Gedanken- und Spaziergänge im Park: Alles gut gemeint?

Ich erzählte Gerd, dass ein Verlag jetzt „Donald Duck in einfacher Sprache“ verlegt habe. „Versteh‘ ich nicht ganz“, antwortete er. „Ich habe als Kind oft die Micky-Maus-Hefte gelesen und die Geschichten von Donald Duck waren meine Lieblingsgeschichten. Soweit ich mich erinnere, hatten die Texte kaum schwierige Worte oder komplizierte Satzkonstruktionen. Wenn doch mal ein unbekanntes Wort vorkam – dann hab ich eben einen Freund oder meine Mutter gefragt. Übrigens war die deutsche Übersetzerin der Micky-Maus-Hefte, Frau Dr. Erika Fuchs, sehr berühmt für ihre kindgemäßen Texte und Lautmalereien. Ich frage mich – vielleicht etwas ketzerisch – ob man bei den Lesebehinderten durch eine weitere Vereinfachung die Verbesserung ihres Auffassungsvermögens nicht eher behindert statt fördert?“ „Eine interessante Frage, die mich zu einem anderen Problem führt, das mich seit längerem beschäftigt: das Schreiben. Es gibt bereits Länder, die in den Schulen die Schreibschrift abgeschafft haben, z. B. Finnland, wo nur noch in Druckbuchstaben geschrieben wird. Auch Landesschülerräte plädieren für die Abschaffung. In der Schweiz wird die verbundene Schrift in den Schulen nicht mehr gelehrt. Was ist richtig? Ist es nicht eine Verarmung, keine Schreibschrift mehr zu lernen? Oder ist sie nur noch ein unnützer alter Hut? Zur Zeit unserer Eltern war Schönschrift noch ein Teil des Unterrichts. Ich bemerke auch bei mir, dass ich kaum noch schreibe, sondern Texte und Briefe in den PC tippe oder am liebsten diktiere. Meine Handschrift ist schlechter geworden.“ „Ist vielleicht deinem Alter zuzuschreiben. Mir geht es ähnlich“, meinte Gerd. „Nein, das ist die mangelnde Übung. Ich weiß, dass meine Mutter im Alter unheimlich schön geschriebene Briefe verfasste. Weißt du, was ich mir zur Pflicht gemacht habe? Ich habe mir ein fein gebundenes Tagebuch zugelegt und schreibe darin alle paar Tage meine Gedanken nieder. Und nicht mit einem Kugelschreiber, sondern mit einem seit Jahren nicht benutzten Füllfederhalter. Dabei gebe ich mir Mühe, bewusst sauber zu schreiben.“ „Du wirst bald noch mit einem Federkiel schreiben“, spottete Gerd. „Aber vielleicht ist was Wahres dran. Das Computer- und Handy-Zeitalter hat natürlich, wie alles, nicht nur Vorteile, sondern auch seine Pferdefüße.“

 

Homo cum cistula ludens

 

Wir waren uns einig, dass wir uns glücklich preisen könnten, ohne Handy aufgewachsen zu sein. Was haben wir alles miteinander gemacht: gespielt, geschwatzt, Streiche ausgeheckt, unterwegs gewesen und vor allem massenhaft Bücher gelesen und ausgetauscht. Hin und wieder gab es einen Kinobesuch, aber meistens entstanden die Bilder in unserer Fantasie, während man jetzt durch Bilder im Fernsehen und im PC überflutet wird. „Aber verklären wir die Vergangenheit nicht etwas?“, meinte ich. „Vielleicht“ antwortet Gerd, „aber wie oft sehe ich Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene zusammensitzen, die kaum miteinander reden, sondern nur auf ihre Handys starren.“ „Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872-1945) hat ein Buch mit dem Titel „Homo ludens“ (der spielende Mensch) geschrieben, demzufolge der Mensch von klein auf seine individuellen Eigenschaften und kulturellen Fähigkeiten durch spielerisches Handeln entdeckt und so seine Persönlichkeit allmählich entfaltet und Erfahrungen verarbeitet. Vielleicht gibt es jetzt eine neue Ausprägung des Menschen, den „Homo cum cistula ludens“, zu Deutsch: der mit dem Kästchen spielende Mensch, dessen Kulturgeschichte erst noch geschrieben werden muss.“

 

Zum Thema Handy und den damit verbundenen sogenannten „sozialen“ Medien gab es einen kleinen Skandal wegen eines Bloggers, der auf YouTube den Blog „Clownswelt“ betreibt, in dem er grüne und linke Politiker sarkastisch auf’s Korn nimmt. Im ZDF gab sich der Hofkomiker dieses Senders, Böhmermann, wieder mal als mutiger Enttarner im Kampf gegen rechts und deckte die Identität des Bloggers auf, vermutlich in der Absicht, ihn zum Schweigen zu bringen. Inwieweit dieses Vorgehen rechtmäßig war, darüber entzündete sich ein journalistischer Streit, der noch nicht beendet ist. „Allerdings ist das Böhmermann nicht so gelungen, wie er es sich vermutlich gewünscht hat“, meinte ich. „Den Blog Clownswelt verfolgten bis dahin über 200.000 Betrachter. Ich kannte ihn nicht, hatte nie davon gehört. Aber seit der Böhmermann-Sendung hat sich die Zahl der Follower, so nennt man die heute wohl auf neudeutsch, in gut zwei Wochen mehr als verdoppelt! Ein schönes Beispiel dafür, dass gut gemeint das Gegenteil von gut gelungen ist, wie Karl Kraus sagte.“ „Naja, ob es gut gemeint war, ist eine Frage des Standpunkts“, erwiderte Gerd. „Anderen würde vielleicht eher der Satz einfallen, den Goethe im Faust den Mephistopheles sagen lässt: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

 

Von Wahl zu Wahl stärker

 

Der Kampf gegen rechts, der oft zum Kampf gegen den Faschismus aufgeblasen wird, bestimmte die erste Zeit des neuen Bundestages. Wieder kommt es zu Ausgrenzungen und Benachteiligungen der AfD durch die übrigen Parteien. Der AfD werden Ausschussvorsitze und ein größerer Sitzungssaal, der ihrer Fraktionsgröße angemessener wäre, verweigert. In diesem sitzt weiterhin die beträchtlich geschrumpfte SPD-Fraktion, die ihn auf Biegen und Brechen nicht verlassen will. Gerd schüttelte den Kopf und sagte: „Ich begreif‘ es nicht. Immer das gleiche kindische Verhalten im Bundestag und in einigen Landtagen. Warum geht das in anderen Ländern? In Italien regiert eine extrem rechte Partei und eine Ministerpräsidentin, die einer neofaschistischen Partei entstammt. In Österreich war die rechte Partei, die FPÖ, schon zweimal mit in der Regierung. Ähnlich war es in Dänemark und ist es in Belgien. Und hat die Demokratie in diesen Ländern Schaden genommen? Nein! Merken denn die Abgeordneten nicht, dass sie die AfD damit von Wahl zu Wahl immer stärker machen? Die AfD wurde 2013 von Lucke, Gauland, Frauke Petry und anderen als europaskeptische und wirtschaftsliberale Partei gegründet. Die meisten waren vorher CDU-Mitglieder, die mit dem Kurs von Frau Merkel nicht einverstanden waren. Damals war die AfD deutlich „zahmer“ als heute und dennoch wurde sie von Beginn an ausgegrenzt. Aber genau das hat sie nicht verschwinden lassen, sondern im Gegenteil, sie wurde von Wahl zu Wahl stärker. Die Wähler haben ein Gespür für politische Fairness jenseits von rechts und links und haben auch Wünsche an die politische Klasse. Nicht ohne Grund war einiges, was Merz im Wahlkampf versprach, den Zielen des AfD-Programms recht ähnlich.“ „Und wie denkst Du dann über die Gefahr eines drohenden Faschismus in Deutschland, vor der von Politikern und auf vielen Demonstrationen gewarnt wird?“ „Auf diese Frage hat vor einiger Zeit der scharfzüngige, jüdische Publizist Henryk M. Broder in einem Interview die in meinen Augen beste Antwort gegeben, als er sagte: „Deutschland ist so weit weg von einem Faschismus, wie der Vatikan von einem Swingerclub.“ „Schön und frech gesagt! Ich glaube auch nicht, dass die Wähler der AfD, vielleicht außer wenigen Trotteln, irgendetwas mit Faschismus am Hut haben. Sie wollen einfach nur eine bessere Politik als bisher und vermutlich auch einen normalen Umgang mit der AfD.“

 

Wiederkehr des roten Zarismus?

 

Die Bedrohung durch den Faschismus wurde und wird gern benutzt, um aggressive Maßnahmen zu rechtfertigen, sei es gegen das eigene oder gegen ein anderes Volk. So 1961 die Berliner Mauer, der „antifaschistische Schutzwall“ oder der Angriff Russlands auf die Ukraine seit Februar 2022. Putin begründete diesen Krieg damit, dass er die Ukraine demilitarisieren und entnazifizieren wolle! „Manche sehen die eigentliche Ursache für diesen Krieg aber in der Erweiterung der NATO. Laut 2-Plus-4-Vertrag von 1990 hätte es die nicht geben dürfen“, sagte ich, „aber tatsächlich wurde die NATO erweitert. Könnte Putin nicht Sorge gehabt haben, dass die Ukraine NATO-Mitglied wird?“ „1990 hatte man den Eindruck, dass früher oder später die großen Militärbündnisse in Europa überflüssig würden. Der Warschauer Pakt löste sich 1991 auf. Aber 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. Im gleichen Jahr wurde Putin erstmals Präsident, nachdem er vorher seit 1998 Chef des Geheimdienstes FSB war. Zufall? Er ist ein Geschöpf des sowjetischen Geheimdienstes. Es folgten zwei Tschetschenienkriege und Putin betonte öfter, dass die Auflösung der Sowjetunion ein großer Fehler gewesen wäre. Das hat sicher dazu beigetragen, dass die drei baltischen Staaten, die 1991 endlich ihre Unabhängigkeit wiedergewonnen hatten, 2004 der NATO und der EU beitraten. Selbst das seit 1945 stets neutrale und blockfreie Finnland wurde 2023 nach dem Überfall auf die Ukraine sicherheitshalber Mitglied der NATO. Ich glaube, dass Putin die Wiedergeburt eines großen Russlands erträumt, das von ihm absolutistisch geführt wird.“ „Dafür gibt es durchaus Anzeichen, die aber wenig beachtet wurden. Ich denke z.B. dabei an das Verbot der Organisation Memorial, die die stalinschen Verbrechen aufarbeitet. In letzter Zeit gibt es sogar vorsichtige Versuche Stalin wieder auf den Sockel zu heben. So hat Putin dem Flughafen Wolgograd noch die Zusatzbezeichnung Stalingrad gegeben und in der Moskauer Metro wurde kürzlich ein Relief mit dem Titel „Dankbarkeit des Volkes gegenüber dem Führer und Kriegsherrn“ mit einer großen Stalinfigur in der Mitte wieder errichtet, das in den sechziger Jahren entfernt worden war.“ „Ja, das sind leise, aber bedenkliche Symptome einer Wiederkehr des roten Zarismus“, meinte Gerd zum Abschied.

 

Paul F. Gaudi

 

Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Erschienen ist inzwischen Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum oder im Online-Shop erworben werden.

Nr. 280 vom 28. Mai 2025, Seite 7

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