Gedanken- und Spaziergänge im Park: Krieg, Krieg, Krieg
„Freue dich, Gerd“, sagte ich zur Begrüßung, „vielleicht darfst du wieder eine Uniform anziehen!“ „Wie kommst du auf diesen Quatsch?“, knurrte er. „Hast du nicht gelesen, dass der Linke und ehemalige Fallschirmjäger der NVA, Dietmar Bartsch, vorgeschlagen hat, dass die NVA-Reservisten in dem zu gründenden Heimatschutz mitspielen sollten? Der CDU-Fraktionsvize Sepp Müller aus Sachsen-Anhalt, der selbst erst 1989 geboren wurde und nie gedient hat, ist ganz begeistert von der Idee und ebenfalls dafür, dass die NVA-Reservisten in die Bundeswehr integriert werden.“ „Wer auf solche Ideen kommt, hat wohl das Niveau eines Politoffiziers“, kommentierte er misslaunig. „Und außerdem halte ich diese Idee für gefährlich.“ „Warum?“, fragte ich. „Nun, in dem Eid, den die NVA-Rekruten schwuren, heißt es im zweiten Satz: Ich schwöre, an der Seite der Sowjetarmee und der Armeen der mit uns verbündeten sozialistischen Länder als Soldat der Nationalen Volksarmee jederzeit bereit zu sein, den Sozialismus gegen alle Feinde zu verteidigen usw. Das könnte doch zu Verweigerungen führen, weil sie sonst eidbrüchig würden. Besonders jetzt, wo Russland als ein Gegner angesehen wird“ „Aber 1990 hat der neue Minister für Verteidigung der DDR, der Pfarrer Rainer Eppelmann, alle NVA-Soldaten von diesem alten Eid entbunden“, antwortete ich. Gerd grinste und unterbrach mich: „Kann ein Pfarrer denn einen Atheisten von seinem Eid entbinden?“ „Und außerdem“, sprach ich weiter, „gibt es keine Sowjetunion mehr!“ „Das meinst du! Dem Namen und der Landkarte nach vielleicht nicht. Aber Putin arbeitet fleißig an ihrer Restitution, wenn auch äußerlich zeitgemäß zaristisch verändert. Der Name macht es nicht, sondern der Inhalt. Die mit russischer Hilfe von der Ukraine abgespaltenen Gebiete Luhansk und Donezk unterzeichneten 2014 in Donezk ein Memorandum über eine Union beider Republiken mit Neurussland und nennen sich offiziell Volksrepubliken. Eine Bezeichnung aus der Ära Stalins, die den meisten Ostblockstaaten verordnet wurde!“ „Das stimmt leider“, gab ich zu, „und wo Volk draufsteht, stecken oft nur Funktionäre drin.“
Strategischer Totalversager
„Das mit den beiden Volksrepubliken, in denen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung eher russischstämmig ist, hat für Putin gut funktioniert. Aber mit seinem Plan für die Ukraine hat er sich als strategischer Totalversager erwiesen. Als er im Februar 2022 die Ukraine angreifen ließ, hatte er sich bestimmt nicht gedacht, dass der Krieg sich noch bis heute hinziehen würde. Er sprach von einer „militärischen Spezial-Operation“, um die arme Ukraine „von Faschisten“ zu befreien und glaubte vermutlich, nach einigen Tagen von einer jubelnden Bevölkerung als Befreier in Kiew die Parade seiner siegreichen Truppen abnehmen zu können. Wenn es geklappt hätte, hätte er vielleicht den Titel „Generalissimo“, wie weiland sein großer Stalin bekommen.“ Ich nickte und sagte: „Mich wundert, dass er immer noch im Amt ist. Dieser eindeutige militärische Misserfolg hat doch massive Folgen: Die Wirtschaft und der internationale Handel kranken daran, dazu die vielen Toten und Verwundeten. Das Ansehen Russlands, das es bis 2014 hatte und auch das Putins, ist schwerst beschädigt. In manchen anderen Ländern hätten sich Politiker schon längst von ihm getrennt oder eine Revolte gegen ihn unternommen.“ „Du vergisst, dass Russland eigentlich eine Diktatur ist. Solange die GPU oder wie der Geheimdienst jetzt auch heißen mag, hinter ihm steht – denn Putin ist ihr Geschöpf – wird sich kaum etwas ändern. Kritiker werden verhaftet oder vergiftet oder stürzen sich angeblich selbst aus dem Fenster. Außerdem ist es fraglich, ob sich durch Putins Sturz etwas bessern würde. Ein arabischer Bekannter sagte mal ein libanesisches Sprichwort: „Den Teufel, den man hat, den kennt man. Den künftigen Teufel kennt man nicht. Er könnte noch schlimmer sein.“ Russland ist zwar nicht der vordere Orient oder Nordafrika. Aber die Erfahrungen von dort sind doch, dass nach dem Sturz der Diktatoren die Länder ins Chaos fielen und unter dauernden Bürgerkriegen verfeindeter Interessengruppen leiden.“
Faschistische Siedler?
„Und der Gaza-Krieg?“, fragte ich. „Der dauert auch schon zwei Jahre und ich habe den Eindruck, dass er wesentlich härter von Israel geführt wird als der Angriff auf die Ukraine durch Russland.“ „Ach,“ antwortete Gerd, „ich bin so traurig darüber. Vor 30 Jahren war ich einmal in Israel, in den großen Städten und auf dem Land. Es waren wundervolle interessante Tage. Als Deutscher fühlte ich mich gut aufgenommen. Ich fühlte mich wie in einem europäischen Land. In Tel Aviv lernte ich einen Verein kennen, der den schönen Namen „Müffelmann zur Treue“ trug. Er wurde von deutschen Juden gegründet, die Nazideutschland verlassen hatten. Von denen lebte kaum noch einer, aber ihre Nachkommen sprachen auch sehr gut Deutsch. In manchen Stadtteilen kam mir Tel Aviv wie eine Bauhaus-Stadt vor. Kein Wunder, denn vieles wurde von Architekten des Bauhauses entworfen, die nach Israel geflohen waren. D. h., Israel gab es damals noch nicht, es gehörte zum britischen Mandatsgebiet Palästina. Als am 14. Mai 1948 die Engländer beschlossen, endgültig abzuziehen, rief am 15. Mai Ben Gurion in Tel Aviv den Staat Israel aus. Am Tag darauf überfielen Ägypten, Syrien, Jordanien und der Irak das neue Israel. Israel siegte und okkupierte große arabische Gebiete jenseits der Grenzen, die die UN gezogen hatte. 750.000 Araber flüchteten oder wurden vertrieben, die sogenannte Nakba. Seitdem führten immer wieder verschiedene arabische Staaten Krieg gegen Israel, die Israel stets und oft in kurzer Zeit siegreich bestand.“ „Doch Frieden gab es nie“, warf ich ein. „Immer wurde Israel von der Hisbollah oder der Hamas mit Raketen beschossen und reagierte darauf mit Gegenangriffen.“ „Es machte aber auch Fehler. So fördert Israel den Bau israelischer Siedlungen im besetzten Westjordanland, wo eigentlich der Staat Palästina entstehen sollte. Diese Siedler sind ultraorthodox und betrachten dieses Gebiet als das im Alten Testament versprochene Kanaan. Sie versuchen, durch aggressive Aktionen die Araber zu vertreiben. Hierzulande würde man solches Tun als rechtsextremistisch oder als faschistisch bezeichnen.“ „Faschistisch?“, empörte ich mich, „diese Bezeichnung für Israelis nach dem Holocaust? Spinnst du?“ Gerd blieb ruhig und dozierte: „Wie für viele Politiker und Journalisten ist für dich nationalsozialistisch und faschistisch das Gleiche. Das stimmt aber nicht. Die Nazis und die Gründer der NSDAP waren alle Judenhasser, das stimmt. Aber die italienischen Faschisten nicht. Zahlreiche Juden unterstützten schon 1919 die faschistische Bewegung finanziell. Unter den Parteigründern waren 1919 fünf Juden und über 200 nahmen 1922 an dem Marsch auf Rom teil. Mussolinis Regierung gehörten mehrere jüdische Politiker an, einer war Vizechef der Polizei. Es gab jüdische Generäle und Admirale. Erst als es 1938 zu einer deutlichen Annäherung zwischen Hitler und Mussolini kam, kam es zu Diskriminierungen. Juden durften keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden. Und „Mischehen“ wurden verboten. Aber Juden wurden weder verfolgt noch in Lager gesperrt. Erst als Mussolini im Juli 1943 gestürzt wurde, und die neue Regierung einen Waffenstillstand mit den Alliierten abschloss, wurde Italien von Deutschland als Feindesland betrachtet und die Wehrmacht, die sowieso schon dort war, übernahm die Herrschaft. Danach begann die Deportation von etwa 8.000 Juden nach Deutschland in die Vernichtungslager. Du siehst also, dass der Faschismus sich durch Eroberungssucht und Kolonisation in Nord- und Westafrika auszeichnete – aber nicht durch Judenhass, wie es bei den Nazis der Fall war.“ „Das habe ich nicht gewusst“, gestand ich. „Da geht’s dir nicht anders als den meisten, die Nazis und Faschisten gleichsetzen. Und daher ist es nicht falsch, das Verhalten der extrem rechten Siedler als faschistisch zu bezeichnen.“
Was haben die Israelis gewusst?
Netanjahu führt seit 2023 die antiliberalste Regierung, die es jemals in Israel gegeben hat. Bis Mitte dieses Jahres waren in ihr auch mehrere Minister der extremen Rechten, deren Ziel die Einverleibung des gesamten Westjordanlandes ist. Allerdings traten diese Minister im Juli zurück, weil die Wehrpflicht auch auf orthodoxe Israelis ausgedehnt wurde, die bislang davon befreit waren. Aber diese Partei unterstützt die Regierung in Bezug auf den Krieg im Parlament weiter. „Ob Netanjahu eventuell auf einen Anlass gewartet hat, um mit der Hamas endgültig aufzuräumen?“, überlegte Gerd. „Die New York Times berichtete, höchste israelische Sicherheitskreise hätten gewusst, dass die Hamas einen großangelegten Terrorangriff auf Israel geplant hat. Warum wurde dem nicht vorgebeugt? Der israelische Geheimdienst weiß doch so viel. Nahezu alles. Er kennt Wohnungen der Hamasführer in arabischen Städten und greift sie dort gezielt an. Und von den Vorbereitungen des 7. Oktobers soll er nichts geahnt haben?“ „Vielleicht brauchte man einen triftigen Grund für diesen massiven Rundumschlag und ahnte nur nicht, dass der Überfall so massiv werden würde mit über 1.000 Toten und 250 Entführten?“ „Doch warum gibt die Hamas die Entführten nicht heraus, um den Kriegsgrund zu entkräften? Eines steht fest: Wenn Israel jetzt siegt, werden alle arabischen Staaten weiter bestehen. Wenn es verliert, gibt es kein Israel mehr! Es kämpft seit 1948 um seine Existenz!“
Paul F. Gaudi
Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Erschienen ist inzwischen Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 289 vom 8. Oktober 2025, Seite 7
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