Osterspaziergang in unruhiger Zeit

Im Frühling lässt es sich gut spazieren. Da platzen die Knospen an Bäumen und Büschen. Das Grün der Wiesen bekommt Farbkleckse und in Straßencafés verbreitet sich Plauderlaune. Und doch liegt über dem Lanz eine wirre Stimmung. Ein Osterspaziergang in unruhigen Zeiten. | Von Thomas Wischnewski

 

Die Tage im Frühling sind voller Hoffnung. Da laden die Wege entlang der Elbe zum Spaziergang ein. Längst sind Knospen an den Zweigen aufgebrochen und das Grün der Blätter drängt ins Sonnenlicht. An „geputzten Menschen“ wie in Goethes Osterspaziergang laufe ich vorbei. Manche haben ein Frühlingslächeln aufgesetzt, andere die Wintermiene noch nicht abgelegt. Die Sehnsucht nach warmen Tagen keimte in den zurückliegenden Monaten. Auch wenn das alles wie ein ewiger Lauf der Dinge erscheint, wie ein immer verlässlicher Übergang der Jahreszeiten, hat sich eine andere Stimmung in der Zeit vor dem Osterfest breitgemacht. Sie rührt aus einem inneren Zustand. Was über das Land, die Stadt oder gar die Welt erzählt wird, zündet den Trübsinn, der hätte im Winter bleiben sollen.

Ein Wechsel war uns versprochen, einer den eine neue Regierung entfachen wollte. Aus dem Merz am Winterende wurde nur ein Aprilscherz. Die Temperaturen klettern von Tag zu Tag wie die Umfragewerte der AfD. Schulden sprießen wie überall die Blätter. Schöne Namen werden ihnen angeheftet, solche wie Investitionen oder Sondervermögen. Geld, das nur erfunden wird, vermag noch gar nichts. Menschen schaffen Vermögen, ihr kleines ums eigene Leben herum, wie das große solcher Leute, die es dann in Steuerparadiese tragen.

Ostergedanken

Die Augen kleben fest
an allem, was da sprießt.
Des Winters letzter Rest
sich ganz in Frühling gießt.

 

Geheimnisvolle Kraft,
die will man gern begreifen.
Woher kommt, was da schafft
und bringt die Saat ins Reifen.

 

Der Zauber einer Macht
wohl unter allem wirkt,
als wär’s Leben gut bewacht,
in Unendlichkeit verbürgt.

 

So staunt ein jeder Geist
übers Frühlingsblühen.
Wohin der Blick auch reist,
über all die Krisen glühen.

 

Thomas Wischnewski

Während Menschen im Krieg eingefroren bleiben, feiert die Rüstungsindustrie ihr Frühlingserwachen. Die Saat für Panzer und Gewehre geht wieder auf und wird von Politik mächtig mit Geld angegossen. Einst sollte Magdeburg vom Intel-Konzern in eine rosige Zukunft wachsen. Selbst Trumps Zölle gegen den Rest der Welt werden die Milliarden wohl nicht mehr an den Elbestrand spülen. Am Eulenberg finden die Eulen wieder Ruhe. Das schöne Bördeareal ist an den Chipriesen im kalifornischen Santa Clara verkauft. Magdeburg könnte den Boden zurückkaufen, müsste aber den aktuellen Marktwert hinblättern.

 

Vielleicht erinnert sich einer bei den Waffenschmieden „Rheinmetall“ oder „Krauss-Maffei Wegmann“, dass doch in Magdeburg einst guter Kruppstahl zu Waffen geschmiedet wurde. Den Platz für die Panzerproduktion könnte man Intel abluchsen. Das Geld kratzt man in Berlin zusammen. Da muss es als Ausgabe verbucht werden.

 

Was sind das für Frühlingsgedanken? Abwegig sind sie nicht. Was das Heute alles für Verkündigungen kennt, da erscheint die Geschichte von der Kreuzigung des Messias und dessen Auferstehung wie die aus einem Groschenroman aus lange vergangenen Zeiten. Das Berliner Politik-Orakel prophezeit längst den Angriff der Barbaren aus dem fernen Osten. Kriegstüchtigkeit wird in den deutschen Boden eingepflanzt. Ich frage mich, welche Menschen hierzulande sollten sich einem Feind entgegenwerfen? Die vor Krieg geflohenen werden es kaum tun. Und jene, die schon länger hier leben, haben doch ganz andere Sorgen. Der tägliche Müll in den digitalen Kanälen muss verdaut und mit neuem angereichert werden. Das Internet ist zur Massenhirnhaltungsanlage mutiert. Und es wird gefressen, was der Trog hergibt. Mit gebeugtem Rücken vor Bildschirmen zeigen sie Haltung zur Kriegstüchtigkeit.

 

Frühling galt mal als Jahreszeit der Kinderzeugung. Auch das ist eine Geschichte aus grauer Vorzeit eines verschwundenen Jahrhunderts. Heute steht der Plan über allem. Selbst wenn die Plankinder dann das Licht der Welt erblicken, sollen sie sich planvoll frei entfalten, beschützt vor den Problemen des Alltags. Wenn da nur nicht die Weltprobleme wären, denen wir scheinbar machtlos ausgeliefert sind. Ein froher Gedanke bleibt: Weder in Anzahl noch im Vermögen wird die aktuelle Nachkommenschaft allen Unkenrufen zum Trotz kriegstüchtig sein. Da würde auch kein Versprechen über eine Vier-Tage-Kriegswoche für genügend Anreiz sorgen. Doch rührt nicht das Aufkeimen solcher Parolen, dass sich Deutschland atomar bewaffnen sollte – aus mancher Einsicht, dass es mit Menschen nicht zu verteidigen wäre. Schon wieder ein abschreckender Kalter-Kriegs-Gedanke, der so gar nicht in den Frühling passen will.

 

Ich spaziere also weiter. Blicke in fahle Gesichter mit bunten Haaren. Was nutzt das Theater, wenn es den Frieden nicht bewahren kann. Von der Elbe aus betrachtet, taumeln die Leute im Berliner Regierungsviertel von einem Machtrausch zum nächsten. Es wird gern von den 16 Regierungsjahren der ersten deutschen Kanzlerin geredet. Dass aber die SPD über 20 Jahre lang – nur mit fünf Jahren Unterbrechung an den Schalthebeln war und nun weitere fünf regiert, davon spricht keiner. Es ist überflüssig, Schuld mit der einen oder andere Farbe anzutünchen. Durchs Dach des deutschen Gewächshauses dringt zu wenig Licht. Das Glas ist verdreckt, die Stützen marode. Es wächst kaum etwas darunter. Und die Gärtner, die ihr Handwerk verstehen, sind im Ruhestand oder haben umgeschult zu Vermögensverwaltern. Und das blaue Licht, von dem im Osten viel gehalten wird, kann nicht retten, was sich selbst nicht retten will.

 

Frühling – das ist die Zeit zum Säen, damit im Sommer eine Ernte eingebracht werden kann. Den Acker bestellen weder die gewählten Vertreter in Berlin, noch am Magdeburger Domplatz oder im Rathaus am Alten Markt. In den Sälen wird nur darüber geredet, wie andere ihr Leben bestellen sollten. Bevor sich das Räderwerk der Verwaltung überhaupt zu drehen anfängt, werden längst neue Reden geredet. Frühling hat im Rathaus nur das Loch, aus dem kein Geld mehr wächst. Die Stadt ist da keine Ausnahme. Die deutschen Kommunen kommen nicht aus ihrem finanziellen Winterschlaf. Es lebe die Demokratie, auch wenn sie gerade den eigenen Untergang beschwört.

 

Frühling – die Jahreszeit des Aufbruchs inmitten eines deutschen Abbruchs. CDU und SPD haben die Amtsübernahme in Berlin auf Mai verschoben. Zeit haben wir immer, Geld wird erfunden, und wenn es an Menschen fehlt, holen wir sie aus anderen Ländern. Von ganz links will man das ausbeutende Deutschland überwinden. Nach dieser Logik dürfen sich Zuwanderer in der Übergangszeit noch gut vom bösen System verdauen lassen.

 

Was wächst hier eigentlich wirklich? Träume haben Hochkonjunktur. Die breiten sich auf einem fruchtbaren Boden aus wie Unkraut im unbestellten Garten. Solange das Eis schmeckt und die Kreuzfahrt-Vollversorgungsreise die Abenteuerlust befriedigt, bleibt der Lauf der Dinge wie der der Jahreszeiten. Indes werden Pflegeplätze unbezahlbar und so viel praktizierende Ärzte wie noch nie in der deutschen Geschichte haben kaum Behandlungstermine zu vergeben. Was bleibt, ist die Notaufnahme. Und die letzte Krankheit wird am eigenen Handybildschirm geheilt oder ausgehalten. Hauptsache die Daten fließen wie das Blut in den Adern. Aber wehe, da nistet sich mal ein Daten-Gerinnsel ein und der Blick aufs Konto ist plötzlich verwehrt, von Geldtransaktionen ganz zu schweigen. Die Einsamkeit unter einer alternden Bevölkerung wird beklagt. Ich frage mich, wie einsam werden einst die Nachfahren sein, die ihren Alltag mit sich selbst am Smartphone verbringen? Sicher weiß dann die KI eine Antwort.

 

Mein Spaziergang zur Osterzeit hat mir manches Ei in die Gedanken gelegt. Ich habe sie gar nicht gesucht, aber sie waren einfach nicht zu übersehen. Ostermärsche wurden mal gegen die atomare Aufrüstung absolviert. Da geht heute auch keiner mehr hin. Es gibt Wichtigeres als Friedensengagement. Ihnen frohe Ostern in unruhiger Zeit.

Nr. 277 vom 9. April 2025, Seite 4-5

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