Vom Markt frisch auf den Tisch

Vom Markt frisch auf den Tisch Thomas Wischnewski Kompakt Zeitung Michael Kranz ist Musiker, gründete Anfang der 1980er Jahre die Band Scheselong und arbeitet seit der Deutschen Einheit vorrangig als freiberuflicher Porträtfotograf. Die Kreativität seiner Professionen spiegelt sich jedoch auch in privater Passion wider. Denn Michael Kranz kocht seit Jahrzehnten mit dem Anspruch eines Profis. Bei der Wahl der Gerichte und Zutaten verlässt er sich allerdings auf das Frischeangebot vom Magdeburger Wochenmarkt. Meistens tafelt er abends seiner Gattin ein Gericht auf, das morgens nicht geplant war. „Es entscheidet das Angebot der Händler auf dem Wochenmarkt“, sagt Kranz.   Am Morgen zwischen den Feiertagen macht sich der 65-Jährige auf den Weg. Fürs Hauptgericht schaut er in die Auslage des Fleischers und entscheidet sich saisonal für Entenbrust. Wenige Meter davon entfernt, trifft er auf Simone Lindecke vom Gartenbau Gruschwitz aus Möser. Mit der Verkäuferin gibt es gleich einen kleinen Plausch über das vergangene Weihnachtsfest und die Familienversorgung mit dem Festtagsessen. Man kennt sich eben vom regelmäßigen Einkaufen. Kartoffeln, Rosenkohl, Salate und Schalotten wandern in seinen Einkaufskorb. Rosmarin, Knoblauch und Orangen erwirbt er am nächsten Stand. Auf dem Weg nach Hause besorgt Micha Kranz noch ein paar Zutaten im Supermarkt.   In seinem Kopf ist inzwischen das Gericht ausgereift. Erfahrung ist dafür Voraussetzung, und stets gehört eine Prise Kreativität und Ausprobieren als Würze dazu. Gebratene Entenbrust in geschwenktem Rosenkohl mit Kartoffelstampf soll am Abend, wenn seine Frau Elke von der Arbeit kommt, auf dem Tisch stehen. Dazu schneidet er auf der Fettseite der Entenbrust Rauten ins Fleisch, salzt und pfeffert die Brustteile und lässt sie 15 Minuten ruhen. In der Zwischenzeit werden Kartoffeln geschält, dann der Rosenkohl geputzt und die Röschen halbiert. Eine beschichtete Pfanne wird mit Butter eingepinselt und der Rosenkohl auf die halbierte Seite in die Pfanne gebracht. Innerhalb von sieben Minuten, bei hoher Temperatur werden die Seiten rostbraun. Salz, Pfeffer und Muskatnuss gesellen sich dazu. Mit trocknem Cherry wird abgelöscht. Anschließend kommt Brühe dazu und das Ganze köchelt unter geringer Hitze etwa 20 Minuten. Dann setzt Koch Kranz die Kartoffeln auf. Inzwischen geht die Entenbrust mit der Fettseite in eine heiße Pfanne und wird acht Minuten lang gebraten. Der anderen Seite geschieht dasselbe. Knoblauch, Rosmarin kommen auf die Brüste, und alles schiebt er anschließend für knapp zehn Minuten in den auf 180 Grad Celsius vorgeheizten Backofen. Anschließend bedeckt er die Entenbrust mit Alufolie, sie gart sechs Minuten nach und ruht dann unter der Folie.   Zwischendurch bereitet Hobbykoch Kranz eine Orangensoße zu (50 Gramm Butter, Schalotten in Ringe schneiden, Orangen auspressen, mit braunem Zucker und Sahne und Rosmarin bei geringer Hitze aufkochen) und fertigt die Vinaigrette für den Salat. Nun können die Entenbrüste aufgeschnitten werden und alle fertigen Bestandteile des Gerichtes werden auf einem Teller arrangiert und der Salat mit Orangen- und Apfelstücken in einem Schälchen angerichtet. Für die Verkostung spendiert der Koch noch einen französischen Rotwein aus Bordeaux. Der Zubereitungsaufwand hat sich gelohnt. Das Fleisch der Brüste ist zart, die Orangensoße schenkt eine zarte Süße, Kartoffelbrei und Rosenkohl sind fein würzige Beilagen. Das Geschmacksergebnis rechtfertigt den Besuch bei den Händlern auf dem Wochenmarkt. Wer hat so viel Zeit, fürs Einkaufen und das Kochen? Das sei ganz einfach, man verschwende einfach keine Zeit mit sinnlosem Medienkonsum, sagt Michael Kranz.   Wer weiß, vielleicht unternehmen Michael Kranz und ich bei Gelegenheit wieder mal einen gemeinsamen Bummel über den Markt und lassen uns vom Händlerangebot inspirieren. Der Hobbykoch macht das schließlich regelmäßig. Und inspirierende Rezeptanregungen kommen dabei außerdem noch heraus. Seite 33, Kompakt Zeitung Nr. 224

KOKUBU und die Klänge der Seele

KOKUBU und die Klänge der Seele Das Ensemble KOKUBU – The Drums of Japan gastiert am 11. Februar 2023 im Alten Theater am Jerichower Platz in Magdeburg. Christian Siemers unterhielt sich vorab mit dem Direktor und musikalischen Leiter Chiaki Toyama.   Chiaki Toyama (Bildmitte mit Flöte) leitet das Ensemble KOKUBU Kompakt Zeitung Herr Toyama, was führt Sie wieder nach Deutschland? Chiaki Toyama: 2019 und 2020 haben wir mit KOKUBU über 50 Gastspiele in Deutschland mit über 40.000 begeisterten Zuschauern spielen dürfen. Ich denke immer noch mit viel Freude an diese fantastischen Auftritte. Ausverkaufte Häuser unter anderem in Köln, Essen, Paderborn, Düsseldorf und auch in Magdeburg und ein wunderbares Publikum bleiben für immer in meiner Erinnerung. Leider hat die Corona-Krise unsere laufende Tournee im März 2020 jäh beendet. Umso mehr fiebern wir – und damit meine ich das gesamte KOKUBU-Ensemble –  der neuen Tournee entgegen. Was ist das Besondere an KOKUBU? Unsere Spieler sind jung. Das Alter liegt zwischen 18 und 28 Jahren. Durch ständiges Proben trainieren wir nicht nur die technische und körperliche Fähigkeit, sondern weiten auch die geistige, spirituelle Sensibilität aus. Auf dieser Basis werden die Stücke komponiert und arrangiert. Durch das Taikospielen lernen wir vieles und möchten diese Erfahrungen in die ganze Welt transportieren. Das ist unsere Philosophie. Was fasziniert Sie an der japanischen Trommelkunst und an der Arbeit mit den Musikern? Wa-Daiko, japanische Trommeln zu spielen, heißt nicht nur, die Technik mit Kraft und Kondition zu beherrschen, sondern auch der Geist muss ausgebildet werden. Auf diese Art kann die Japanische Kunst und Tradition fortgeführt werden. Ohne guten Anstand erklingen keine schönen Töne. Auf diese Dinge achte ich sehr. Was ist die Bedeutung von KOKUBU, was sind die historischen und spirituellen Hintergründe? „KO“ bedeutet Trommeln, „KU“ bedeutet Schreien und die chinesische Tonleiter, „BU“ heißt Tanz. Wir möchten, dass mit dem Publikum zusammen so viel Spaß entsteht, dass alle mit Freude tanzen. Es gibt traditionelle Stücke und eigene Kompositionen. Das Wichtigste ist die Seele und die seelische Vorbereitung der Spieler. Durch gutes Benehmen, eine gesittete Sprache und Respekt, entwickeln wir unseren Geist und die Seele weiter und höher. Das ist meine Überzeugung und so lehre ich auch. Taiko Trommelkunst ist kraftvoll und ganz weich, tiefgreifend und fließend, von komplexer Synchronität und dann wieder sehr einfach. Macht das einen Teil von KOKUBU aus? Es gibt verschiedene Taiko-Trommeln. Die große O-Daiko, Chuu-Daiko, Miya-Daiko, Shime-Daiko, bei der das Fell sehr stark bespannt ist und einen sehr hohen Ton erzeugt. Es gibt unzählige Spielmöglichkeiten. Tiefe Töne als auch hohe Töne – alle Klänge haben eine Seele. Damit erreichen wir die Herzen unserer Hörer. Tiefe Basstöne der großen Taiko, hohe Töne der kleinen Taiko – welche beim Hörer ein Hochgefühl auslöst – jeder Klang wirkt anders. Welche Trommeln kommen bei Ihren Konzerten zum Einsatz? O-Daiko, die große Trommel hat einen Durchmes ser von 1,5 Meter. Chuu-Daiko, gefertigt aus dem japanischen Keyaki-Baum, die Okedo-Daiko, bei der das untere und obere Fell mit einem Seil verbunden und gespannt wird. Das Ganze wird gespielt in der Anordnung ähnlich einem Schlagzeug. Dann noch die Shime-Daiko, welche einen sehr hohen Ton erzeugt. Somit können unterschiedlichste Tonfarben und Lautstärken erzeugt werden. Werden auch andere Instrumente gespielt? Ja, die Shakuhachi- als auch die Shinobue-Querflöte, welche beide aus Bambus gefertigt sind, kommen hauptsächlich zum Einsatz. Zudem wird das Zupfinstrument KOTO von einer Frau gespielt. Chappa, kleine Handcymbals und eine Tsugaru-Shamisen kommen ebenfalls vor. Ihre Tournee führt sie in die Schweiz, nach Belgien, Luxemburg und Deutschland. Welche Erwartungen haben Sie an das hiesige Publikum? Das deutsche Publikum war uns immer sehr sympathisch. Wir durften großartige Reaktionen erleben und waren stets angetan von der Offenheit. Ich bin überzeugt, dass dies so bleibt und freue mich jetzt schon auf die bevorstehende Tournee. Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf Seite 19, Kompakt Zeitung Nr. 224

Gedanken- und Spaziergänge im Park: Rückblicke und Aussichten

Gedanken- & Spaziergänge im Park: Rückblicke und Aussichten Paul F. Gaudi Kompakt Zeitung Das neue Jahr 2023 hat begonnen und die Frage, was es uns bringen wird, bewegt sicher nicht nur Gerd und mich. Er ist recht skeptisch, besonders wenn er an den Krieg in der Ukraine denkt: „Im Spanienkrieg von 1936 bis 1939 probierten die militärisch hochgerüsteten Staaten Italien, Deutschland und die Sowjetunion ihre modernen Waffensysteme dort aus. Kurze Zeit später brach der II. Weltkrieg aus. Ich weiß, du wirst sagen, dass man das doch nicht gleichsetzen kann. Vielleicht hast du recht, aber mir macht es Angst. Dazu kommt noch die sich verschärfende wirtschaftliche Situation und die Inflation. Auch das gab es in Deutschland schon einmal in verschärfter Form 1923, vor genau 100 Jahren. Und auch damals war die letzte Welle einer weltweiten Seuche, die Spanische Grippe, gerade vorbei! Gut, eine gewisse Teuerung begann schon Ende 1922. Aber als Deutschland mit seinen Reparationszahlungen gegenüber Frankreich im Rückstand war, besetzten im Januar 1923 60.000 französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet, besetzten die Betriebe und Verwaltungen. 150.000 Personen wurden in das unbesetzte Deutschland ausgewiesen. Die deutsche Regierung unter dem damaligen Reichskanzler Cuno (1922-1923) rief die Bevölkerung zu Streik und passivem Widerstand gegen die Besatzer auf. Der Widerstand blieb aber nicht nur passiv. Vor allem Kommunisten und Nationalsozialisten führten Sabotage- und Sprengstoffanschläge gegen die Besatzer durch, zum Teil gemeinsam! Nebenbei bemerkt: Von einer „Brandmauer gegen rechts“ war anscheinend nicht die Rede. Offenbar störte es damals eine Partei nicht, wenn der politische Gegner gleiche Auffassungen vertrat, im Gegensatz zu heute, wo man manchmal lieber den eigenen Standpunkt aufgibt, nur weil eine gewisse Partei die gleiche Meinung vertritt. Da die Reichsregierung für die Löhne der Streikenden aufkam, aber keinerlei Einnahmen aus dem Ruhrgebiet kamen, stieg die Inflation in für uns heute astronomische Höhen. Kostete ein Dollar 1914 4,20 Mark, so kostete er im November 1923 4,2 Billionen! Besser noch ein Beispiel aus dem Alltag: In Berlin kostete ein Ei im Juni 1923 schon 800 Mark, am 1. Dezember unvorstellbare 320 Milliarden Mark! Die Bevölkerung verarmte, ihre Ersparnisse waren nichts mehr wert! Die darauf folgende deutsche Geschichte hat auch in dieser Zeit ihre Wurzeln. In seinem Buch „Die Welt von Gestern“ schrieb Stefan Zweig: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“ Jetzt verstehst Du vielleicht, warum ich nicht so optimistisch in die Zukunft blicken kann wie unser Kanzler oder der Bundespräsident in ihren Feiertagsreden. Neuerdings bin ich manchmal froh, dass ich nicht unsere Kinder bin!“ Früher hätte ich vielleicht über Gerds letzten Satz gelacht, aber heute? Sicher, so schlimm wie vor 100 Jahren ist unsere Zeit nicht. Aber positive Zeichen zu einer Trendwende zum Besseren sind auch nicht zu verzeichnen. Im Gegenteil: Der Krieg wird härter und intensiver geführt, die Preise steigen und immer häufiger hört man von Schließungen von Lokalen, Geschäften und Betrieben. Heute gilt es schon als eine Erfolgsmeldung im Rundfunk oder der Presse, wenn verkündet wird, dass im letzten Monat die Inflation nicht so sehr gestiegen ist wie im Monat vorher. Aber gestiegen ist sie doch! Für Otto oder Ottilie Normalverbraucher spielt es keine Rolle, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass die Preise für Autos sich kaum erhöht haben. Die Preise, die sie betreffen, sind die Waren des täglichen Bedarfs, die Strom- und Heizkosten und nicht die großen Investitionen. Der Verbraucherpreisindex für Deutschland ist von Oktober 2021 bis zum Oktober 2022 um 10,4 Prozent gestiegen. Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im selben Zeitraum aber um 20,3 Prozent! Ein Einzelbeispiel: Der Verbraucherpreisindex für ein Stück Butter betrug noch im Juli dieses Jahres 1,69 €, im November aber 2,24 €. Das ist eine Steigerung um etwa 32 Prozent. Das alles ist auch der Energiepreispolitik der Ampelkoalition zu verdanken. Denn erhöhte Steuern auf Energie und CO2-Ausstoß wirken sich natürlich auf die Fabrikation und auf den Transport der Nahrungsmittel aus und werden selbstverständlich an den Verbraucher weitergegeben. So ist es mit allen anderen Waren und Dienstleistungen. Nicht für alle ist die Inflation von Nachteil. Die Abgeordneten und Angestellten der EU, einschließlich Frau von der Leyen, erhalten nun zum zweiten Mal in sechs Monaten einen kräftigen Inflationsausgleich von insgesamt knapp 7 Prozent. Automatisch, ohne Streik oder Tarifverhandlungen. Aber manchen reicht das noch nicht: In Brüssel wurde durch die belgische Polizei eine große Bestechungsaffäre aufgedeckt und fünf Personen verhaftet, darunter die griechische Vizepräsidentin Eva Kaili. Dabei wurden 1,5 Millionen Bargeld sichergestellt. Gerd glaubt, dass das nur die vergoldete Spitze des Eisberges ist, denn laut Schätzungen sind mindestens 1.500 Lobbyisten in Brüssel im Auftrag von Konzernen, Unternehmen, Verbänden, Beratungsfirmen und einigen Staaten mit einem Budget von rund 100 Millionen Euro unterwegs, um die Entscheidungen des Brüsseler Parlamentes und der Kommissionen zu beeinflussen. Die Organisation Lobby Control schreibt sogar von 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro! Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo dazwischen. Zum Teil sind die Lobbyisten auch ehemalige EU-Beamte, die natürlich dort bestens vernetzt sind. „Du glaubst doch nicht etwa, dass die Lobbyisten nur mal eine Konzertkarte oder ein Abendessen spendieren“, meinte Gerd. Wir waren uns einig, dass das ein großer Skandal ist. Besonders auch deshalb, wenn man bedenkt, wie rigoros die EU Ungarn behandelt und dem Land die ihm zustehenden Fördermittel und Coronahilfen in Milliardenhöhe wegen angeblicher Korruption vorenthält. Eigentümlicherweise behandelt die EU Bulgarien nicht ebenso, das in schöner Regelmäßigkeit wegen Korruptionsfällen in der Presse erwähnt wird. Vielleicht geht es im Falle Ungarn gar nicht so sehr um Korruption, sondern darum, dass das ungarische Volk entgegen den Wünschen der EU-Politiker seine recht konservative Regierung wiedergewählt hat? Unsere Regierung versucht durch verschiedene Aktionen die Folgen der Inflation für die Menschen zu mildern. Da gibt es einen Zuschuss zum Wohngeld, zum Kindergeld und einen Heizkostenzuschuss und anderes. Das ist willkommen, bedeutet aber auch, dass der Staat mehr Schulden macht, die z. T. schönfärberisch als „Sondervermögen“ bezeichnet oder auch infantil „Doppelwums“ genannt werden. Nichtsdestotrotz sind es Schulden, die den Geldwert inflationär mindern und irgendwann dem Steuerzahler auf die

Das Fußballdebakel 2022 illustriert den deutschen Absturz

Das Fußballdebakel 2022 illustriert den deutschen Absturz Prof. Reinhard Szibor Das Jahr 2022 stand ganz im Zeichen des Fußballs. Viele meinen, dass diesem Sport eine viel zu große Bedeutung beigemessen wird. Ich stimme dem eigentlich zu, wobei ich einräume, dass es auch mir nicht egal ist, ob der FCM in der zweiten oder dritten Liga spielt. Eine siegreiche Fußballmannschaft trägt positiv zum Stadtimage bei und sie erreicht mit ihren Erfolgen auch, dass sich Menschen mit ihrer Stadt identifizieren. Ähnlich verhält es sich auch mit der Nationalmannschaft. Deutschland, die ehemals große Fußballnation, ist abgestürzt. Wären wir unter den vier besten Mannschaften, würden viele denken, mit unserem Land wäre alles in Ordnung. Aber davon kann nicht die Rede sein und es wird Zeit, dass sich die Deutschen nicht nur über die vertanen Chancen der Fußball-WM aufregen, sondern über vieles mehr. Kompakt Zeitung Ausgabe 224 Ist der Fußball eine Ausnahme? Noch ehe unsere Nationalmannschaft den ersten Ballkontakt hatte, machte sie mit politischen Demonstrationen Schlagzeilen. Diejenigen Spieler und Sportfunktionäre, die die arabische Welt über Werte belehren wollten, haben sich durchgesetzt. Aber Verlierer überzeugen niemanden und ziehen nur Häme auf sich. Ähnlich ist es auf vielen Gebieten. Deutschland, ein Land mit einer ehemals sicheren und preiswerten Energieversorgung, wollte der Welt zeigen, dass man sich zugleich von der Atomkraft und auch von dem Verbrennen fossiler Energieträger verabschieden kann. Im Ergebnis haben wir eine dramatische Verknappung des Angebots und exorbitante Preise, die für viele Betriebe existenzbedrohend sind. Konzerne verlegen ihre Produktion und somit lukrative Arbeitsplätze ins Ausland. Und was den Ausstoß an CO2 betrifft, befindet sich das vermeintlich vorbildliche Deutschland mit an der Spitze der europäischen CO2-Emittenten. Die Emissionen werden jeden Tag neu berechnet und im Internet veröffentlicht. Am 26. November 2022 emittierten europäische Länder wie folgt (Angaben in Gramm CO2 pro eingespeiste KWh): Polen 1019; Deutschland 701, Tschechien 549, Italien 439, Niederlande 343, Ungarn 283, Spanien 198, Österreich 173, Frankreich 112, Schweiz 69. Von 12.000 km Stromleitungen, die gebraucht werden, um den Windstrom nach Süddeutschland zu leiten, sind gerade mal 2.000 gebaut. Auch der Zubau von Solaranlagen auf Dächern stockt, weil es an Handwerkern fehlt. Es wird noch Jahre dauern, bis die Ziele erreicht sind. Unsere Spitzenreiterpositionen Wenn man einmal die Anzahl der Parlamentarier sieht, die sich verschiedene Länder leisten, steht Deutschland ganz oben. China hat zwar mit der Zahl von 2.980 die meisten Abgeordneten, aber gemessen an der Zahl der Bürger kommt ein Abgeordneter auf 470.000 Chinesen. Deutschland hat 84 Millionen Staatsbürger und 736 Abgeordnete, also einen Parlamentarier auf 114.000 Bürger. US-Kongressabgeordnete repräsentieren im Schnitt 760.000 Bürger. Wirft man an Sitzungstagen einen Blick in den Plenarsaal des Bundestages, sieht man oft gähnende Leere. Wahrscheinlich ist der Bundestag weltweit das Parlament, das während der Plenarsitzungen die meisten leeren Plätze aufweist. Viele der Abgeordneten, die physisch anwesend sind, beschäftigen sich während der Debatte mit ihrem Handy oder schwatzen mit dem Nachbarn. Da schwindet der Respekt vor der Legislative. Der Verwaltungsapparat wird immer mehr aufgebläht. Während die Bundesregierung verkündet, dass die Digitalisierung jetzt konsequent vorangetrieben wird, mit der Verwaltungsvorgänge vereinfacht und gestrafft werden können, lässt sie jetzt einen Erweiterungsbau für das Bundeskanzleramt errichten, der einer exorbitanten Zahl von Beamtensesseln Platz bieten und wohl zum Schluss eine Milliarde Euro kosten wird. Auch hier erreichen wir einen Spitzenwert in der Welt und es erinnert an das Regierungsgebäude des größenwahnsinnigen rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu in Bukarest. Welche Regierungsarbeit? Wahrscheinlich ist der desolate Zustand der Bundeswehr nicht das, was die Bürger am meisten bedrückt, denn sie merken in ihrem täglichen Leben davon wenig. Aber sie machen sich ihre Gedanken darüber, wofür ihre Steuern verpulvert werden. Wie kann es sein, dass trotz Milliardenkosten die eingekauften Gewehre nicht zielgenau schießen, dass die meisten Hubschrauber nicht einsatzbereit sind und dass in einer Übung mit 18 Puma-Panzern nicht ein Einziger funktionsfähig war? Ist die deutsche Ingenieurskunst am Ende? Plausibel klingt die Erklärung des früheren Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels (SPD). Danach hätte die Politik die Anforderungen so hochgeschraubt, dass nicht nur die Kosten von den geplanten 3 Milliarden auf fast 6 Milliarden Euro hochgeschnellt sind, sondern das Gerät enorm störanfällig geworden ist. Eine Forderung der Politik war, dass der Panzer auch als Arbeitsplatz für Schwangere geeignet sein muss. Der Feinstaubgehalt und die Schussgasbelastung im Panzer mussten schwangerengerecht gesenkt werden. Kommt von den hunderten Beamten im Verteidigungsministerium niemand auf die Idee, dass Panzer gar nicht mit Schwangeren besetzt werden müssen? In der Wirtschaft und in der Medizin ist es üblich, wenn nötig, Schwangere auf Schonplätze zu versetzen. Aber, wie schon erwähnt, außer dass der Normalbürger seine Steuergelder nicht für Nonsensvorhaben verpulvert sehen möchte, interessiert ihn die Bundeswehr kaum. Viel größere Sorgen bereitet, dass die Infrastruktur des Landes marode ist. Das betrifft die Stromnetze, die Kanalisation, Brücken, Straßen, das Schienennetz, Flughäfen etc. Bundesweit sind 4.000 Brücken in einem kritischen Zustand. Jeder 2. Zug der Bundesbahn hat Verspätung. Das System eines Verkehrsnetzes, in dem Züge und Anschlussverbindungen aufeinander abgestimmt sind, funktioniert kaum noch und ländliche Gebiete werden verkehrstechnisch immer mehr abgehängt. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker Mancher hat noch ein paar Medikamente liegen, die er nicht mehr benötigt. Andere sind erkrankt und brauchen Medizin, die nicht lieferbar ist. Da könnte doch ein Flohmarkt helfen. Tausche Ibuprofen gegen Penicillin! Diese Idee kam nicht von irgendeinem Hilfsarbeiter aus einer medizinfernen Branche, sondern vom Präsidenten der Bundesärztekammer. Fast alle Fachleute sehen allerdings gute Gründe dafür, dass die Arzneimittelversorgung über Apotheken sicher zu stellen sei, und warnen vor Aufweichen der Regeln. Hintergrund des Versorgungsengpasses ist, dass die Politik die Pharmabranche mit marktfeindlichen Regelungen kaputt gespielt hat. Deutschland hatte früher den Ruf, die Apotheke der Welt zu sein. Aber jetzt beziehen wir die meisten Medikamente aus dem Ausland, aber eben nicht bedarfsgerecht. Egal ob Hustensaft für Kinder, Antibiotika oder Zytostatika, alles ist knapp. Während es bei den schon erwähnten Panzern oder beim Bau von Regierungsgebäuden gar nicht genug kosten kann, hat man für das Gesundheitswesen das Sparen ausgerufen. Die heutigen Kinder werden einmal die überbordenden Staatsschulden bezahlen müssen, aber an ihnen wird gespart. Kinderkrankenhäuser werden auf ein nicht ausreichendes Maß reduziert und mit dem

Je jreiser, je weiser

Machdeburjer Kodderschnauze: Je jreiser, je weiser Kompakt Zeitung Guten Tach Kinnings, kaum war’s neue Joahr losjejangen, war ich schon janz beteppert. Jloobste man: In Machdeburch kannste mit deine Karre so ofte unjestraft umme Ecke kacheln wie in keener andern deutschen Jroßstadt. Denn schon Lutze, was unser verjangner Oberbürjermeester jewesen sein tut, hatte immer eenen Ijel inner Tasche, wenns um das Ankoofen von Blitzern jing. Desderwejen jibs in janz Machdeburch keenen einzijen Starenkasten und nur mickrije zwee mobile Radar-Blitzerchen. Statistisch betrachtet sind das die wenigsten in janz Deutschland. Da können die janzen Blubberköppe nörjeln so ville wie sie wollen: Die Wahrscheinlichkeit, zwischen Rothensee und Westerhüsen jeblitzt zu werden, ist unjefähr so jroß wie dass Koarstadt abjerissen und die Ulrichskirche uffjebaut wird. Uffn Punkt: 0,7 Radarkontrollen pro Tach uff 1000 Hektar Straßenfläche. Das issn Witz – also im Ver-jleich mit Halle, wo die Stadt pro Tach zu 5,1 Kontrollen ausricken lässt. Also: Falls du zufällich letztens mit zu ville Speed uff die Pleu vom Weihnachtsblitzer inner Reuterallee jekappt worden bist: Werde nicht jleich fuchtich, denn daran biste selber schuld. Mein machdeburjer Nachbar würde dich anne Rübe knallen, dass sie dich voll karacho anne Klappaje jebufft ham. Was das heißen tut? Dass Du was am Koppe hast: Nach so ville Joahren solltest ooch du Dös-kopp jeschnallt ham, dass während dem Weihnachtsmarcht Tempo 30 vors Allee-Center jilt. 2021 hat statistisch jesehn jeder Machdeburjer nichemal 8 Euro wejen rasantes Rumkarriolen injezahlt. In Trümper-Town, was ja inzwischen zum Borris-Belvedere uffjestiejen ist, musste keen Bammel vor  Knöllchen-Abzocke ham. Bei uns kannste dich die Penunse uffspoaren. Zum Beispiel für die Rente. Denn die wird für drei von vieren so mickrich wie in keen andres Bundesland. Nach 40 Joahren Bufferei kannste Dir im Hasiland nicht mehr als 1200 Netto vonne Rentenkasse abholen. Da muss mancher seine Fressalien nicht im Aldi sondern bei die Tafel insacken. Und zu Weihnachten kommt bei immer mehr Leutchens falscher Hase statt echte Ente uffn Tisch. Wer desderwejen keenen Flunsch ziehen will, der muss woll als Fusseltriene länger arbeeten jehn. Ejal, wo’s bei dich schon quitscht und rattert: So lange dich nicht kwackich ist und du noch bisschen krauchen kannst, musste in Machdeburch ran an die Buletten. Bestes Beispiel sind unsere Verkehrsbetriebe. Wenn nüscht mehr jeht, müssen ooch bei die die Ollen die Lare retten. Wie nach die Weichenhavarie zwischen die Feiertare am Uniplatz. Hastes jesehen: 90 Joahre olle Bahnen juckelten im Nordabschnitt rumher, um Ost mit West mitnander zu verbinden. Man jut, dass Frau Münster-Rendell, die man inzwischen nur noch die Duselmeiersche nennt, die historischen Züje inne 90er nicht nach Rumänien verschlitzt hat. Seit die Unverwüstlichen ins Museumsdepot jescho-ben wurden, wissen wir eenmal mehr: Je oller, je doller oder ooch je greiser, je weiser. Seite 10, Kompakt Zeitung Nr. 224

Neues Jahr, neue Würste?

Scharfe Sprüche: Neues Jahr, neue Würste? Olaf vom Hassel Kompakt Zeitung Ausgabe 224 Kolumnen Jedem schmeckt das Leben anders. Mir schmeckt es immer gut. Vielleicht liegt das daran, dass ich mich für den Würstchenverkauf entschieden habe. Bekanntlich hat ja alles ein Ende, nur die Wurst hat keines. Und so kann ich mich fortlaufend am eigenen Humor erfreuen. Ich weiß auch gar nicht, was die Leute mit dem Ende eines Jahres alles hinter sich lassen wollen. Die eigene Existenz ist ein fortlaufendes Sein. Welchen Schwafelkäse will euch Olaf mit solchen Sätzen auftischen? Ganz einfach: Ein neues Jahr bringt nicht wirklich etwas Neues. Es ändert sich oft nur eine Zahl, ansonsten geschieht derselbe Wahnsinn, der schon im vergangenen Jahr kursiert ist. Aber es gibt tatsächlich ein paar interessante neue Gedanken. So schlug gleich zum Auftakt des Jahres der neue Vorsitzende der Verbraucherministerkonferenz Peter Kauk aus Baden-Württemberg vor, das Mindesthaltbarkeitsdatum, auch MHD genannt, zu streichen. Seit vielen Jahren ist mir das MHD ein Dorn im Auge. Da regen wir uns über weggeschmissene Lebensmittelberge auf und angeekelte Mäkelzicken, die sich schon schütteln, wenn ein Lebensmittel auch nur einen Tag über dem angegebenen Datum ist. Aber so ist das mit den Grenzwerten. Ist erstmal einer eingeführt, glaubt eine Mehrheit, sie müsse bald ins Gras beißen, wenn da etwas knapp überschritten ist. Mensch Meyer, was ist bloß mit den Leuten los. So viele Hypochonder, Sensibelchen, Mimöschen und zartbesaitete Seelen wie heute gab es früher wirklich nicht. Keine Bange, ich fange hier keine Kritik an den woken Persönchen an. Doch schaut bitte mal auf die vielen Leutchen, die heute schon das 9. Lebensjahrzehnt erreicht haben. Die hatten weder Mindesthaltbarkeitsaltare noch Hygienewahnsinn und Berührungskomplexe mit anderen. Im Gegenteil, diese Menschen haben harte Zeiten durchlebt, mit Hunger und Entbehrung. Ich glaube, die Vermeidungstendenzen aus Angst, dass daraus schreckliche Konsequenzen drohen könnten, bewirken diese hypercholerischen Reaktionen gegen Verunreinigungen. Ich stehe auch gern fürs Tierwohl ein und koste deshalb trotzdem ab und an vom Cholesterin und von der Butter. Also: Da ändert sich gar nichts. Und wenn die Schreiber-Kollegen hier über den Heimatgeschmack schwadronieren, bin ich einer, der den hochhält. Die Currysoßen werden bei mir noch handgerührt und jedes Mal auf ihren Geschmack hin geprüft. Nichts, aber auch gar nichts verlässt meinen Imbiss, für das ich nicht die Hand in die Fritten legen würde. Und ich kenne eine ganze Menge Koch-Kollegen, die mit eigenem Herzblut und Leidenschaft auftafeln, was vor der Magdeburger Haustüre wächst und gedeiht. Während sich die Würste, die in den Regierungen sitzen, ab und an erneuern, geht es beim Essen und beim Geschmack um Kontinuität. Und deshalb schmeckt’s bei mir 2023 genauso gut wie 2022. Macht mal einen Heimat-Geschmacksbesuch bei mir! Bis gleich, Euer Olaf vom Hassel. Seite 32, Kompakt Zeitung Nr. 224

Meter 42: Wer hat an der Uhr gedreht?

118 Meter Domgeschichte: Meter 42: Wer hat an der Uhr gedreht? Michael Ronshausen Die große Uhr im Giebel der Westfassade stammt in ihrer Grundform aus der Zeit um 1833. Das Zifferblatt hat einen Durchmesser von drei Metern. Kompakt Zeitung Sucht man nach einer ernst zu nehmenden Antwort auf diese Frage in der Überschrift, muss diese lauten: Viele! Zahlreiche, bis heute namentlich bekannte Uhrmacher haben sich im Laufe der Jahrhunderte mit den Domuhren beschäftigt. Bereits Thietmar von Merseburg erwähnt 997 Gerbert von Aurillac, den späteren Papst Silvester II., der zu Besuch bei Kaiser Otto III. in Magdeburg weilte und hier eine mit Wasserdruck funktionierende Röhrenuhr installierte. Nach allgemeinem Verständnis spielte die öffentliche Verkündung der Uhrzeit am Dom anfangs keine große Rolle. Noch bis in die nachnapoleonische Zeit ist der heute mit einem riesigen römischen Zifferblatt geschmückte Uhrengiebel auf den historischen Darstellungen der Westfassade leer, genauso wie früher die beiden großen Fenster im vierten Geschoss des Nord- und Südturms. Bereits Jahrhunderte zuvor gab es Bemühungen, den Dom mit einer Zeitmessung auszustatten – und diese auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So ist es kaum erstaunlich, dass über all die Arbeiten rund um die Domuhr(en) penibel Buch geführt wurde, immerhin waren dabei nach damaligem Verständnis echte Spezialisten am Werk. Diese kosteten nicht nur reichlich Geld, sondern sie forderten von der Domverwaltung auch erstaunenswerte Privilegien. Überliefert ist beispielsweise ein Reparaturvertrag für einen Uhrmachermeister und seinen Gehilfen, der den beiden nicht nur die tägliche und kostenfreie Lieferung mehrerer Liter ordentlichen Bieres zugestand, sondern den Domküstern auch die Aufgabe zuschob, das Bier bis zum Ort des Verbrauchs auf den Turm zu tragen. Tatsächlich wurde sogar vermerkt, dass die Handwerker das Bier ausgetrunken haben. So weit hochschleppen mussten es die Bierträger allerdings in den früheren Jahrhunderten noch nicht. Damals befanden sich sowohl das mechanische Uhrwerk wie auch die beiden Zifferblätter am Nordturm in ungefähr 38 Metern Höhe. Eine nach Süden zeigende Uhr gab es noch nicht, unmittelbar „hinter“ dem Dom endete die Stadt. Erst 1833 und noch vor der südlichen Stadterweiterung in Richtung Augustastraße (heute Hegelstraße), sollten die gehobeneren Bewohner dieses Straßenzuges mit einer Domuhr bedacht werden, die in ihren ersten 55 Jahren nur die Stunden, aber keine Minuten anzeigte. Betrieben wurde die Anlage damals mechanisch, sprich manuell – die mehrere Dutzend Kilogramm schweren Gewichte mussten regelmäßig von Hand nach oben gekurbelt werden. Noch bis in die Nachwendezeit hinein hingen diese Gewichte im Mittelbau zwischen den Türmen, wurden inzwischen allerdings elektrisch nach oben befördert. Frei im Zimmermannsboden hängen sie heute nicht mehr, über mehrere Umlenkungen verrichten sie aber weiterhin ihre schwergewichtige Arbeit. Und bis dato ist auch das 1888 errichtete, teilweise sogar mit älteren Bauteilen betriebene Uhrwerk der Firma Weule aus Bockenem am Harz beteiligt. Nur der in den 1990er Jahren eingebaute Fahrstuhlschacht im Südturm kam der Mechanik in die Quere, und so ist ausgerechnet die anfangs vernachlässigte Uhr im Südturm die modernste der drei großen Zeitgeber: Sie läuft elektrisch-autark und wird digital gesteuert. Die „Hegelstraßenuhr“, die in ihrer Funktionalität anfangs eingeschränkt war, befindet sich heute technisch auf dem neuesten Stand der Zeit. Erwähnt werden muss aber auch noch die zweite – und wenn das Sonnenlicht mitspielt – höchst zuverlässige Art der Zeitmessung im, beziehungsweise am Dom. Sowohl am Südquerhaus (mit Stab, ansonsten nur aufgemalt) und am oberen Kranz der Tonsurkapelle in eine Sandsteintafel eingemeißelt, befinden sich zwei Sonnenuhren. Beide sind vom Domgarten aus gut zu sehen. Beachtet man die Sommerzeitverschiebung, geben sie ohne weiteres menschliches Zutun exakt die Zeit an. Seite 23, Kompakt Zeitung Nr. 224

Die Inflation der Erregung

Standpunkt Breiter Weg: Die Inflation der Erregung Thomas Wischnewski Kompakt Zeitung Aus der aufgeregten Gesellschaft gibt es offenbar kein Entkommen mehr. Pyro-Angriffe auf Rettungskräfte und Polizei – da darf kein Auge zugedrückt werden. Was zu den Silvester-Ereignissen in Berlin jedoch folgt, ist ein endloses Gerede. Die Debatte über Täter, unter denen viele mit Migrationshintergrund waren, darf Migranten insgesamt nicht verunglimpfen. Natürlich nicht. Täter sind Täter. Andere, die nicht beteiligt waren, haben damit nichts zu tun. Die allgemeine und berechtigte Empörung ist Ausdruck der Debattenunkultur in diesem Land. Es existiert kaum noch eine Differenzierung zwischen tatsächlicher Verursachung und Interpretation. Die Hoheit aller Deutung findet im abstrakten, vergeistigten Raum statt. Abstraktion und Theorie verdrängen die Tatsachen. Das ist in Auseinandersetzungen über Geschlechtergerechtigkeit so, genauso wie in zurückliegenden Corona-Diskussionen. Stets schwebt nach kurzer Zeit ein Begriff über Akteuren. Ob patriarchalische, toxische Männer, die Unterdrückung von Frauen verteidigen wollten, ob integrationsunwillige Migranten, unbelehrbare identitätspolitische Vertreter oder allerorten existente, gefährlich rechte Horden, deren Programm die Abschaffung der Demokratie sein soll. Es sind die Konstrukte einer Unterstellungskultur, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Die Generationen der Alten haben mit ihrem Leben die Welt versaut und die Menschheit mittels klimaschädlicher Emissionen an den Abgrund katapultiert. Corona-Maßnahme-Kritiker konnten in den vergangenen Jahren bei manchen als „Mörder“ an Infizierten gelten. Autofahrer sind per se Fortschrittsbremsen am deutschen Zukunftswagen. Es sind die Empörten, die das gesellschaftliche Klima bestimmen, und es gibt sie in jedem Themenbereich. Weil die Aufschreie wie Dauerregen über dem Land niedergehen, wird es keine Ruhe geben. Wie reagiert man in der Politik? Dort wird mit Geld bekleistert, was zu beseitigen oder zu fördern sei. In der Regel fließen die Euros dann in Sozialforschungsinstitute, die nur noch mehr Unheil ermitteln, weswegen es dann weiteres Geld rieselt. Fakt ist, die Aufregung über einzelne Themen bewirkt nichts, außer, dass alles nur noch gewichtiger und schlimmer erscheint als die Wirklichkeit. Integration ist kein theoretischer Prozess, der per Verordnungen und mit Sprachkursen gesteuert werden kann. Entgrenzung in den Debatten keimt aus dem Nebel theoretisierter Politikerklärung. Alle erschlagen sich mit Studien und Statistiken. Jeder wird da für seine Argumentation fündig. Gelöst ist am Ende nichts. Menschen müssen sich angemessen miteinander und zueinander verhalten können, egal, was andere theoretisieren. In Berlin haben Kravallisten zu Silvester gefährliche Schäden verursacht. Solche Taten werden nicht durch Debatten verhindert. Die inflationäre Erregung wird weiter zerstören, was einmal uns lieb und teuer war. Seite 2, Kompakt Zeitung Nr. 224

Machdeburjer Spezialitäten erstmals auf der „Grünen Woche“

Machdeburjer Spezialitäten erstmals auf der „Grünen Woche“ Seit Ende 2021 gibt es nach Original-Rezept wieder „Machdeburjer Mostrich“. Kompakt Zeitung Ausgabe 224 Erstmals präsentieren sich „Machdeburjer Spezialiäten“ aus dem Hause „Jahns&Jahns“ auf der Grünen Woche. Der Mix aus regionalen Köstlichkeiten, historisch verbriefter Gourmetgeschichte und mundartlichem Augenzwinkern ist das Erfolgsrezept des Unternehmens. Durch Zufall war dem Journalisten Jens-Uwe Jahns vor zwei Jahren die dezidiert aufgearbeitete Geschichte der Sudenburger „Mostrich-, Weinessig- und Essigsprit-Fabrik Voigt & Co GmbH“ (1882-1972) in die Hände gefallen. In Corona-Lockdown-Zeiten bastelte er an der Wiederbelebung des „Machdeburjer Mostrich“ nach überlieferter Expertise. Der pikant/würzige Brotaufstrich wurde bereits nach drei Monaten zum lokalen Verkaufsschlager – in nicht einmal sieben Monaten wurden über 50.000 Gläser Mostrich verkauft. Inzwischen gibt es drei weitere Sorten: „Scharf wie Hulle“, der Walnuss-Mostrich „mit ville jeNUSS“ und ein „Machdeburjer Biermostrich“ in Erinnerung an 140 Jahre gemeinsamer Firmenhistorie von Sudenburger Brauhaus und Sudenburger  Mostrichfabrik. Im vergangenen Jahr wurde das Portfolio zur Freude der wachsenden Feinschmecker-Fanschar mit weiteren Produkten „von umme Ecke“ erweitert. Nunmehr gibt es „Machdeburjer Bratwurschttunke“, Machdeburjer Senföl“ (in Anlehnung an die lange Speiseöltradition der Elbestadt), „Glümmel“-Holunder-Glühwein (wurde 2017 und 2019 als bestes Heißgetränk auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gewählt) sowie eine „Pulle Schluck“-Mini-Geschenkebox mit Rum („jut bei Muffenjang“), Gin („jut bei Harzepuppern“) und Kräuter („jut bei Wanstrammeln“). Eingepackt und verkauft werden die Produkte in einer knallroten Papiertüte mit dem Aufdruck „Das kommt mich inne Tüte“. Auf der Grünen Woche in Berlin (20. bis 29.1.2023) findet man die „Machdeburjer Spezialitäten“ am Grilltrabi in der Sachsen-Anhalt-Halle.Alle Produkte werden rund um den Machdeburjer Dom vorwiegend aus Rohstoffen der Region hergestellt. Auf der Grünen Woche in Berlin können „Mostrich“ und „Bratwurschttunke“ aus der Stadt Ottos des I. übrigens auf einem original „Lemsdorfer Lümmel“ probiert werden. Die Rostbratwurst wird bis heute nach einem Rezept von 1924 hergestellt und ist die meistverkaufte Rostbratwurst in der Landeshauptstadt. Weitere Informationen zu den „Machdeburjer Produkten“ unter www.machdeburjer.shop Seite 26, Kompakt Zeitung Nr. 224

Silvesterknaller

Stadtmensch: Silvesterknaller Lars Johansen Kompakt Zeitung Es ist seltsam und zugleich normal, dass wir uns Termine setzen müssen, an denen wir etwas erledigen. Für Geschenke gibt es Weihnachten und Geburtstage, für Trauer Beerdigungen und der Tag, an dem wir ein wenig innehalten und auf die vergangenen 365 Tage zurückblicken, ist Silvester. Wahlweise auch Neujahr oder die Tage drumherum, aber dieser Zeitraum, der auch gerne „Zwischen den Jahren“ genannt wird, lässt viele von uns nach der weihnachtlichen Hektik durchatmen und innerlich aufräumen. Eigentlich ein willkürliches Datum, welches wir uns irgendwann einmal gesetzt haben, um Zeit messen zu können.   So wie es das Urmeter gibt, so gibt es irgendwo auch ein Urjahr, seit 1988 gibt es ISO 8601, die Norm, welche unsere Datumsangaben definiert. Und den gregorianischen Kalender, der ein Jahr auf eine Länge von 365,2425 Tagen definiert, haben wir seit etwa 1582. So viel Zeit braucht die Erde, um sich einmal um die Sonne zu drehen. Ein galaktisches Jahr dagegen dauert zwischen 220 und 240 Millionen Jahre und bezeichnet den Zeitraum, den die Sonne braucht, um das galaktische Zentrum zu umkreisen. Es bewegt sich also viel und Silvester könnte auch erst in ein paar hundert Millionen Jahren stattfinden. Wir könnten auch auf Ostern zurückblicken, aber da suchen wir hier lieber Eier. Also schauen wir Silvester auf das alte Jahr und verabschieden es mit einem großen Feuerwerk.   Hier beginnen sich die Geister zu scheiden und auch ich bin ein wenig zerrissen. Während die einen das Knallen als Freiheit und befreiend zugleich empfinden, stellt es für die anderen einen überholten Brauch dar, der viel zu laut, teuer, umweltschädlich und daher unnötig ist. Vor Corona – also 2019 – wurden rund 122 Millionen Euro für die Böllereien ausgegeben. In den Jahren zuvor waren es sogar über 130 Millionen Euro. Ganz ehrlich, mich nervt die Knallerei. Aber das war nicht immer so. Als Kind habe ich es geliebt. Ein Onkel war ein wenig pyromanisch und zuweilen auch ein wenig tollkühn, so dass es noch mehr Spaß machte. Es war laut und bunt und sinnfrei beeindruckend. Einmal steckte dieser Onkel eine Rakete in ein auf dünner Eisdecke in einem kleinen Teich selbst geschlagenes Loch hinein, zündete und dann knallte es nicht nur, sondern das Eis bekam Risse, die auf uns zuliefen. Wir liefen auch und es ist, gerade so, nichts passiert. Unsinnig und gefährlich, aber zugleich unheimlich befriedigend, für ein Kind eine wundervolle Erfahrung.   Ich würde niemandem empfehlen, es nachzumachen, weil es wirklich nicht ungefährlich ist, aber ich mag die Erinnerung auch nicht missen. Und darum verstehe ich das Knallen, das Spielen mit einer potenziellen Gefahr, sehr gut und möchte die Erfahrung keinem per Erlass nehmen. Ja, ich weiß, Tiere leiden darunter, Traumatisierte, Kriegsopfer und viele andere. Aber die allermeisten Tiere leiden mehr da-runter, dass sie von Menschen, die dazu nicht immer befähigt sind, als Haustiere gehalten werden. Und als Mensch kann ich mir Kopfhörer oder Ohrstöpsel aufsetzen, wenn es mich stört. Es ist eine Störung mit Ansage und die paar Idioten, welche schon lange vor und noch nach Silvester knallen, sind nun mal nie ganz auszuschließen. Genau so wenig die, welche illegales und hochgefährliches Feuerwerk einkaufen. Es sind vermutlich die gleichen, welche betrunken Auto fahren oder aus Langeweile Bänke zerlegen. Es gibt sie eben und sie haben vermutlich kein befriedigendes Leben. Und ja, ein zentrales Feuerwerk bei gleichzeitigem Böllerverbot in jeder Stadt, wie in London zum Beispiel, wäre wundervoll. Und doch würde etwas fehlen, finde ich.   Was zur Jahreswende in Berlin passiert ist und in kleinerem Maße auch in anderen Orten, das ist betrüblich. Junge Männer, die Krankenwagen angreifen und Einsatzkräfte vorsätzlich verletzen, haben und sind zugleich ein großes Problem. Ob man es löst, wie die Berliner CDU glaubt, wenn man die Vornamen der Täter abfragt, wage ich zu bezweifeln. Schuldzuweisungen sind wohlfeil und haben noch nie geholfen. Und ja, ein großer Anteil der Täter hat einen Migrationshintergrund. Viele von ihnen haben traumatische Kriegserfahrungen überlebt. Also hätten sie es eigentlich besser wissen müssen. Warum haben sie es nicht? Weil sie jung sind, weil sie zu früh erwachsen werden mussten, ohne eine richtige Kindheit gehabt zu haben. Weil sie alleine sind in einem immer noch fremden Land. Und sie sind alleine, weil wir sie gerne alleine lassen.   Sollen sie ihre Probleme doch selber lösen. Ein Schulsystem, das schon mit denjenigen, welche Deutsch als Muttersprache ansehen, heillos überfordert ist, schafft es erst recht nicht, denjenigen zu helfen, die schon damit ihre Probleme haben. Und wenn ihnen dann noch in den sozialen Medien die Knallerei als deutsches Brauchtum und vor allem als Zeichen von Freiheit vorgeführt wird, dann muss man sich nur bedingt wundern. Ich will hier nicht alle Verantwortung von den Schultern der Täter herunternehmen, aber ich denke, wir müssen uns endlich einmal genau umsehen, womit wir es zu tun haben.   In Berlin ist man nicht mal in der Lage, eine Wahl ordnungsgemäß durchzuführen. Diese Stadt ist schon mit sich selber überfordert. Und dem müssen wir uns endlich einmal stellen. Bevor wir weiterhin Milliarden in unnütze Rüstungsprojekte stecken, gilt es das soziale Miteinander zu stärken. Wir brauchen mehr Streetworker und Betreuer, am besten Männer als Vorbilder, die auch arabische Sprachen beherrschen, die helfen können und wollen. Denn diese Gewalt ist vor allem ein Signal der Hilflosigkeit. Es sind, wie Tamara Danz einmal sang „die verlorenen Kinder in den Straßen von Berlin“. Da ist der Vorname wurscht, da gilt es, jetzt zu handeln. Und ich denke, einige wären überrascht, wie friedlich es zugehen kann, wenn man sich kümmert. Das wäre doch mal ein guter Vorsatz für dieses Jahr. Seite 10, Kompakt Zeitung Nr. 224

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