Jahren nach Paris, Köln, Frankfurt, Dresden, Prag und Wien.

 

1785 bot ihm Graf Waldstein die Stelle als Bibliothekar auf seinem Schloss Dux an, die er annahm, aber dort recht einsam und unglücklich war. Dort schrieb er seine Memoiren und pflegte mangels großer Gesellschaften einen ausgedehnten Briefwechsel. Von Juli 1787 bis September 1788 hielt er sich in Prag auf, wo er mit Wolfgang Amadeus Mozart und dem Librettisten Lorenzo Da Ponte, mit dem er befreundet war, zusammengetroffen sei, als sie dort die Uraufführung der Oper Don Giovanni vorbereiteten. Don Giovanni, das war doch genau sein Thema! Er schrieb Textbeiträge dazu, die zwar keine Verwendung fanden, aber im Archiv von Dux erhalten sind.

 

Seine letzte Reise führte ihn zur Krönung von Kaiser Leopold I. 1791 nach Wien. Die letzten Lebensjahre sind von Krankheiten geprägt. Er will keinen Besuch mehr empfangen, weil er sich als hässlich empfindet.  Die Zähne sind ihm ausgefallen, das Gesicht ist faltig, Leib und Hände sind geschwollen. An Elisa von Recke schrieb er am 1. Juni 1798: „Ich kann weder lesen noch schreiben und könnte Ihnen nicht einmal mehr Nachricht von meiner Existenz geben, wäre nicht mein Neffe bei mir.“

 

Drei Tage später, am 4. Juni, stirbt er im Alter von 73 Jahren. Er wird auf dem Friedhof bei der Kirche Sankt Barbara in Dux beigesetzt, sein Grab ist unbekannt, doch sein Name ist bis heute weltberühmt.

 

Paul R. Franke

Nr. 276 vom 26. März 2025, Seite 8/9

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