Der Ruck bleibt aus

Wie wurde doch in vergangenen Jahren auf Europa gepocht. Als weltpolitische Bedeutung, als ein Gebilde gemeinsam handelnder Nationen und großer Markt für Investoren. Und was nun?

Wie wurde doch in vergangenen Jahren auf Europa gepocht. Als weltpolitische Bedeutung, als ein Gebilde gemeinsam handelnder Nationen und großer Markt für Investoren. Und was nun? Die großen Jungs, die Präsidenten Donald Trump, Xi Jinping und Wladimir Putin feilen an einer neuen Weltordnung so ganz an Europa vorbei. Die europäischen und deutschen USA-Freunde seien Schmarotzer. Damit rechtfertigte Trump einen Zoll-Feldzug. Als verlässlicher NATO-Partner würden die Vereinigten Staaten möglicherweise ausfallen. Jetzt komme es darauf an, sich selbst verteidigungsfähig zu machen, insbesondere gegen die imperialen Bestrebungen aus Moskau.

 

Natürlich ist Europa nicht tot, aber welche Stimme sollte den Kontinent vertreten, die selbst in der Europäischen Union keine einheitliche Vorstellung erzeugt. Die Ordnung, die nach dem sogenannten Kalten Krieg entstanden ist, bröckelt. Der Freihandel in einer multipolaren Welt, der von den europäischen Industrienationen maßgeblich befeuert wurde, hat die Akteure in Asien und eben Russland auf die Tagesordnung gesetzt. Nur haben diese Gesellschaften auch ihre eigenen Hausaufgaben gemacht. Innovationen angeschoben, Arbeitsplätze geschaffen und für wachsenden Wohlstand gesorgt. Der europäische Wohlstand dagegen läuft Gefahr, unter die Räder zu kommen.

 

Allen voran Deutschland wurde in den vergangenen Jahren oft als Moral-Exporteur erlebt. Die scheidende Ministerin Annalena Baerbock wollte mit feministischer Außenpolitik wesentlich älteren Kulturen ein deutsches Vorbild vermitteln. Hierzulande werden indes eigene Traditionen ausgelöscht. Um eine Nation sein zu können, mit der sich Menschen identifizieren, bedarf es eines kulturellen Fundaments aus Sprache, Literatur und Geschichte. Die alternde Bevölkerung in ganz Europa wird diese Wurzeln nach und nach verlieren, vor allem durch die Zuwanderung junger Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen. Man kann das bedauern, aber es wird nicht aufzuhalten sein. Die Entwicklung findet ebenfalls eine Wurzel in der sogenannten Identitätspolitik, mit der individuelle Vorstellungen über das Gemeinwesen gestellt wurden.

 

Und nun schmilzt spürbar die Wirtschaftskraft. Die einst größte Exportnation Deutschland verliert schleichend, aber unaufhaltsam die industriellen Kerne. Gleichzeitig wachsen die Ansprüche der Bürger für soziale Leistungen und Sicherheiten. Unser Gefüge ist in sich voller Widersprüche. Was wir dagegen wirklich gut können, ist, uns die Gegebenheiten schön zu reden. Die Untergangsszenarien der vergangenen Jahre sehen, von heute aus betrachtet, wie sich selbsterfüllende Prophezeiungen aus.

 

Europa ist nicht am Ende. Doch es bleibt die Frage, mit welchen Kräften und Prozessen wollen sich die Menschen unseres Kontinents aus dem Sumpf ziehen. Auf Trump, Putin oder Xi zu schimpfen reicht nicht. Es müsste ein Ruck durch die europäischen Länder gehen, insbesondere durch Deutschland. Den und den Abschied von liebgewordenen Besitzständen hatte 1997 schon Bundespräsident Roman Herzog gefordert. Bis heute ist so ein Ruck ausgeblieben. Daran kranken wir in Europa.

Nr. 277 vom 9. April 2025, Seite 2

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