Meter 73: Das „moderne“ Domumfeld
Über viele Jahrzehnte hinweg gehörte der Magdeburger Dom zu den ältesten und bedeutendsten Gebäuden im Stadtbild. Das änderte sich auch im Rahmen der Neuerrichtung großer Stadtflächen unter Otto von Guericke nach dem 30-jährigen Krieg kaum. Magdeburg hatte sich Stück für Stück und nach und nach in eine moderne Barockstadt verwandelt, etwas abseits der breiten Straßenzüge blieben die mittelalterlichen und hochmittelalterlichen Anklänge an das gewachsene Stadtbild aber erhalten.
Meter 71: Der Kaiser im Putz
Neben seiner Bedeutung als Gotteshaus ist der Magdeburger Dom bis heute eine Schatzkammer der Kunst. Diese stammt mehrheitlich aus der mittelalterlichen Epoche.
Meter 70: Die Feier der Heiligen Osternacht
In der Osternacht des Jahres 1981 begann im Magdeburger Dom eine neue Tradition. Sie hat einen historischen – und wenn man so will – katholischen Hintergrund. Immerhin gab es aus evangelischer Sicht für diese wiederbelebte Form des bedeutendsten Gottesdienstes im Jahreslauf noch keine liturgische Regel.
Meter 69: Der Menschenretter Reinhard Bake
Betrachtet man das hohe Amt der Magdeburger Dompredigerinnen und Domprediger ausschließlich vor dem Hintergrund der Bewahrung des menschlichen Lebens, steht diese Person zweifellos an der Spitze: Reinhard Bake.
Meter 68: Von Pfarrämtern und Totengräberhäusern
Meter 68: Von Pfarrämtern und Totengräberhäusern Michael Ronshausen Erzählungen aus der gotischen Kathedrale Das nach 1888 neu errichtete Konsistorium in einer Lithografie aus der Zeit um 1900 (Archiv: Giselher Quast) Kompakt Zeitung Seit mehr als 500 Jahren steht der Dom zu Magdeburg St. Mauritius und Katharina nahezu unverändert in der Stadt. Als bedeutendstes und stadtbildprägendes Bauwerk hat er – von ein wenig Oberflächenkosmetik im 19. Jahrhundert abgesehen – nur wenig äußerliche Veränderung erfahren. Als wechselhaft stellte sich jedoch über den Lauf der Zeit hinweg das unmittelbare bauliche Umfeld des Doms dar. Von der mittelalterlichen Bebauung, beispielsweise in Form des historischen Erzbischöflichen Palastes, ist heute nichts mehr vorhanden. Auch die einstmals repräsentativen Wohnbauten einiger Domherren rund um den Domplatz sind heute verschwunden. Andere, wenn man so will, „moderne“ und zum heutigen Domumfeld gehörende Gebäude – mehrheitlich aus der Zeit des späten 19. Jahrhunderts – sind inzwischen selbst zum Bestandteil der wahrnehmbaren Domarchitektur geworden. Bekanntestes Beispiel für die „Neubauwut“ im ausgehenden 19. Jahrhundert ist das Gebäude des heutigen Landeskirchenamtes, welches vormals länger als ein Jahrhundert als Konsistorium bezeichnet wurde. Wie das mittelalterliche Gebäude lehnte sich auch der Neubau des späten 19. Jahrhunderts an die historische Südwand des nördlichen Kreuzgangflügels an. Schon in den Jahrhunderten zuvor war der Bau – ursprünglich einstöckig – mehrfach überarbeitet und erhöht worden. Er diente dem Domkapitel über lange Zeit als Kornspeicher, später aber auch als Sitz der Domschule. Kurz nach der Übergabe der Liegenschaft an die Konsistorialbehörde (1884) erfolgte 1888 der Abriss des Gebäudes, und bald darauf der wesentlich repräsentativere Neubau. Nach schweren Beschädigungen im 2. Weltkrieg wurde das Konsistorium unter Verlust einigen baulichen Zierrats nach dem Krieg wiederhergestellt. Dem Bombenhagel des 2. Weltkriegs entgangen sind jedoch zwei Gebäude, die heute zum unmittelbaren Dombereich gehören. Im Mai 1897 wurde das heutige Dompfarrhaus seiner Bestimmung übergeben. Auch hier befand sich zuvor ein Pfarrgebäude, welches aber nicht mehr dem Geschmack der Zeit entsprach und auch optisch einen angemesseneren Abschluss der neuen Augustastraße, der heutigen Hegelstraße, darstellen sollte. Das neue Pfarrhaus wurde auf den Kellern des historischen Vorgängerbaus errichtet und sorgte nebenher auch für die südliche Vergrößerung der benachbarten Sakristei um ein Joch. Zeitgleich wurde im Remtergang, unmittelbar an Marienkapelle und Remter anschließend, noch ein neues Totengräberhaus errichtet. In welcher Form und wie lange es genau als solches genutzt wurde, war den zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Bekannt ist der recht zierliche Bau heute als Dienst- und Wohnsitz des leitenden Domküsters. Seite 15, Kompakt Zeitung Nr. 250, 21. Februar 2024
Meter 65: Erzbischof Albrecht und die Auseinandersetzung mit Kaiser Otto IV.
Meter 65: Erzbischof Albrecht und die Auseinandersetzung mit Kaiser Otto IV. Michael Ronshausen Erzählungen aus der gotischen Kathedrale Kompakt Zeitung Im Chorumgang des Magdeburger Doms findet sich seit 800 Jahren ein Kapitell mit einem künstlerischen Detail, welches nicht biblischen Ursprungs ist. Es zeigt einen im geistlichen Ornat gekleideten Mann, der mit der linken Hand einen Wolf an der Kehle packt und mit der rechten Faust auf das Tier einschlagen will. Bei dem Geistlichen handelt es sich laut Überlieferung um den Magdeburger Erzbischof Albrecht von Käfernburg, der als bedeutender Repräsentant der Kirche unterwegs war und als Begründer des Domneubaus in die Geschichte der Stadt einging. Zudem war Albrecht im politisch-weltlichen Bereich aktiv. Wenige Monate nach seiner Weihe zum Magdeburger Erzbischof brannte in einem Großfeuer am 20. April 1207 der aus dem 10. Jahrhundert stammende Dom Ottos des Großen ab. Albrecht, der während seiner Ausbildung in Paris die frühen Bauten der französischen Gotik gesehen hatte, importierte den Stil und wurde mit dem Domneubau zu einem der Begründer jener neuen Formensprache. Von „seinem“ Dom hat Albrecht – er starb 1232 – jedoch nur die Entstehung der östlichen Bereiche erlebt sowie die Erbauung des Chorumgangs, ausgestaltet mit einem um 1220 erschaffenen Bildprogramm an den Kapitellen, in dem sich auch jene Gewaltszene zwischen ihm und dem Wolf abspielt. In der hohen Politik war Albrecht anfangs ein Parteigänger des „Wolfes“, sprich des Welfen – des einzigen Angehörigen dieses Hauses, der unter dem Namen Otto IV. die römisch-deutsche Kaiserkrone trug. Politisch geriet Otto durch seinen Versuch, den nördlichen Teil seines Reiches wieder mit dem sizilianischen Landesteil zu vereinen, in einen schweren Konflikt mit dem Papst, was schließlich zu seiner Exkommunikation führte. Albrecht beendete daraufhin sein Engagement für den Kaiser, was langjährige kriegerische Auseinandersetzungen zur Folge hatte, von denen auch das Magdeburger Erzbistum betroffen war. Erst mit Ottos Tod 1218 löste sich dieser Konflikt auf. Im Dom sorgte Albrecht mit seiner (Selbst)darstellung eines wehrhaften Geistlichen im Kampf gegen den Welfen für ein steinernes Mal, um an diese Ereignisse zu erinnern. Nicht verschwiegen werden sollte eine andere Interpretation jenes, von einem namentlich nicht bekannten Meister erschaffenen Kunstwerks. Keine geringere als die später heiliggesprochene Mechthild von Magdeburg (1207-1282) soll vor eben jenem Kapitell ihre Bekehrung erlebt haben. In ihrem Buch „Das fließende Licht der Gottheit“ beschreibt Mechthild die Seele, die sich durch das Dickicht des irdischen Daseins müht und vom Bösen – dem Teufel – wie von einem Wolf angefallen wird, der sie verschlingen will. Dieses Bild aus ihrem Buch hat literaturgeschichtlich schließlich Dante Alighieris „Göttliche Komödie“ beeinflusst, die mit der Schilderung der Hölle im Ersten Gesang beginnt. Überliefert worden ist diese Interpretation irgendwann in den frühen 60er-Jahren in der damaligen CDU-Zeitung „Der neue Weg“, veröffentlicht durch den Magdeburger Heimatforscher Werner Priegnitz. Seite 9, Kompakt Zeitung Nr. 247, 10. Januar 2024
Meter 64: Der Dom der Besucher
Meter 64: Der Dom der Besucher Michael Ronshausen Erzählungen aus der gotischen Kathedrale Der Dom ist im Rahmen besonderer Führungen auch bei Nacht zu erleben. Kompakt Zeitung Nächtliche Veranstaltungen – insbesondere auch Gottesdienste wie beispielsweise die Feiern zur Heiligen Christ- und zur Heiligen Osternacht – haben im Dom keinen Seltenheitswert. In den vergangenen Jahrzehnten richteten sich manche Angebote in den Abendstunden wie etwa die Nacht der Lichter auch an jüngere Kirchenbesucher. Und seit 20 Jahren gibt es im Magdeburger Dom eine vielleicht etwas ungewöhnliche Veranstaltungsreihe, die sich in kürzester Zeit zu einem Besuchermagneten entwickelt hat. Vor allem in den Wintermonaten herrscht im Dom mit Blick auf die Besucherzahlen Saure-Gurken-Zeit. Es gab damals wie heute Wintertage, an denen man die touristisch motivierten Dombesucher mit den Fingern weniger Hände abzählen konnte. Im Herbst 2003 hatte ein damaliger Domführer die Idee, ein neues Projekt zu entwickeln. Schnell wurde dabei der Begriff der „Taschenlampendomführung“ geprägt. 100 Eintrittskarten wurden gedruckt und in einigen Magdeburger Zeitungen erschienen kurze Ankündigungen. Geplant war, im Winterhalbjahr an zwölf Freitagen im Abstand von zwei Wochen diese nächtlichen – jeweils ab 22 Uhr stattfindenden – Domführungen anzubieten, wobei einige Mitarbeitende am Dom der Überzeugung waren, dass kein Mensch zu dieser nächtlichen Show erscheinen würde. Einen anderen Eindruck erweckte hingegen der Vorverkauf der 100 Eintrittskarten, die innerhalb weniger Stunden vergriffen waren. Tatsächlich erschienen zur ersten Veranstaltung mehr als 1.000 Besucher ohne Eintrittskarten, die auf die späteren Termine vertröstet werden mussten. Heute, zwei Jahrzehnte später, finden die winterhalbjährlichen Taschenlampendomführungen noch immer statt, wenn auch mit einer etwas geringeren Resonanz. Die Domführungen – jährlich von mehreren zehntausend Menschen besucht – fanden über einen erheblichen Zeitraum großen Anklang. Trotz seiner Charakteristik, auch eine Art Museum zu sein, war und ist der Dom zuerst eine Kirche. Ein Umstand, der bei einer Domführung zum Tragen kommen sollte, was allerdings in der DDR-Zeit und bei den damals natürlich politisch-sozialistisch eingenordeten staatlichen bzw. städtischen Stadtführern oft nicht der Fall war. Nicht selten wurde dem Dom dabei seine Bedeutung als Gotteshaus abgesprochen, christliche Glaubensinhalte verwies man gerne in den Bereich eines Kasperle-Theaters. Im Ergebnis wurde der Dom kurz nach 1979 durch eine Initiative des damaligen Dompredigers Giselher Quast zur „fremdbesucherfreien” Zone erklärt. Über einige Jahre hinweg gab es nur noch die Möglichkeit, den Dom innerhalb von Führungen zu besichtigen, die von Helfenden und Mitarbeitenden der Domgemeinde organisiert wurden, um den Besuchern das Gotteshaus eben nicht nur als kunstgeschichtliches Museum, sondern in angemessener Form auch als Kirche näher zu bringen. Die Regelung, die Verantwortung für die Domführungen in den Händen der Gemeinde zu belassen, gilt noch heute. Seite 17, Kompakt Zeitung Nr. 246, 10. Dezember 2023
Meter 63: Der Magdeburger Dom und seine „kleine“ Halberstädter Schwester
Meter 63: Der Magdeburger Dom und seine „kleine“ Halberstädter Schwester Michael Ronshausen Erzählungen aus der gotischen Kathedrale Der Dom St. Stephanus und St. Sixtus in Halberstadt. Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt/Ulrich Schrader Kompakt Zeitung Wie der Magdeburger Dom hat auch die Halberstädter Kathedrale in vielfältiger Sicht eine bewegte Geschichte. Schon früh sind beide Orte – oder deren Protagonisten – kräftig zusammengerasselt. Heute gehören die einstmaligen Unzulänglichkeiten zur Geschichte. Erinnert werden soll dennoch an einen Umstand, durch den der Magdeburger Dom beinahe nicht entstanden und seine Geschichte nie geschrieben worden wäre. Eine Geschichte, die noch zu den Lebzeiten Ottos des Großen spielte, und die in Halberstadt ihren Anfang nahm. Im Mittelalter war ein Bischof oder Erzbischof nicht nur ein herausgehobener Geistlicher, er war auch in politischen Zusammenhängen ein mächtiger Mann. Er bestimmte, was in seinem Bistum passierte. Und so war es Bischof Bernhard von Halberstadt (familiär Bernhard von Hadmersleben, geboren am 3. Februar 868), der keinem Geringeren als dem großen Kaiser Otto bei der Gründung eines neuen Erzbistums einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Erstaunlich war das nicht, Halberstadt war – auch kirchenpolitisch – zu dieser Zeit der zweifellos bedeutendere Ort. Die Errichtung eines neuen Erzbistums an der Elbe wäre nicht nur zulasten des Mainzer Erzbistums gegangen, auch das nachgeordnete Halberstadt hätte erheblich an Bedeutung verloren. Der Überlieferung zufolge soll Otto den widerspenstigen Bischof eingesperrt haben, um ihn zum Einlenken zu zwingen. Erfolgreich war das nicht, Bernhard sprach stattdessen den Kirchenbann über Otto aus, damals ein angemessenes und ernst zu nehmendes Mittel der kirchlichen Rechtsprechung. Otto ließ Bernhard – der immerhin 45 Jahre im Amt war – schließlich frei und musste sich bis zum Tod des Bischofs gedulden. In Anbetracht der sich damals schnell nach oben verjüngenden Alterspyramide muss man Bernhards Tod als glückliche Fügung bezeichnen. Immerhin war auch der Kaiser 968 kein junger Mann mehr. Er starb fünf Jahre später. Und ob seine Nachfolger den Gründungsplan eines Magdeburger Erzbistums weiter verfolgt hätten, darf angezweifelt werden. Am Ende blieb das Halberstädter Bistum weiter bestehen. Und ab dem 13. Jahrhundert kam es in beiden Städten zu einem Wettlauf beim Bau der neuen, nun französisch-gotischen Kathedralen. Ein wenig kleiner geraten als das Magdeburger Pendant, gehört der Halberstädter Dom zu den herausragendsten Beispielen aus der Epoche der gotischen Kathedralarchitektur. Mit ein wenig Augenzwinkern entstand im Raum zwischen dem Harzvorland und dem Elbestrand eine Miniaturausgabe der historischen Île-de-France. Immerhin liegen weniger als 50 Kilometer zwischen den beiden Riesenbauten. Ein Maßstab, der in Deutschland kein weiteres Mal erreicht wird. Trotz der erheblichen Schäden im Krieg, und nachdem große Teile der mittelalterlichen Doppelturmfront im 19. Jahrhundert ausgetauscht werden mussten, wirkt der Halberstädter Dom, als wäre er den französischen Kathedralen näher. Dafür sorgt am Äußeren das Langhaus und Chor umfassende Strebewerk, welches in Magdeburg nicht vorhanden ist. Auch im Inneren scheint der Halberstädter Dom näher bei seinen französischen Vorbildern zu stehen. Darüber hinaus findet sich in ihm der – vom Vatikan einmal abgesehen – bedeutendste christliche Kirchenschatz des Abendlandes. Seite 10, Kompakt Zeitung Nr. 245