Weltreise der Photographie

Magdeburg im Dialog – ein Beitrag zu den Weltsehenswürdigkeiten (Teil 1)

 

Von Dr. Eckart W. Peters

Hasselbachplatz, Ende des 19. Jahrhunderts

Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last, Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen, Johann Wolfgang von Goethe, Faust I

 

Seit vielen Jahren befindet sich eine farbige Fotografie (Photochrom) mit dem Titel „6457-P.Z. – MAGDEBURG, FONTAINE § BREITER WEG” in meinem Besitz. Sie ist auf einem starken Karton aufgezogen, die Vorderseite ist schwarz, die Rückseite grau und die Schnittkanten sind vergoldet. Die Plattenaufnahme zeigt in Magdeburg im südlichen Stadtzentrum den Hasselbachplatz mit Brunnen, den Breiten Weg und im Hintergrund den Magdeburger Dom St. Mauritius und St. Katharina. Ich habe dieses Bild – mit dem Hinweis „besonders wertvoll” – von meinen Eltern (Wilhelm Peters 1916-2002/Edith Peters geb. Kachholz 1916-2004) erhalten. Meine Mutter hatte es von ihren Eltern geerbt und diese wiederum von ihren Eltern (Otto Kachholz 1845-1903/Paula Kachholz geb. 1860-1941). Meine Urgroßeltern mütterlichseits wohnten in Magdeburg-Sudenburg in der Gärtnerei Friese am Breiten Weg 72 – heute die Halberstädter Straße. Sie hatten drei Kinder und die Familiengeschichte weiß, dass es sich bei den beiden Jungen auf dem Photochrom am Brunnenrand um meinen Großvater Otto Kachholz (1880-1972) und seinen Bruder Heinrich (1884 vermisst) handelt, die Schwester Editha (1888-1968) ist nicht dabei. Mein Großvater (ca. 18 Jahre alt) steht links von der Fontäne vor dem Hasselbachbrunnen, der erst 1890 zu Ehren des Oberbürgermeisters Carl Gustav Friedrich Hasselbach (1809-1882) gebaut worden ist. Rechts neben meinem Großvater steht sein jüngerer Bruder (ca. 14 Jahre) mit Strohhut. Die Häuser sind im Stil des Eklektizismus oder Historismus gebaut – oft verkürzt auch als Gründerzeitarchitektur bezeichnet.

 

Schon 1844 setzten die Stadtverordneten Magdeburgs zur Zeit des Oberbürgermeisters August Wilhelm Francke eine Kommission ein, die die Möglichkeiten einer Stadterweiterung auf dem militärischen Gelände der Festungsanlagen prüfen sollte, da sich die Wohnverhältnisse in der Altstadt katastrophal gestalteten. In den Jahren von 1798 (37.450 Einwohner) bis 1858 (91.200 Einwohner inklusive Militärs) hatte sich die Einwohnerzahl in der Altstadt mehr als verdoppelt – die Situation war beengt durch die preußischen Festungsanlagen. 1838 wurden in Magdeburg die ersten Eisenbahnen gebaut, die Dampfschifffahrt auf der Elbe und die Industrie entlang der Elbe gewannen an Kraft. Ein Prozess, der ausgehend von England in weiten Teilen Europas das Bild der Städte veränderte. Es entstanden gewaltige Fabrikanlagen, die nicht nur der friedlichen Entwicklung dienten, sondern auch in Magdeburg mit Herrmann Gruson und Friedrich Krupp Kriegsmaterial fertigten.

 

Ursprünglich war Magdeburg an der Elbe mit dem mittelalterlichen Ursprung durch Festungsanlagen eingeschnürt, die zwölf Außenforts und Zwischenforts wurden ab 1869 weit nach außen verschoben. Die Kasernenbauten folgten dieser Entwicklung und als die Festungen fielen, konnte die Stadt sich frei entwickeln. Die von Gruson und Krupp entwickelten Kanonen mit den Langrohren schossen inzwischen zielgenau weit über die Festungsanlagen hinaus in die Altstädte. In vielen Städten wie zum Beispiel Hamburg, Erfurt, Naumburg, Bremen, Dresden, Münster oder auch Paris entstanden im ehemaligen Schussvorfeld – dem sogenannten Rayon – großzügige Grünanlagen, die heute noch als „Grüner Ring” genutzt werden. Als Grundgerüst für die Magdeburger Stadterweiterung auf den Festungsanlagen diente das seit der Antike bekannte und bewährte orthogonale Raster, wie es von den Ingenieuren Napoleons nach seinem Sieg 1806 in der Neuen Neustadt und Sudenburg angewendet worden war (die Alte Neustadt und das alte Sudenburg wurden abgerissen). Das orthogonale Raster wurde mit Hauptverkehrsstraßen überlagert, die am Hasselbachplatz sternförmig zusammenlaufen. So entstanden Straßenviertel, die durch Blockbebauung städtebaulich geprägt sind.

 

Der Magdeburger Stadtbaurat Otto Peters beschreibt 1891 diesen auf dem Photochrom abgebildeten Brunnen wie folgt: „Im wesentlichen ist der Hasselbach-Brunnen ein architektonisches Werk mit reichem figürlichem Schmuck. Für die Architektur des Unterbaus, aus welchem sich der Obelisk erhebt, sind die gerade für Magdeburg so charakteristischen reicheren Barockformen mit einem Anflug an das Rokoko gewählt, welcher Stilrichtung übrigens auch die Ausbildung der den Hasselbach-Platz  umschließenden Häuser-Fassaden im allgemeinen zugeneigt. Die Höhe des Brunnen-Denkmals bis zur Spitze des Obelisken, von Oberkante Pflasterung der Insel aus gemessen, beträgt 13,25 Meter, wozu noch 2,00 Meter für die in Schmiedeeisen und Kupfer ausgeführte, vergoldete Blumenspitzer treten, zusammen also 15,25 Meter, ein sehr ansehnliches Maß …”. Der Hasselbachplatz gewann Anfang des 19. Jahrhunderts als Verkehrsknotenpunkt zunehmend an Bedeutung und so verwundert es nicht, dass man wegen der Gleisbauarbeiten 1927 den Brunnen abbaute und am Haydnplatz wieder errichtete. Im Zweiten Weltkrieg wurde er stark beschädigt und steht heute wieder im alten Glanze am Haydnplatz.

 

Hier wäre die Geschichte der Plattenaufnahme zu Ende, wenn nicht ein besonderer Zufall dieses eigentliche Familienbild Kachholz/Peters in einen größeren, fotogeschichtlich interessanten Zusammenhang gestellt hätte. 2004 erhielt ich die Nachricht von ähnlichen Aufnahmen. Nach einer Haushaltsauflösung des verstorbenen Magdeburger Lehrers Adolf Herwig  aus Sudenburg waren zahlreiche historische Photographien und Bücher in das Magdeburger Antik- und Trödelcenter in der Fichtestraße gelangt. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten sie einer Schule in Sudenburg gehört und verblieben anschließend in den Händen des Lehrers Herwig. In diesem Konvolut der alten Bilder beim „Antik-Leo” fand ich die zweite Plattenaufnahme von Magdeburg „6477.P.Z. – MAGDEBURG.”. Auf der Rückseite dieses auf Karton aufgezogenen Bildes steht der Hinweis „Louis Gold, Kunsthandlung, Berlin N.W. 41, Unter den Linden” – hier konnte man die Bilder einzeln oder im Konvolut bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges erwerben.

 

Der Fund weiterer Plattenaufnahmen aus dem Besitz des Lehrers Herwig ist durch ungewöhnliche Zufälle bestimmt. Im Zweiten Weltkrieg hatte das Einfamilienhaus Herwig in Sudenburg einen Granattreffer erhalten, der jedoch durch die vielen im Dachstuhl eingelagerten Bücher abgefedert wurde. So finden sich oft in diesen alten Büchern eingesprengte kleine Steine und Sandkörner, manchmal auch Metallsplitter. Entsprechend ist auch ein Teil der alten Plattenaufnahmen beschädigt, wie zum Beispiel die Aufnahme von Kalkutta oder die von Agra. Wäre die Haushaltsauflösung auch nur ein wenig anders verlaufen, so wären diese Bilder möglicherweise weiterhin auf einem Dachboden verstaubt und verwittert, auf einer Hausmülldeponie oder in einer Altpapiertsammlung gelandet. Der Zufall wollte es anders. Die Haushaltsauflösung wurde durch „Antik-Leo” duchgeführt, und ich fand nach und nach diverse Kartons mit Plattenaufnahmen, beschriftet „Farbige Photographien” und „Photochromos Deutsche Städte”.

 

Heute weiß ich aus verschiedenen Publikationen mehr über die Photochrome. So haben Sabine Arqué (Bildredakteurin) und Marc Walter (Fotograf) im Taschenverlag 2017 eine auf über 6oo Seiten beeindruckende Dokumentation mit dem dreisprachigen Buch „THE GRAND TOUR, THE GOLDEN AGE” herausgegeben.

 

Mehr zur Geschichte der Photochrome  in Magdeburg, an der Elbe  und Deutschland sowie „DAS GOLDENE ZEITALTER DES REISENS” im nächsten Artikel in der KOMPAKT Zeitung.

Nr. 279 vom 14. Mai 2025, Seite 12

Veranstaltungen im mach|werk

Edit Template

Über uns

KOMPAKT MEDIA als Printmedium mit über 30.000 Exemplaren sowie Magazinen, Büchern, Kalendern, Online-Seiten und Social Media. Monatlich erreichen wir mit unseren verbreiteten Inhalten in den zweimal pro Monat erscheinenden Zeitungen sowie mit der Reichweite unserer Internet-Kanäle mehr als 420.000 Nutzer.