Gedanken- und Spaziergänge im Park: Manches neu macht der Mai

Was für eine aufregende Woche! Ein neuer Papst und ein neuer Bundeskanzler wurden gewählt. Die Papstwahl ging nach vatikanischen Maßstäben sehr schnell. Der neue Papst Robert Francis Prevost, ein gebürtiger US-Amerikaner, wurde schon im 4. Wahlgang und am 2. Tag gewählt. Das ist ein 3. Platz, den der neue Papst Leo XIV. sich mit dem deutschen Papst Benedikt XVI. teilt, der 2005 ebenfalls am zweiten Tag und im vierten Wahlgang gekürt wurde. Schneller ging es 1939 bei Papst Pius XII., der schon am ersten Tag im dritten Wahlgang die Mehrheit erhielt und dem Rekordhalter Julius II., der 1503 bereits nach wenigen Stunden gewählt wurde. Die längste Papstwahl dauerte dagegen fast drei Jahre! In Viterbo versammelten sich 1268 die 18 Kardinäle zu dem Konklave und kamen erst 1271 zu einem Ergebnis, als es nämlich die Bürgerschaft satthatte und die Bürger das Dach des Bischofspalastes teilweise abdeckten und die Zufuhr von Speisen und Getränken auf ein Minimum drosselten. Unter diesen Einschränkungen des bis dahin sorgenfreien Lebens einigten sich die Kardinäle notgedrungen auf den Lütticher Tedaldo Visconti, der den Papstnamen Gregor X. annahm. Aber egal wie lange es jemals dauert, man kann eine Papstwahl nicht mit einer demokratischen Wahl in einer Republik vergleichen, denn die Regierungsform des Vatikans ist ihrem Charakter nach eine Wahlmonarchie und keine Republik.
Wenn’s um die Mehrheit geht
Die Wahl unseres neuen Bundeskanzlers war ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik: Merz ist der erste Politiker, der einen zweiten Wahlgang brauchte, um Kanzler zu werden! Das ist auch ein Rekord, allerdings ein negativer. Alle seine Vorgänger wurden in den zurückliegenden 22 Abstimmungen seit 1949 von den Abgeordneten der jeweiligen Bundestage im ersten Wahlgang gewählt. „Steht seine Kanzlerschaft nun unter einem schlechten Stern“, fragte ich Gerd, „oder sollte man eher entsprechend dem Sprichwort: Ende gut, alles gut, für die Zukunft hoffen?“ „Du meinst, nach solch einem schlechten Start kann es nur besser werden?“, erwiderte er. „Ich denke, es muss ein Schock für ihn gewesen sein, dass nur 310 Abgeordnete statt der erforderlichen 316 für ihn gestimmt hatten. Eigentlich war das Ergebnis noch schlimmer, denn es gibt insgesamt 328 Abgeordneten der SPD und der CDU. Das bedeutet, dass ganze 18 Mitglieder der beiden Regierungsparteien nicht für ihn stimmten! Es ist schwer für einen Chef, wenn er weiß, dass in seiner Mannschaft einige sind, auf die er sich nicht verlassen kann, falls es wieder einmal hart auf hart käme.“ Um am gleichen Tag einen zweiten Wahlgang durchzuführen, musste man die Geschäftsordnung verändern und dazu bedurfte es einer Zweidrittelmehrheit. Also ging die CDU in der stundenlangen Sitzungspause zu den Grünen und den Linken und bettelte um deren Zustimmung für diese Abstimmung. Dabei wäre das nicht nötig gewesen, denn die AfD unterstützte diesen Antrag auch. Aber in dieser Richtung steht bekanntlich die berüchtigte Brandmauer im Weg. Doch gegen die Linke gibt es in der CDU ebenfalls einen Unvereinbarkeitsbeschluss! „Macht nichts, wenn’s um die Macht geht“, schien sich die CDU-Führung zu sagen. „Schließlich war die CDU doch Ende Januar in das links-grüne Fettnäpfchen getreten, als sie die Stimmen der AfD für das Zustrombegrenzungsgesetz in Kauf nahm und damit eine linke Protestwelle auslöste. Vermutlich wissen jetzt auch manche Mitglieder der CDU nicht mehr, wohin ihr neuer Kanzler wirklich tendiert“, kommentierte Gerd das Geschehen. „Ist der Ruf erst ruiniert lebt es sich ganz ungeniert, meint der Volksmund dazu“, erwiderte ich. „Aber ich denke, dass gegenüber der Linken nur ein ganz kleines und leicht zu überschreitendes Brandmäuerchen besteht.“ Gerd stimmte mir zu: „Das glaube ich auch. Weißt Du noch, wie bei der Eröffnung des neuen Bundestages die Alterspräsidentschaft von Gregor Gysi von rechts kritisch kommentiert wurde? Aber da sprach zu Beginn der führende CDU-Politiker Thorsten Frei und sagte bezüglich Gysi: Er ist einer von uns! Ich sah die Sitzung und war ehrlich überrascht. Noch nie hatte ein CDU-Politiker Gysi als „einen von uns“ bezeichnet. Ausgerechnet Gysi, der letzte Chef der SED, der diese Partei erst in SED-PDS umtaufte, um dann die drei Buchstaben SED ganz wegzulassen und seine Partei so allmählich vom Untergang rettete und der natürlich bei der entsprechenden Volkskammersitzung gegen die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes stimmte – ausgerechnet über den sagt Frei „er ist einer von uns“. Ich konnte es kaum fassen.“ „Na, wenn man die Parlamentarier als eine besondere Klasse für sich ansieht, dann stimmt’s vielleicht?“
Den Kapitalismus stürzen
Seit der Bitte der CDU, einen zweiten Wahlgang zuzulassen, fühlt die Linke Oberwasser und fordert von der CDU Gegenleistungen, wie z. B. die Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses ihr gegenüber. Auch das gute Wahlergebnis und die letzten Umfragen stärkten ihr Selbstbewusstsein. Auf ihrem Parteitag in Chemnitz und schon davor wurden ihre Aussagen immer radikaler. Besonders Heidi Reichinnek, aber auch andere führende Köpfe rufen zum Sturz des Kapitalismus auf und stellen damit die Systemfrage. Frau Reichinnek sieht einen „demokratischen Sozialismus“ in Deutschland als das politische Ziel ihrer Partei. Der Kapitalismus müsse gestürzt werden, weil das Sozialsystem von den Reichen immer weiter ausgehöhlt werde. Wörtlich: „Wer das verhindern will, der darf den Kapitalismus nicht stützen, er muss ihn stürzen. Er muss sich dagegenstemmen und die Systemfrage stellen, ganz klar.“ Auch das Wort vom Klassenkampf wird wieder gern gebraucht. Gerd hörte sich ihre Rede in Chemnitz an und fand: „Sie ist fanatisch und fanatisiert die Masse. Fast nach jedem zweiten Satz von ihr erhob sich ein begeistertes Gekreisch wie bei einem Pop-Konzert. Ich glaube, dass ihre Art gerade bei der Jugend gut ankommt. Verführerisch.“ „Aber wir als DDR-Erfahrene kennen das doch alles zur Genüge. Den demokratischen Sozialismus, die Arbeiter- und Bauernregierung. Von wegen Arbeiter und Bauern! Bonzen und Funktionäre haben geherrscht und Andersdenkende drangsaliert und bespitzelt, außer Landes getrieben oder inhaftiert. Die Reichinnek hat das als 1988 Geborene alles nie erlebt. Ich erinnere mich noch an eine Bundestagssitzung Ende Januar, wo sie ihre Rede mit dem Aufruf „auf die Barrikaden!“ beendete. Ja, was ist denn das? Auf die Barrikaden gingen die Unterdrückten in Frankreich 1789 gegen die Monarchie, in vielen Ländern Europas 1848 das Bürgertum für Demokratie und Republik. Aber gegen wen will Frau Reichinnek auf die Barrikaden? Die Linke ist doch in etlichen Landesparlamenten vertreten, regierte selbst in Thüringen von 2014 bis 2024, war Mitregierende in Berlin (2002-2011 und 2016-2023), in Brandenburg (2009-2019) und regiert aktuell seit 2019 mit als Koalitionspartner in Bremen und in Mecklenburg-Vorpommern seit 2021! Will sie gegen sich selbst auf die Barrikaden? Ein sinnloser, aber fanatisierender Aufruf. Für Jugendliche verführerisch. Klingt so schön nach Aufruhr und Rabatz.“
Das soll viel sein?
„Ist so etwas eigentlich nicht auch gesichert extremistisch?“, schmunzelte Gerd, „nur diesmal von links? Aber das scheint den Verfassungsschutz nicht zu Äußerungen anzuregen.“ Das war das Stichwort zu einem neuen Thema. Frau Faeser hatte kurz vor ihrem Rücktritt der neuen Regierung mit dem Gutachten des Verfassungsschutzes über den gesichert rechtsextremen Charakter der AfD ein faules Ei ins Nest gelegt. Wie soll Merz damit jetzt umgehen, wo er doch ganz andere Sorgen und Probleme zu lösen hat und, wer weiß, die AfD vielleicht doch mal wieder braucht wie im Januar? Der Zeitpunkt war sehr unpassend. Dazu kommt, dass derzeit das Amt für Verfassungsschutz lediglich von zwei Stellvertretern verwaltet wird, da Herr Haldenwang Mitte November 2024 von seinem Posten zurücktrat, weil er ein Bundestagsmandat anstrebte. Allerdings gelang ihm das nicht, denn er unterlag der SPD-Kandidatin in seinem Wahlkreis Wuppertal und ein aussichtsreicher Listenplatz war ihm nicht zugeteilt worden. „Ob er es jetzt bedauert, dass er seinen schönen Posten aufgegeben hat?“, fragte Gerd. Wie dem auch sei, die neue Regierung muss nun mit dem über tausend Seiten starken Gutachten etwas anfangen. Allerdings weiß kaum jemand, was da drinsteht, da es noch nicht veröffentlicht wurde. Auch die AfD, die es am meisten angeht, kennt den Wortlaut anscheinend nicht. Einige Parteien fordern jetzt ganz laut das Verbot dieser Partei. Doch die Geschichte der BRD zeigt, dass das ein langer und komplizierter Weg ist, denn die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch.
Ich erzählte zum Abschied von der Meldung in einer Zeitung, die den Titel „Viele Polizisten unter Extremismusverdacht“ trug. Darin hieß es, dass knapp 200 Polizisten unter dem Verdacht des Rechtsextremismus stünden oder Anhänger von Verschwörungsideologien seien. „Sind das viele? Es gibt in Deutschland über 300.000 Polizisten. 200 davon sind rechnerisch nur ca. 0,06 Prozent! Das soll viel sein? Außerdem besteht erst ein Verdacht, d. h., es wird manche darunter geben, wo sich dieser Verdacht nicht bestätigen wird. Und es werden auch sogenannte Verschwörungsideologen dazu gezählt. Solche Ideologien mögen zwar falsch sein, sind aber nicht verboten und oft nicht rechtsextremistisch. Diese Überschrift ist falsch, da von „vielen“ Polizisten wahrlich nicht die Rede sein kann.“ „Im guten Kampf gegen rechts wird heutzutage manche Mücke zum Elefanten aufgeblasen“, meinte Gerd dazu lakonisch.
Paul F. Gaudi
Nr. 279 vom 14. Mai 2025, Seite 7
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