Vom Allergrößten und Allerkleinsten
Von Prof. Dr. Gerald Wolf

Nicht um Politik geht es hier, ohnehin hängt sie uns zum Halse heraus, nein, um das unvorstellbar Kleine und das unvorstellbar Große. Um Teilchen und die Teilchen der Teilchen dreht es sich, und auf der anderen Seite, um das Universum, um die Welt und, bitte schön, auch um Gott. Und darum, wie es zum Allerkleinsten und Allergrößten kommen konnte. Zwei Antworten sind üblich:
- Alles ist dem Wesen nach schon immer da.
- Alles musste erst entstehen. Woraus? Aus dem Nichts!
Die Antwort 1 scheint die plausibelste, wenngleich auch sie ihre Ecken und Kanten hat. Denn selbst in einer uns stabil erscheinenden Welt entsteht dann und wann Neues – aus nichts! Wenn auch nur in Form von Winzigkeiten. Das lehrt die Physik der kleinsten Teilchen, die Quantenphysik.
Die Antwort 2 klingt schier unmöglich, denn sie widerstrebt unserem Verstand: Die ganze Welt soll aus nichts entstanden sein! Jeder weiß, wenn etwas Neues aufkommt, dann immer aus bereits Vorhandenem. Allerdings ist da die Sache mit dem Urknall und die Frage, was denn vorher war. Auch hier wieder geht es um Quantenphysik. Eine Denkwelt ist das, der man nur mit Mathematik jenseits aller Vorstellungsmöglichkeiten beikommt. Selbst jenseits denen von Quantenphysikern. Gern geben die das zu. Damit ist alles klar. Aber nicht erklärt.
Genau hier unterscheiden sich die Geister. Die einen sind’s zufrieden, die anderen kommen damit nicht zur Ruhe. Denn wenn tatsächlich etwas aus dem Nichts entstehen konnte, mit dem Urknall etwa die gesamte Welt, nach welchem Prinzip sollte sich das alles geformt haben? Beginnend mit den kleinsten Teilchen bis hin zu den Galaxien. Ist es ein materielles Prinzip, ist es ein göttliches? „Im Anfang war das Wort“, heißt es dazu im Johannes-Evangelium. Heute würde man eher sagen: „Im Anfang war die Information.“
Information
Jeder weiß, was Information ist, zumindest glaubt er das. An Buchstaben mag die Information gebunden sein und diese an Papier. Auch an elektromagnetische Wellen, an Licht zum Beispiel. Oder an Schallwellen. Am ehesten erkennt man die Information an ihrer Wirksamkeit. Und tatsächlich, was sie alles bewirkt! Schon ein einzelnes Wort mag es sein, das der Eltern, der Lehrer (früher!), der Politiker, der Richter. Oder denken wir an Computer, regelrechte Informationsmaschinen sind das. Was aber ist das eigentlich, Information? Die Frage wurde einst von Studenten an Norbert Wiener gerichtet, dem berühmten Kybernetik-Professor. Nach kurzem Zögern soll er geantwortet haben: „Information ist Information. Weder Materie noch Energie.“ – Aha!
Wenn am Ur-Ur-Anfang tatsächlich nichts gewesen sein sollte, keinerlei Materie, keinerlei Energie, woher wussten dann die ersten neu entstehenden Materieteilchen, wie sie sich zu organisieren haben? Ein Proton zum Beispiel, ein Teilchen mit einer Masse von exakt 1,6726 x 1027 Kilogramm und einer positiven Ladung. Und wie sollte es sich von einem Neutron unterscheiden, einem Teilchen mit einer Masse von exakt 1,6749 x 1027 Kilogramm und keinerlei Ladung? Beide bestehen aus Sub-Teilchen, den sogenannten „Quarks“. Und aus Gluonen, die diese Teilchen zusammenhalten. Nach welcher Art Anleitung wurden die Subteilchen konstruiert, müssen wir uns fragen, nach welcher die Elektronen und welcher die masselosen Lichtteilchen, die Photonen?
Dem Standardmodell der Teilchenphysik zufolge gibt es 17 fundamentale Teilchenarten. Wo steht, bitte noch mal die Frage, wie sie beschaffen sein sollen? Irgendetwas muss doch beim Urknall, sofern es ihn überhaupt gab, organisierend gewirkt haben, damals vor 13,8 Milliarden Jahren. Gab es dafür eine Ur-Ur-Anleitung, eine freie, eine nicht an irgendetwas gebundene Information? Und wie war diese beschaffen? Eine der ganz großen Fragen ist das. Mehr noch: Was passiert mit all diesen Teilchen, wenn unsereiner, der ja aus solchen Teilchen besteht, in ein schwarzes Loch fällt? Oder ein ganzer Stern? Dann ist alles futsch. Oder? Nicht einmal die masselosen Lichtteilchen können entweichen, deshalb ist es ja schwarz, das schwarze Loch.
Ewigkeit vielleicht?
Seit jeher wird gerätselt, was passiert mit der Information, die mit der Materie verbunden ist, wenn sie in einem schwarzen Loch verschwindet? Bleibt sie vielleicht doch erhalten? Als einziges, irgendwie? Solche Überlegungen fußen durchaus auf Objektivität, und dennoch bleibt alles im Vagen. Was sonst sorgt dafür, dass sich, wie beobachtet wird, in der Nachfolge eines schwarzen Loches Materie neu organisiert? Aus dem Nichts gewissermaßen. So wie beim Urknall, damals, als nichts vorhanden war, gar nichts! Das hieße, dass zumindest eine Art von Information für immer verbleibt, wie sie bei jedem Neubeginn zur Verfügung stehen muss.
Auch unser Gehirn produziert Information. In seiner edelsten Form Geist genannt oder Seele. Was passiert damit, wenn uns der Tod ereilt? Falls Norbert Wiener recht hatte und Information eben „einfach“ Information ist, unlöschbar womöglich, könnte die Unlöschbarkeit dann nicht auch für unseren Geist gelten, für unsere Seele? Andererseits müssten wir uns fragen, was für eine Instanz sollte es denn sein, die darüber entscheidet, welche Information wert ist, für immer aufbewahrt zu bleiben, und welche, falls von minderem Wert, gelöscht werden kann? Weg damit! Wenn aber nichts ist, was den Informationswert unserer Seele zu definieren vermag, wenn es dafür keinerlei Instanz gibt, sollte die Seele genauso ewig sein wie die der allem anderen zugrunde liegenden Materie. Anders gewendet: Dann auch müsste die Seele, selbst wenn ihr Produzent durch den biologischen Tod entleibt wurde, zu jeder Zeit auf ihren Ursprung zurückgerechnet werden können. Wo und von wem auch immer.
Das aber bedeutete, die Seele eines jeden Einzelnen von uns müsste auf ewig fortexistieren! Welch Lichtblick, selbst für Atheisten! Wenn aber so, was ist dann mit dem Informationsgeschehen in einem Wasserfloh, ja, in jeder x-beliebigen Zelle? All das sollte auf ewig zurückrechenbar sein? Nicht vorstellbar! Allerdings eben ist die Vorstellbarkeit kein Wahrheitskriterium, die Quantenphysik zeigt es uns.
Ob Philosoph, Theologe, Physiker oder Hirnforscher, Bescheid in der gebotenen Tiefe weiß niemand. Und so auch Sie nicht, verehrte Leserin, verehrter Leser! Aber hoffen darf ein jeder.
Im Anfang war das Wort, war die Information. Und was, bitte, ist am Ende?
Nr. 281 vom 11. Juni 2025, Seite 10
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